Der Nachtzug braucht Anschub
Klimaschonender, bequemer und oft kaum teurer: Nachtzüge wären die Alternative zum Fliegen. Doch die Bahn muss viele Versäumnisse nachholen.
Veröffentlicht am 18. Juli 2019 - 17:41 Uhr
Noch bis vor kurzem hatten Nachtzüge den Ruf von Oldtimer-Autos: Liebhaber-Objekte, für den Alltag aber nicht geeignet. «Unrentabel» bilanzierte die SBB und stellte 2009 den Betrieb eigener Linien ein. Kritiker wurden behandelt, als würden sie die Wiedereinführung von Postkutschen fordern.
Doch die Klimadebatte brachte die Wende. Plötzlich gilt der Nachtzug wieder als Transportmittel mit Zukunft. Die Nachfrage ist da, wie die Österreichischen Bundesbahnen ÖBB zeigen: Für das letzte Jahr vermeldete sie bei den Nachtzügen einen Passagierrekord. Gerade die Verbindungen aus der Schweiz seien sehr gut gebucht, sagt die einzige Gesellschaft, die in Mitteleuropa noch Fahrten im Schlaf- und Liegewagen anbietet. «Es ist wieder en vogue, längere Strecken in der Nacht zu fahren.»
Der politische Druck und die hohe Nachfrage haben auch bei der SBB zum Umdenken geführt. Sie will wieder in neue Nachtzugverbindungen investieren. Geplant ist eine Zusammenarbeit mit den ÖBB. Die Österreicher haben bereits 13 neue Nachtzüge bestellt. Spätestens 2022 soll es zusätzliche Verbindungen geben. Wohin, ist noch nicht bekannt.
«Der Entscheid der SBB war überfällig», sagt Edwin Dutler vom Pro Bahn Schweiz. Die Vereinigung kämpft seit Jahren für mehr und bessere Nachtzuglinien. Noch bis in die Nullerjahre gab es in der Schweiz direkte Verbindungen nach Barcelona, Rom, Moskau, Amsterdam, Brüssel und Belgrad. Aus Angst vor der Billigflieger-Konkurrenz wurden sie gestrichen. Das müsse man rückgängig machen, sagt Dutler: «Wenn wir es ernst meinen mit dem Klimaschutz, kommen wir nicht darum herum, für Europareisen wieder die Bahn zu benutzen.»
Tatsächlich zeigen Untersuchungen: Züge schleudern einen Bruchteil an Dreck in die Luft wie Flugzeuge. Ein Flug von Zürich nach Paris etwa schlägt mit 87,8 Kilogramm CO2 pro Kopf zu Buche, mit dem Zug sind es nur 3 Kilogramm, also fast 30 Mal weniger. Das Sparpotenzial ist riesig: Drei von vier Flügen aus der Schweiz steuern Ziele in Europa an. Die Top-5-Destinationen sind London, Berlin, Amsterdam, Wien und Paris – alles Städte, die mit dem Zug in einem Tag oder einer Nacht erreichbar sind.
«Der Nachtzug ist das ideale Transportmittel für alle Mittelstrecken bis 1500 Kilometer», sagt Bernhard Knierim vom europäischen Netzwerk Back on Track. Statt weit weg von der Stadt kommt man mitten im Zentrum an. Statt die meiste Zeit in Warteschlangen zu stehen, kann man im Zug lesen, arbeiten und schlafen. Viele beliebte Flugziele erreicht man per Bahn zudem schneller, rechnet man die Fahrt zum Flughafen mit ein sowie die Wartezeiten fürs Einchecken, Sicherheitskontrollen, Boarding und Gepäckausgabe. Zum Beispiel Paris (von Zürich mit dem Zug 4h 4min), Mailand (3h 40min) oder Frankfurt (3h 52min).
«Damit der Nachtzug eine Alternative zum Fliegen wird, braucht es die Politik»
Bernhard Knierim, Netzwerk Back on Track
«Bei weiter entfernten Destinationen bietet sich der Nachtzug an», sagt Knierim. So dauert die Reise nach Rom (7h 27min tagssüber) zwar zwei bis drei Stunden länger als mit dem Flugzeug, ebenso nach Venedig (6h 30min), Brüssel (6h 43min), Amsterdam (7h 58min), London (7h 58min) oder Barcelona (10h 41min). «Gäbe es eine Verbindung über Nacht mit modernen Schlaf- und Liegewagen, käme man dafür ausgeruht und zu einer praktischen Morgenzeit an.»
Dass heute die grosse Mehrheit das Flugzeug bevorzugt, hat auch mit dem schlechten Ruf der Nachtzüge zu tun. Die Deutsche Bahn habe ihre City-Nightline-Züge zum Schluss regelrecht verlottern lassen, sagt Knierim. Die ÖBB will dieses Bild mit ihren neuen Nachtzügen nun korrigieren: In den Schlafwagen gibt es Abteile mit eigener Toilette und Duschen, in den günstigeren Liegewagen separate Kabinen für Alleinreisende, überall hat es WLAN
. «Der Komfort muss den heutigen Bedürfnissen entsprechen, darf aber nicht dazu führen, dass die Fahrt zu teuer wird», sagt Knierim.
