Die dreisten Kundenjäger
Der Ärger mit Preselection-Telefonanbietern dauert an. Ihr Trick: raffinierte Werbeanrufe mit kalkulierter Überrumpelung.
Veröffentlicht am 14. Oktober 2014 - 09:53 Uhr
Aktuell: Strafklage gegen TalkEasy eingereicht
Die Firma TalkEasy GmbH in Zürich steht im Verdacht, gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verstossen zu haben. Das Seco hat gegen die verantwortlichen Personen der Firma TalkEasy GmbH einen Strafantrag eingereicht.
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Auch der Zürcher Preselection-Anbieter Primacall bekam Ärger mit dem Seco.
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Der typische Werbeanruf von Preselection-Anbietern verläuft so: Die Firma X ruft die Person Y an, fragt schon zu Beginn, ob sie Swisscom-Kundin sei, und überhäuft sie mit Informationen zu billigerem Telefonieren und günstigen Tarifen. Da diverse Male das Stichwort Swisscom fällt, wähnt sich Y im Gespräch mit dieser. Im Glauben, dass alles beim Alten bleibe und nur der Tarif billiger werde, gibt Y bereitwillig Name, Adresse, Geburtsdatum an und bestätigt, dass sie den günstigeren Tarif möchte.
Die Hälfte aller Anfragen beim Beobachter-Beratungszentrum zum Thema Festnetztelefonie betrifft Preselection-Anbieter. Das sind Firmen wie Primacall, Suissephone, Talk Easy, Talktalk, Freefon oder Willitel. Die Mehrheit dieser Anfragen geht allein auf das Konto von Primacall.
Auch die Schlichtungsstelle der Telekommunikationsbranche, die Ombudscom, hatte 2013 «am meisten Anfragen und Fälle zum Thema ungewollte Vertragsabschlüsse». Konkret 1605, was «fast einen Drittel aller Beschwerden ausmacht». Der Ursprung sei meist ein Telefon-Abwerbegespräch, wobei der grösste Teil auf die Aktivität eines einzigen Anbieters zurückzuführen sei: «Anbieter namentlich zu nennen, verbietet uns das Reglement», sagt Ombudsmann Oliver Sidler.
Welche Belastung aus einem solchen Abwerbegespräch entstehen kann, zeigt die Geschichte von Luciana Ecker: Im November 2013 ruft ein Verkäufer der Zürcher Primacall AG an. Während des Gesprächs hält Ecker unmissverständlich fest: «Ich mache am Telefon nichts ab, ich bespreche das zuerst mit meiner Tochter.» Der Verkäufer antwortet raffiniert, er werde ihr die «Auftragsbestätigung» nach Hause schicken, sie könne sie dann in Ruhe mit der Tochter prüfen. Doch: Wie kann ein Auftrag bestätigt werden, der nicht erteilt wurde?
Als die Auftragsbestätigung mit Datum vom 12. November am 21. November eintrifft, reagiert die Tochter sofort: Am 22. November teilt sie Primacall telefonisch und per Post mit, dass ihre Mutter «diesen Service nicht will». Die Primacall lehnt den Widerruf ab – er sei zu spät erfolgt. Und schickt Rechnungen und Mahnungen.
Obwohl Luciana Ecker sich sofort wieder bei der Swisscom aufschalten lässt, teilt ihr Primacall im März 2014 die «Deaktivierung des Anschlusses» mit und schreibt: «Wir beabsichtigen, die Angelegenheit an ein Betreibungsamt abzugeben.»
Zwei Wochen später schreibt die Firma, dass sie die Angelegenheit «an unsere Kanzlei» abgebe. Tatsächlich meldet sich Mitte Mai Rechtsanwalt Sven Krüger von der Kanzlei Advovox in Zürich. Er fordert die «Grundgebühren bis zum Ende der Vertragslaufzeit als pauschalisierten Schadenersatz» – rund 950 Franken plus 225 Franken für seinen Aufwand «aufgrund Ihres Verhaltens».
Nun wenden sich Mutter und Tochter an die Ombudscom. Doch diese teilt kurz darauf mit, dass sie den Streitfall nicht weiterbehandeln dürfe, da Primacall eine Klage beim Friedensrichter eingereicht habe. «Sobald ein Anbieter gerichtlich gegen den Kunden vorgeht, sind wir aufgrund unseres Reglements gezwungen, das Schlichtungsverfahren zu beenden», erklärt Oliver Sidler.
Bei der Verhandlung im Juni findet auch die Friedensrichterin, dass kein Vertrag zustande gekommen sei. Doch Primacall will die Forderung nicht zurückziehen. Im Juli schickt die Firma Luciana Ecker ein Angebot für «eine gütliche Einigung». Wenn Ecker 1000 Franken bezahle, werde Primacall die «Klagebefugnis des Friedensrichteramts nicht zum Einsatz bringen». Für Mutter und Tochter Ecker jedoch ist klar, dass sie ohne vertragliche Grundlage nichts zahlen. «Mit meiner Mutter wurde profimässig ein falsches Spiel getrieben», bilanziert Sabine Ecker.
