«Wir sind keine fremdgesteuerten Marionetten, die auf jede Werbung reinfallen»
Können Sie der Versuchung in diesen Tagen widerstehen? Oder lassen Sie sich von den Rabattschildern blenden? Wirtschaftspsychologe Michael Burtscher zählt auf den gesunden Menschenverstand.
Veröffentlicht am 28. November 2019 - 18:14 Uhr
Beobachter: Was geht in den Leuten vor, die am Black Friday
die Läden stürmen und ihren Anstand vergessen?
Michael Burtscher: Ich kenne das nur aus den USA, in der Schweiz habe ich noch nie davon gehört, dass die Läden gestürmt werden, daher könnte es auch ein kulturelles Phänomen sein. Aber natürlich orientiert man sich in solchen Situationen an den anderen: Wenn alle ihren Anstand verlieren und sich vordrängeln, wieso soll ich dann anständig bleiben?
Was ist der Reiz am Black Friday?
Einerseits ist da der finanzielle Aspekt, dass man Geld spart, aber andererseits auch wegen seinem Eventcharakter. Man macht etwas zusammen und hat zusammen Spass.
Ist er zu einem Event geworden, bei dem man fast dabei sein muss?
Bei uns noch nicht. Es gibt aber spannende Studien aus den USA von Familien, die das schon seit zehn Jahren zusammen machen. Die sehen das als Familientradition, bei der die Kinder, Eltern und Grosseltern zusammenkommen und sich vorher überlegen, was sie kaufen wollen und nachher besprechen, wer das grösste Schnäppchen gemacht hat. Ich habe auch schon gehört, dass Leute extra für den Black Friday nach New York fliegen.
Und das alles nur, um ein bisschen Geld zu sparen?
Interessant ist, dass sich die Menschen gar nicht so stark am Preis orientieren, wie sie denken. Befragungen haben gezeigt, dass sie bei über der Hälfte der Produkte, die sie in ihrem Einkaufswagen haben, nicht wissen, wie teuer sie sind. Auch sagen uns absolute Preise nicht viel.
Wie funktioniert unser Gefühl für Preise denn?
Wir haben kein lineares Preisverständnis, sondern Schwellen. Der Unterschied zwischen 9.85 und 9.95 löst bei uns nichts aus. Aber etwas für 9.95 können wir als günstig empfinden, während wir etwas für 10 Franken teuer finden. Wir brauchen meistens einen Vergleich, um einschätzen zu können, ob etwas teuer ist oder nicht. Deshalb geben uns die Händler
sogenannte Anker oder Referenzpreise, anhand derer wir den Preis vergleichen können. Bei Aktionen sehen Sie fast immer den ursprünglichen Preis, der als Anker funktioniert.
Welche Tricks haben die Anbieter sonst noch?
Der ursprüngliche Preis
ist manchmal höher als das, was das Produkt absolut wert ist. Die Ersparnis wird so künstlich vergrössert. Das sind natürlich keine Phantasiepreise, aber kleine Tricks werden schon angewendet, zum Beispiel, den empfohlenen höheren Preis des Herstellers anzugeben. Ein anderer Trick ist «choice architecture», also Entscheidungsarchitektur in Geschäften. Bei Ikea kommen die kleinen Sachen immer zum Schluss: Wenn Sie sich vorher ein Sofa für 5000 Franken angeschaut haben, finden Sie Dekoration für zehn Franken nicht mehr teuer.
Welche Faktoren führen zu einem Kauf?
Schlussendlich führen mehrere Faktoren zu einer Kaufentscheidung. Faktoren sind zum Beispiel eben der Preis, Emotionen und das «consumer involvement». Das heisst, wie stark Sie sich als Konsumentin mit einem Produkt auseinandersetzen, wie wichtig es für Sie ist. Bei einem Päckchen Kaugummi, dass Sie spontan auf dem Heimweg kaufen, ist das «involvement» sehr tief im Gegensatz zu einem Autokauf. Je nachdem, wie hoch Ihr «involvement» ist, laufen bei einem Kauf unterschiedliche Prozesse ab. Wenn das «involvement» hoch ist, vergleichen Sie zum Beispiel mehr Preise miteinander.
