Darum bleiben die Passagiere aus
Für 11 Franken von Zürich nach Bern, für 16 Franken von Luzern nach Lugano: Fernbusse sind deutlich günstiger als die Bahn – und trotzdem praktisch leer.
Veröffentlicht am 29. Oktober 2018 - 12:28 Uhr,
aktualisiert am 29. Oktober 2018 - 11:51 Uhr
Eurobus stellt Betrieb ein
Ab dem 15. November 2019 werden die sechs Fernbusse von Eurobus nicht mehr fahren. Die Eurobus-Gruppe stellt den Betrieb nach knapp eineinhalb Jahren ein. Die Nachfrage sei deutlich unter den Erwartungen geblieben, begründet das Unternehmen den Schritt.
Eine Mitschuld am Scheitern gibt Eurobus der Gesetzgebung und wie diese vom Bundesamt für Verkehr ausgelegt wird: Das Unternehmen sieht sich gezwungen, Teilstrecken oder Fahrpläne beizubehalten, für welche praktisch keine Nachfrage bestehen. Eine im Juli 2019 eingereichte Anpassung des Fahrplanes auf den bestehenden Strecken habe bis dato nicht umgesetzt werden können. Auch hätten die zuständigen Stellen bis heute nicht darüber entschieden, ob Eurobus Nacht- und Frühanbindungen an die Flughäfen anbieten dürfe.
Somit gibt es ab Mitte November keine Schweizer Fernbusverbindungen mehr. Vielleicht aber nicht für lange: Das österreichische Busunternehmen Dr. Richard hat bereits vor einem Jahr eine Konzession für Schweizer Fernbusverbindungen beantragt, diese bis jetzt aber noch nicht erhalten. «Wir gehen davon aus, dass mit der Betriebseinstellung von Eurobus der Erteilung einer Konzession an Dr. Richard nichts mehr im Wege steht», schreibt das österreichische Unternehmen. Geplant sind vorerst drei Verbindungen.
Bestehen bleiben die Busverbindungen von der Schweiz ist Ausland, wie sie unter anderem Flixbus anbietet. Gemäss Gesetz ist es aber verboten, dass Passagiere diese Linien für Reisen innerhalb der Schweiz nutzen. Wer von Zürich nach St. Gallen fahren will, darf nicht den Bus von Zürich nach München nehmen und in St. Gallen aussteigen.
Zürich Hauptbahnhof, Mittwochmorgen, 8.02 Uhr: Der Intercity nach Bern fährt ein. Vor den Türen bilden sich Menschentrauben. Innerhalb von wenigen Minuten ist auch der letzte der 1300 Sitzplätze besetzt.
Gleicher Tag, gleiche Zeit, 200 Meter entfernt auf dem Car-Parkplatz beim Sihlquai: In den «Eurobus» nach Bern steigen neun Personen ein. Die Strecke von Chur her fuhr der Bus leer. An der Endstation in Sitten werden noch drei Personen an Bord sein – Chauffeur inklusive.
Fünf Monate nach dem Start ist der «Fernbus» in der Schweiz noch nicht angekommen. Ob zwischen Zürich und Bern, Baden und Basel oder Luzern und Lugano – in den Bussen sitzen meist nur eine Hand voll Passagiere, wenn überhaupt. Roger Müri, Leiter Fernbus bei Eurobus, will keine Zahlen zur Auslastung nennen. «Sie ist aber sicher noch nicht da, wo wir sie gerne hätten», sagt er.
Nationale Busverbindungen gibt es in der Schweiz seit Juni. Das Windischer Busunternehmen Eurobus hat als erstes eine Lizenz gelöst und betreibt zurzeit drei Linien. Sie fahren zweimal täglich die meisten grösseren Städte an sowie die Flughäfen Zürich, Basel und Genf.
Aktuelles Liniennetz Eurobus
Die neuen Busverbindungen sollen eine «punktuelle Ergänzung» des öffentlichen Verkehrs bringen, hofft der Bundesrat. Mit der «Ergänzung» meint er eine günstigere Alternative zur Bahn. Denn Busse können deutlich niedrigere Billettpreise anbieten: Zürich – Bern kostet zwischen 11.40 und 16.80 Franken. Bei der SBB sind es ohne Halbtax 51 Franken. Von St. Gallen zum Flughafen Basel zahlt man für den Bus 9.80 bis 14.50 Franken, für den Zug 63 Franken.
Dafür ist der Bus deutlich langsamer: Von Zürich nach Bern dauert die Fahrt 40 Minuten länger als mit dem Zug, von St. Gallen nach Genf sogar 3 Stunden. Dazu kommen deutlich weniger Verbindungen und oft auch schlechte Anschlüsse an den übrigen öffentlichen Verkehr. In Bern etwa hält der Fernbus weit draussen beim Car-Parkplatz Neufeld. Die fünf Stationen mit dem Stadtbus zum Hauptbahnhof kosten mit 4.60 Franken fast die Hälfte des Fernbus-Tickets von Zürich nach Bern. Weiter gibt es an den meisten Fernbus-Stationen keinerlei Infrastruktur, keine Durchsagen, keine Fahrpläne, manchmal sogar kaum eine Sitzgelegenheit. Zudem drohen Verspätungen wegen Stau.
Bislang nutzen vor allem Rucksack-Touristen die Fernbusse. Leute wie Ana, 23 aus Russland. «Ich habe im Internet nach der günstigsten Möglichkeit gesucht, wie ich von Zürich nach Bern komme», sagt sie. Ebenfalls mit dem Bus fährt Esther Streit, eine Frau in den 60ern aus Zürich. Sie besucht in Bern ihre Schwester, hat genügend Zeit, und zahlt für die Fahrt gerade mal 5.70 Franken – denn ihr Halbtax ist auch im Fernbus gültig, genauso das GA.