Moussah Köster, Berliner Mediensprecher der Primacall, sagt, man könne immer geteilter Meinung sein, ob ein Vertrag entstanden sei oder nicht. «Im vorliegenden Fall liegt nach unserer Auffassung aber ein wirksamer Vertragsschluss vor.» Er räumt jedoch ein, dass Eckers Widerruf wohl wirksam geworden sei, weil Primacall nicht beweisen könne, wann sie den Begrüssungsbrief erhalten habe.
Die meisten Preselection-Anbieter notieren in ihren Begrüssungsbriefen ein Recht auf Widerruf innerhalb von sieben Tagen. Doch auch wer dieses wahrnimmt, kann Probleme bekommen: Beatrice Osterwalder wendet sich für ihre Mutter Ursula Mauron an den Beobachter, nachdem diese im April 2014 von der Freefon AG in Zürich einen Werbeanruf bekommen hat. Freefon und Primacall sind Tochtergesellschaften der Berliner Primaholding.
«Obwohl meine Mutter sagte, sie wolle nicht wechseln, erhielt sie am 9. Mai einen Begrüssungsbrief mit Datum vom 2. Mai», so Osterwalder. Am 13. Mai weist Osterwalder per Einschreiben alles zurück. Freefon aber antwortet: «Leider müssen wir Ihren Widerruf als nicht fristgerecht zurückweisen.» Der Rechnung für Telefonkosten von Mitte Mai bis Mitte Juni – also nach Erhalt des Widerrufs – lässt die Firma Anfang August eine Betreibungsandrohung folgen. Moussah Köster nimmt auch für Freefon Stellung: «Frau Maurons Widerruf akzeptieren wir, da Freefon die behauptete Verspätung nicht beweisen kann.»
Auffallend bei vielen Begrüssungsbriefen und Auftragsbestätigungen: Zwischen Briefdatum und Eintreffen beim Konsumenten liegt eine längere Zeitspanne. Das führt dazu, dass manche Konsumenten glauben, sie könnten sich nicht mehr wehren, weil das Briefdatum mehr als sieben Tage zurückliegt. Doch rechtlich beginnt die Frist nicht ab Briefdatum zu laufen: «Wenn ein Anbieter auf die gesetzliche Widerrufsfrist hinweist, muss er diese datieren, also klar notieren, ab wann sie läuft. Sonst beginnt der Fristenlauf frühestens ab Erhalt der Information über die Widerrufsmöglichkeit», sagt Ombudsmann Sidler und ergänzt: «Der blosse Hinweis auf das Widerrufsrecht in beigelegten allgemeinen Geschäftsbedingungen ist ungenügend.» Das heisst: Wer den ungewollten Vertragsabschluss rückgängig machen will, kann auch noch später widerrufen.
Die Talktalk AG in Zug weist in ihren Begrüssungsbriefen nirgendwo auf das Widerrufsrecht hin, sondern schreibt: «In ungefähr sieben Tagen telefonieren Sie bereits zu den günstigen Talktalk-Konditionen.» Damit sei den Kunden klar, dass sie anrufen könnten, wenn sie die Umschaltung nicht wollten, findet Geschäftsführer Karl Steinke. Immerhin bestätigt er gegenüber dem Beobachter, dass auch Talktalk das siebentägige Widerrufsrecht gewährt.
Viele Ratsuchende melden beim Beobachter, dass sie angerufen wurden, obwohl sie einen Sterneintrag im Telefonbuch hätten. Der Stern bedeutet, dass man keine Werbeanrufe wünscht. Firmen, die dennoch anrufen, verstossen gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.
Gemäss den Anfragen im Beobachter-Beratungszentrum scheint insbesondere die Suissephone GmbH in Winterthur den Sterneintrag zu missachten und gleichwohl anzurufen. Während Suissephone entgegnet, dass es sich dabei «höchstens um sehr neue Sterneinträge handeln» könne und dass man Nummern mit Sterneinträgen nicht kontaktiere, hält Guido Sutter vom Staatssekretariat für Wirtschaft fest: «Wir haben dieses Unternehmen zweimal abgemahnt. Als sich die Beschwerden trotzdem häuften, haben wir Klage eingereicht.»
Ganz allgemein gilt: Wer Geld will, muss beweisen, dass es dafür eine vertragliche Grundlage gibt. Das Telefongespräch hat also eine zentrale Bedeutung: Ist dabei ein mündlicher Vertrag entstanden oder nicht? Preselection-Anbieter sind zudem gesetzlich verpflichtet, Anwerbegespräche aufzunehmen (siehe «Preselection-Telefonanbieter: Was machen sie?»).
