Für ein Selfie vor der Golden Gate Bridge posieren, im Yosemite-Nationalpark wandern und Wein im Napa Valley degustieren: Die Zürcherin Mirjam Studer* will diesen Herbst nach Kalifornien reisen. 1001 Franken verlangt die Swiss für einen direkten Retourflug nach San Francisco.

Studer muss auf ihr Budget achten, darum wählt sie eine günstigere Variante: Wenn sie einen Flug nach Las Vegas mit Zwischenstopp in San Francisco bucht, kostet die Reise nur 860 Franken. Wieso also nicht in San Francisco aussteigen, den Flug nach Las Vegas verfallen lassen und beim Retourflug erst in San Francisco einsteigen?

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Aus Sicht der Swiss ist das nicht erlaubt. Die Airline verlangt, dass Kunden alle gebuchten Teilflüge in der vorgegebenen Reihenfolge abfliegen. So steht es in den Beförderungsbestimmungen. Wenn Studer den Flug nach Las Vegas bucht, müsse sie bis dorthin weiterfliegen und von dort aus den Rückflug antreten. Falls sie in San Francisco aussteigt, streicht ihr die Swiss alle weiteren Flüge – auch den Rückflug.
 

«Um meinen bereits bezahlten Rückflug zu nehmen, hätte ich also fast noch mal so viel hinblättern müssen, wie ich für die ganze Reise gezahlt habe.»

Adrian Hofer *


Das gilt auch bei direkten Hin- und Rückflügen. Wie bei Adrian Hofer *. Er musste geschäftlich nach Brüssel und buchte für 150 Franken einen Retourflug mit Swiss von Zürich in die EU-Hauptstadt. Wegen einer Programmänderung musste er aber früher anreisen.

Hofer informierte die Swiss, dass er den Zug nach Brüssel nehme. Man bot ihm für eine Umbuchungsgebühr von 138 Franken an, den Rückflug nach Zürich anzutreten – «obwohl es nichts umzubuchen gab», so Hofer. «Um meinen bereits bezahlten Rückflug zu nehmen, hätte ich also fast noch mal so viel hinblättern müssen, wie ich für die ganze Reise gezahlt habe», nervt er sich. Er verzichtete und buchte den Rückflug bei der Konkurrentin KLM. Kosten: bloss 115 Franken.

No-Show-Passagiere passen nicht ins Businessmodell

Sogenannte No-Show-Passagiere sind Fluggesellschaften wie der Swiss oder der Lufthansa ein Dorn im Auge. Sie passen nicht ins Businessmodell der Netzwerk-Carrier. Das sind Airlines, die anders als Billiganbieter wie Easyjet ein ausgebautes Streckennetz mit Anschlussflügen haben.

«Wenn ein Kunde, der direkt fliegen will, eine Umsteigeverbindung bucht und nur einen Teil davon fliegt, umgeht er das Tarifangebot der Airline», heisst es bei der Swiss. «Unter Umständen können Flüge dann nicht nachhaltig profitabel durchgeführt werden. Das könnte letztlich zur Einstellung einer Strecke führen.»

Die Swiss verkauft lieber ein teureres Ticket: im Fall Hofer, der nur die Rückreise antreten wollte, ein teureres One-Way-Ticket, und bei Umsteigeflügen einen hochpreisigen Direkt- oder Gabelflug.

Airlines gehen juristisch gegen Kunden vor

Gegen Passagiere, die sich nicht an ihre Regeln halten, gehen Airlines hart vor. Sie drohen, bereits bezahlte Flüge zu streichen , oder verlangen hohe Zusatzgebühren wie im Fall Hofer. Sie gehen damit sogar das Risiko ein, Kunden zu verlieren.

Schwieriger zu kontrollieren ist für Airlines, ob Gäste bei Umsteigeflügen den letzten Teilflug antreten. Für clevere Fluggäste kann das besonders attraktiv sein. Die Airline kann zur Strafe keine Folgeflüge streichen, der Reisende hat sein Ziel ja bereits erreicht. 

In den USA gibt es mit Skiplagged.com sogar ein Portal, das die preiswertesten Tickets dieser Art heraussucht. Der Betreiber der Website warnt jedoch davor, den Trick zu häufig anzuwenden. Denn Airlines gehen neuerdings juristisch gegen Kunden vor, die den letzten Teil ihrer Reise auslassen.