Als regelmässige Bahnfahrerin ist Frau Streit jedoch die Ausnahme im Bus. Im Zug von Zürich nach Bern kann sich niemand vorstellen, den Bus zu benutzen. Wichtigstes Argument ist die Zeit und dass man nicht wie von der S-Bahn bequem auf den Schnellzug wechseln kann. Dazu kommt der bessere Service, die grössere Bewegungsfreiheit während der Fahrt und die Zufriedenheit mit der SBB. Eine Fahrt nach Berlin würde sie eventuell noch im Bus unternehmen, sagt eine ältere Frau. «Dass jemand von Zürich nach Bern den Bus nehmen will statt den Zug, glaube ich jedoch nicht.»
Eurobus hingegen glaubt nach wie vor daran. Ebenso der Partner Flixbus, das grösste Busunternehmen im deutschsprachigen Raum. Das Unternehmen mit Sitz in München bietet schon seit mehreren Jahren Verbindungen von der Schweiz ins Ausland an. Und Ende Oktober kündete nun auch das zweitgrösste Busunternehmen Österreichs, Dr. Richard, an, in der Schweiz aktiv zu werden. So bald wie möglich will man mit Albus Zürich als Partner einen Busbetrieb zwischen Schweizer Städten einrichten. Selber inländische Verbindungen anbieten dürfen ausländische Unternehmen nicht. Deshalb ist es Flixbus auch nicht erlaubt, zum Beispiel auf der Strecke Zürich-München Passagiere bis nach St. Gallen mitzunehmen.
Geplantes Streckennetz Dr. Richard
Die Busunternehmen sind überzeugt, es brauche Zeit, bis die Leute das neue Angebot im Bahnland Schweiz annehmen. Ausserdem entspreche das Liniennetz nicht den Bedürfnissen, räumt Müri von Eurobus ein. Noch dieses Jahr will das Unternehmen die Strecken von Chur nach Zürich und von Montreux nach Sitten aufheben und einzelne Stopps in kleinen Orten streichen. Dafür will man eine Direktverbindung von Zürich nach Luzern einführen und mehr Verbindungen zwischen Zürich und Basel sowie Lausanne und Genf anbieten. «Am besten funktionieren die Verbindungen zwischen den grössten Städten», sagt Müri. Fürs nächste Jahr plant Eurobus zudem Nachtlinien. Hier, sowie bei den Anschlüssen frühmorgens an die Flughäfen vor dem ersten Zug, sehen die Busunternehmen grosses Potenzial.
«Am besten funktionieren die Verbindungen zwischen den grössten Städten.»
Roger Müri, Leiter Fernbus bei Eurobus
Für eine bessere Anbindung an Bahn und Regionalbusse brauche es die Unterstützung der Politik, sagt Müri: «In manchen Städten drängt man uns an den Rand des Siedlungsgebiets.» So etwa in Bern, Sitten oder Chur, wo es den Fernbussen nicht erlaubt ist, ihre Passagiere auf Haltestellen im Stadtzentrum ein- und aussteigen zu lassen. «Damit verhindert man, dass wir zu einem Ausbau des ÖV-Angebots beitragen.»
Tatsächlich sind viele Politiker gegenüber Fernbussen skeptisch. Sie befürchten, dass die privaten Unternehmen der öffentlich finanzierten SBB auf lukrativen Strecken Kunden abjagen – und die SBB dann noch mehr Subventionen benötigen würden. Der Nationalrat und der Ständerat haben deshalb im September festgesetzt, dass Fernbussse bestehende Bahnlinien «nicht existenziell gefährden dürfen».
Wie stark Fernbusse die Bahn konkurrenzieren, ist allerdings umstritten. In Deutschland nutzen im öffentlichen Fernverkehr inzwischen gut 13 Prozent den Bus. Studien sagen, die Hälfte davon hätte für ihre Reise sonst den Zug genommen, die andere Hälfte das Auto. Fernbusse holen also einen Teil der Reisenden von der Schiene auf die Strasse, den anderen Teil aber aus dem Privatauto hinaus in den ÖV. Ob diese Erhebung auch für die Schweiz Aussagekraft hat, ist jedoch fraglich. Die Strecken sind kürzer, die Fahrgewohnheiten anders. Der Verband öffentlicher Verkehr rechnet damit, dass Fernbusse auf In- und Ausland-Strecken der Bahn rund 6 Prozent Fahrgäste wegnehmen könnten.
Auch über die Ökobilanz der Busse gehen die Meinungen auseinander. Bei Messungen in Deutschland weist die moderne Flotte von Flixbus eine ähnliche Klimabilanz auf wie die Bahn. Anders als in der Schweiz fährt dort der Zug aber mehrheitlich mit Kohle-Strom. Der Strom der SBB hingegegen stammt zu 90 Prozent aus Wasserkraft. Genauso entscheidend für die Ökobilanz ist jedoch die Auslastung. Und hier – das zeigt der Vergleich der beiden Verbindungen von Zürich nach Bern – stehen zurzeit rappelvolle Züge einem 90 Prozent leeren Bus gegenüber.
Ab 9. Dezember kann man Fernbus-Tickets von Eurobus auch mit der SBB-App kaufen. Im Gegensatz zum Zug ist für den Bus eine Sitzplatzreservierung obligatorisch. Sie ist im Verkaufspreis inbegriffen. Bereits heute ist es möglich, sich über die SBB-App über die Fahrpläne der Fernbusse zu informieren.
Einen Überblick über Zug- und Busverbindungen und einen Preisvergleich bietet auch www.ch.omio.com.