Martin Studer in Visp bekommt im März 2014 einen Anruf von der Willitel AG in Zug und erinnert sich, dass er bei diesem Gespräch eine Preisliste verlangt hat, um das Angebot prüfen zu können. «Zu einem Vertrag habe ich nicht Ja gesagt.» Doch Willitel schreibt ihm: «Herzlich willkommen. Wir freuen uns, Sie als Kunden begrüssen zu dürfen.» Kurz darauf schickt die Firma die erste Rechnung. Als der Beobachter mit einer Vollmacht von Studer die Gesprächsaufnahme anfordert, antwortet Willitel: «Wir händigen die telefonischen Vertragsabschlüsse nicht an Presse und Medienstellen aus.» Aber auch Studer selber erhält keine Gesprächsaufzeichnung.
Dass Preselection-Anbieter die Gesprächsaufnahmen nicht schicken, stellt auch die Ombudscom fest. «In den meisten Fällen stellen die Anbieter weder den Kunden noch der Schlichtungsstelle die Gesprächsaufzeichnung zu oder lediglich die unvollständige Aufzeichnung», schreibt sie in ihrem Jahresbericht. Aus Konsumentensicht ist das eine gute Nachricht. «Wenn der Anbieter die Gesprächsaufnahme nicht schickt, fehlt der Beweis für den Vertrag», erläutert Oliver Sidler. «Und ohne Vertrag kann er kein Geld fordern. Punkt.»
Preselection-Telefonanbieter: Was machen sie? Was dürfen sie? Was müssen sie?
Preselection bedeutet eine Zweiteilung der Festnetzkosten: Der technische Anschluss bleibt beim alten Anbieter (in der Regel die Swisscom, die dafür rund 25 Franken fordert). Die Gespräche wickelt der Preselection-Anbieter ab – mit eigener Verrechnung.
Viele Betroffene verstehen nach einem Anwerbeanruf nicht, wie ihnen geschieht: «Wie kann die Firma X mich einfach umschalten lassen?», fragen sie beim Beobachter nach. «Ich habe beim alten Anbieter doch gar nicht gekündigt.»
Die Antwort: Eine mündliche Zustimmung kann bereits einen Vertrag entstehen lassen; es braucht dazu keine Unterschrift. Zudem schreibt das Gesetz dem alten Anbieter vor, die Umschaltung innert fünf Arbeitstagen vorzunehmen, wenn der neue Anbieter ihm die Kundenakquirierung mitteilt. Damit wollte der Gesetzgeber die Liberalisierung im Telefonbereich vorantreiben. Faktisch begünstigt das Preselection-Anbieter dabei, angeblich gewonnene Kunden rasch zu sich zu holen – und erst auf deren Verlangen den Beweis für den Vertrag vorlegen zu müssen.
Das Gesetz verpflichtet Preselection-Anbieter, das Anwerbe- und Vertragsgespräch aufzuzeichnen. Wenn der Kunde die Aufnahme verlangt, müssen sie ihm diese innert zehn Arbeitstagen kostenlos zustellen.
Wenn allerdings Talk Easy die Gesprächsaufnahme zuschickt, verbietet die Firma die Weiterleitung. Auf welchen Gesetzesartikel sie sich abstützt, konnte Talk Easy dem Beobachter nicht sagen. Es gibt auch keinen.
Preselection-Telefonanbieter: So schützen Sie sich
- Bei Werbeanrufen: Fragen Sie hartnäckig nach dem Namen der anrufenden Firma.
- Hängen Sie ohne Hemmungen auf, wenn Sie sich bedrängt fühlen.
- Behalten Sie nach einem solchen Anruf die Post im Auge und widerrufen Sie sofort mit eingeschriebenem Brief, wenn etwas bestätigt wird, was Sie nicht wollen.
- Wenn Sie eine unerklärliche Rechnung erhalten, fordern Sie die Gesprächsaufnahme an. Nur bei einer vollständigen Aufnahme kann man beurteilen, ob ein Vertrag entstanden ist oder nicht. Wenn Sie keine oder eine unvollständige Aufnahme erhalten, können Sie die Forderung zurückweisen, weil dann kein Vertragsbeweis vorliegt.
- Nutzen Sie die Vermittlungsdienste der Ombudscom, wenn Sie im direkten Kontakt mit dem Anbieter keine zufriedenstellende Lösung finden: www.ombudscom.ch
- Wenn Sie bei Ihrem aktuellen Anbieter den Festanschluss mit anderem – Mobile, Internet, TV – kombiniert haben, müssen Sie die Kündigungsfristen beachten. Sonst können Kosten für vorzeitigen Ausstieg entstehen.
- Lassen Sie Ihren Telefonbucheintrag mit einem Stern versehen – unter www.tel.local.ch oder der Gratisnummer 0800 86 80 86.
- Oder lassen Sie Ihren Eintrag im Telefonbuch ganz löschen: http://info.local.ch