Wann ist man anfälliger für Impulskäufe?
Sobald Emotionen im Spiel sind. Die Leute kaufen sich zum Beispiel zur Belohnung etwas oder Sie haben einen schlechten Tag und wollen sich etwas gönnen.
«Bei Ikea kommen die kleinen Sachen immer zum Schluss: Wenn Sie sich vorher ein Sofa für 5000 Franken angeschaut haben, finden Sie Dekoration für zehn Franken nicht mehr teuer.»
Michael Burtscher, Wirtschaftspsychologe
Ist das beim Online-Shopping anders?
Jein. Anker funktionieren zum Beispiel online genauso gut. Online-Shopping ist zwar bequemer und mit kleinerem Aufwand verbunden, im Geschäft kann man dafür das Produkt anfassen und sofort mit nach Hause nehmen. Das Ziel des Black Friday ist ja, dass Sie in den Laden gehen
. Vor Ort ist man dann vielleicht eher bereit etwas auszugeben, wenn man schon dort ist und Zeit investiert hat.
Gibt es Personengruppen, die besonders gefährdet sind?
Menschen mit einer weniger guten Selbstkontrolle.
Wie kann man seine Selbstkontrolle verbessern?
Wichtig ist, dass man sich dieser Schwäche bewusst wird. Dafür kann man sich im Vorhinein überlegen, was man braucht, was man sonst mit diesem Geld machen würde, die Preise vergleichen, eine Einkaufsliste schreiben - auch am Black Friday. Und wenn man wirklich Mühe hat, die Kreditkarte zuhause lassen, sich ein Budget für diesen Tag definieren und dieses in bar mitnehmen.
Oder Einkaufsmöglichkeiten ganz meiden?
Shopping ist ja per se nichts Schlechtes. Man kann das Geld auch als Investition in einen schönen Tag sehen, wenn man gerne shoppt, so wie andere wellnessen gehen. Wir sind ja keine fremdgesteuerten Marionetten, die auf jede Werbung reinfallen. Wir erwachsenen, gesunden Menschen können uns ein Budget überlegen
und selber entscheiden, was wir damit kaufen wollen.
Was löst es in einem aus, wenn man ein Schnäppchen ergattert hat?
Das löst eine Zufriedenheit aus. Es kann auch das Gefühl geben, dass man einen guten Deal gemacht hat, dadurch fühlt man sich fair behandelt. Beim Black Friday und bei begrenzten Stückzahlen kann man nachher denken: «Ich habe das Produkt bekommen, ich habe mich gegen die anderen Einkäufer durchgesetzt». Das ist gut für das Selbstwertgefühl
.
Kann es nicht auch unglücklich machen, wenn man mal wieder zu viel gekauft hat?
Es gibt Studien, die zeigen, dass Erfahrungskonsumation langfristig glücklicher macht als materieller Einkauf. Das heisst, Sie investieren besser in ein Wellnesswochenende
mit Freundinnen als in ein Elektronikgerät zum Beispiel. Was auch nicht glücklich macht, ist wenn man nur am Black Friday mitmacht, weil es alle tun.
Macht eigentlich Verzicht auch glücklich oder nur Konsum?
Verzicht nicht wirklich, das ist ja schon ein negatives Wort. Was jedoch zufrieden macht, ist wenn man sich vornimmt, auf etwas zu verzichten und dieses Ziel dann erreicht. Diese erfolgreiche Selbstkontrolle macht glücklich.
Black Friday und Cyber Monday passen so gar nicht zur grünen Welle und dem Nachhaltigkeitstrend – wie erklären Sie sich das?
Es kommt natürlich darauf an, was gekauft wird. Konsum an sich ist nicht problematisch. Wenn niemand mehr einkauft, würde unsere Wirtschaft zusammenbrechen. Aber es ist allgemein bekannt in der Psychologie, dass es eine grosse Diskrepanz gibt zwischen Einstellung und Verhalten.