Passagier musste vor Gericht

In einem ersten, viel beachteten Fall verklagte die deutsche Swiss-Mutter Lufthansa 2018 einen Kunden. Er hatte eine Reise von Oslo über Frankfurt nach Seattle und zurück gebucht. Den Hinflug trat er normal an, den Rückflug jedoch nur bis Frankfurt. Den Flug Frankfurt–Oslo liess er verfallen und kaufte – ebenfalls bei Lufthansa – ein neues Ticket nach Berlin. Hätte er direkt den entsprechenden Gabelflug gekauft, wäre das viel teurer gewesen.

Die Lufthansa verwies in ihrer Klage auf ihre AGB und forderte eine Nachzahlung vom Passagier, insgesamt 2112 Euro plus Zinsen. Doch das Gericht wies die Klage ab – weil es für den Kunden intransparent sei, wie die Nachberechnung zustande gekommen sei. Die Airline hat Berufung eingelegt.

Auch andere Gesellschaften drohen Kunden, die den letzten Abschnitt einer Reise auslassen. Die amerikanische United forderte letztes Jahr einen Kunden auf, 3000 Dollar extra zu bezahlen. Sonst werde er betrieben. Sein Frequent-Flyer-Status wurde temporär auf Eis gelegt. American Airlines soll ähnlichen Druck auf einen Kunden ausgeübt haben.

Auch die Website Skiplagged ist für die Fluggesellschaften ein Ärgernis. Gegen den damals 22-jährigen Betreiber reichten die beiden US-Airlines United und Orbitz 2014 Zivilklagen ein – blitzten vor Gericht aber ab.

Salat weglassen, mehr zahlen

«Künftig werden wahrscheinlich noch mehr Fluggäste mit Klagen dieser Art konfrontiert sein», so der deutsche Reiserechtler Holger Hopperdietzel auf dem Portal Airliners.de. Was heisst das für Schweizer Kunden?

Es gebe einzelne No-Show-Fälle, bestätigt die Swiss, man sei bisher aber noch nicht gegen Kunden vorgegangen. Müssen No-Show-Passagiere nachträglich mit zusätzlichen Forderungen oder Betreibungen Checkliste Das ist zu tun bei einer Betreibung rechnen? Die Swiss schreibt nur, man behalte sich entsprechende Schritte vor.

Die Swiss beruft sich auf ein Urteil des Zivilgerichts Basel-Stadt, das ihre AGB als zulässig beurteilt hatte. Das stösst Experten sauer auf. «Das ist, als würde ich das Menü bestellen, den Salat weglassen – und müsste dafür noch draufzahlen», sagt Beobachter-Experte Martin Müller.

«Es braucht endlich eine Verbandsklage»

Nach Ansicht der Stiftung für Konsumentenschutz, des welschen Konsumentenverbands Fédération romande des consommateurs und des Beobachters verstösst die Regelung gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.

Das sieht auch Vito Roberto so, Professor für Privatrecht an der Universität St. Gallen. «Eine Leistung bloss teilweise in Anspruch zu nehmen, darf nicht zu einem höheren Preis führen.» Die Kunden dürften seiner Meinung nach einen Flug auslassen und hätten trotzdem Anspruch, weitere gekaufte Flüge zum eingekauften Preis anzutreten.

Für den Kunden sei es aber schwierig, sich gegen eine Airline zu wehren. «Es ist ein Unterschied zwischen Recht haben und Recht bekommen», sagt Roberto. Denn am Gate eine Diskussion über die Rechtslage anzuzetteln, sei wohl wenig zielführend – am Ende dürfte man womöglich einfach nicht mitfliegen. Auch Klagen von Einzelpersonen seien meist nicht erfolgreich: Die Flugbranche wisse solche zu verhindern, indem sie sich oft aussergerichtlich einige. Damit Fluggäste zu ihrem Recht kommen, brauche es endlich eine Verbandsklage.

Wieso ist ein Direktflug teurer als ein Umsteigeflug?

Das Vorgehen der Airlines ist auch aus Sicht des Klimaschutzes schlicht unverständlich. Wieso sollte ein Direktflug teurer sein als ein Umsteigeflug? Letzterer belastet das Klima durch zusätzliche Starts und Landungen deutlich stärker als ein Direktflug. Für Kunden ist es aber verlockend, die klimaschädliche Reise zu buchen, wenn sie damit Geld sparen.

Darauf angesprochen, argumentiert die Swiss, Preise würden durch «Angebot und Nachfrage bestimmt» – und der Klimaschutz sei der Airline grundsätzlich «ein wichtiges Anliegen». Dafür investiere man unter anderem aber in treibstoffeffiziente Flugzeuge und unterstütze CO2-Kompensationssysteme.


* Name geändert

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