Der grosse Nachteil der Bahn ist der Preis. Zwar sind die Unterschiede zum Flugzeug kleiner, als viele glauben . Für zahlreiche Städtetrips zahlt man für einen Flug sogar mehr, ergab ein Vergleich der Reiseplattform Omio. Ein Flugticket von Basel nach Hamburg etwa kostet durchschnittlich 221 Franken, ein Bahnbillet 150 Franken. Bei Genf-Amsterdam ist das Verhältnis 154 Franken zu 184 Franken zugunsten der Bahn, bei Zürich-Wien 125 Franken zu 271 Franken. Aber: «Wer zeitlich flexibel ist, findet einen Flug, der deutlich billiger ist als die Bahn», sagt Dutler.
Dazu kommt: Bei internationalen Bahnreisen ist es kaum möglich, Angebote miteinander zu vergleichen. Auf der Website der SBB muss man jede Verbindung einzeln durchklicken, bis man den Preis für ein Ticket nach Berlin sieht. Wer wissen will, wie viel ein Ticket von Zürich nach Kopenhagen kostet, wird auf die kostenpflichtige Telefonauskunft verwiesen. «Bei den Buchungsmöglichkeiten ist die Bahn gegenüber dem Flugverkehr in Rückstand geraten», räumt die SBB ein.
Damit man Nachtzüge einfacher buchen kann, hat sie in einem ersten Schritt das Portal Trainite.eu erstellt, zusammen mit den ÖBB und der Deutschen Bahn. Ab 2020 soll es möglich sein, internationale Sparangebote über mehrere Tage zu vergleichen.
Unabhängige Buchungsportale sind erst im Aufbau. Auf Trainline.com oder Omio.com kann man Zugverbindungen in ganz Europa buchen und Angebote miteinander vergleichen. Omio zeigt für die gesuchte Strecke auch Angebote mit dem Flugzeug oder dem Bus an. Somit ist sofort ersichtlich, welches Verkehrsmittel am günstigsten ist.
Allerdings sind auf beiden Portalen viele Zugverbindungen nicht buchbar und oft werden Sparangebote nicht berücksichtigt . Anders als beim Fliegen sind im Bahnverkehr die Daten nicht standardisiert und jeder Anbieter hat sein eigenes Buchungssystem, seine eigene Stations-Kodierung und seine eigenen Richtlinien. «Durch diese Fragmentierung ist es besonders bei grenzüberschreitenden Strecken sehr komplex, günstige Angebote der einzelnen Anbieter miteinander zu kombinieren», heisst es bei Omio.
«Damit der Nachtzug eine Alternative zum Fliegen wird, braucht es die Politik», sagt Bernhard Knierim. Der Luftverkehr werde heute bevorteilt. «Würden fürs Fliegen die Umweltkosten verrechnet und fielen die indirekten Subventionen weg, wäre die Bahn bei den Preisen konkurrenzfähiger.» Bei Flügen wird keine Kerosinsteuer und keine Mehrwertsteuer erhoben. Die Bahngesellschaften hingegen müssen Trassegebühren für die Nutzung des Schienennetzes zahlen und in Österreich, Deutschland, Spanien, Holland und Belgien zusätzlich Mehrwertsteuer. Zudem gibt es beim Bahnfahren deutlich ausgeprägtere Fahrgastrechte, etwa bei Entschädigungen für Verspätungen
.
«Die EU setzt hingegen allein auf den Markt. Das ist zu wenig.»
Edwin Dutler, Pro Bahn
Zwar diskutieren heute die Schweiz und viele europäische Länder eine Flugticketabgabe. Und in Bern sind zahlreiche Vorstösse hängig, die Nachtzüge fördern wollen. «Ein internationales Nachtzugnetz ist aber nur möglich, wenn es auf europäischer Ebene vorangetrieben wird», sagt Dutler.
Nachtzüge gewinnbringend zu betreiben sei schwierig. Gut ausgebaute Nachtzugnetze gebe es nur dort, wo die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen bereitstelle, sagt Dutler. Etwa in Schweden, Norwegen, Finnland oder Russland, teilweise auch in Italien und Grossbritannien. «Die EU setzt hingegen allein auf den Markt. Das ist zu wenig.»
2019 gibt es sieben Nachtzugverbindungen von der Schweiz ins Ausland. Alle werden von der ÖBB oder ihren Partnern betrieben.
- Zürich-Hamburg (mit Halt in Basel)
- Zürich-Berlin (mit Halt in Basel)
- Zürich-Wien (mit Halt in Sargans und Buchs SG)
- Zürich-Budapest (mit Halt in Sargans und Buchs SG)
- Zürich-Graz (mit Halt in Sargans und Buchs SG)
- Zürich-Zagreb (mit Halt in Sargans und Buchs SG)
- Zürich-Prag (mit Halt in Sargans und Buchs SG)
Alle Nachtzugverbindungen in Europa finden Sie hier.
1 Kommentar
Früher reiste ich nach Wien, Prag, Amsterdam, Stralsund ... immer mit dem Nachtzug. Morgens kam ich an, stellte mein Gepäck ins Hotel und genoss ausgeruht den ersten Tag. Warum die Hohlkugeln von Entscheidungsträgern diese Nachtzüge strichen ist mir unerklärlich. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Züge nicht ausgelastet wären, wenn ich daran denke, wie oft ich zu hören bekam, für diesen Zug habe es kkeinen Platz mehr. Aber vermutlich entschieden die Hohlkugeln so, umzutesten, wie lange es bei einem Vakuum braucht, dass die Hohlkugel implodiert.