Mit Übung zur Ruhe
Was man tun kann, wenn man entspannen will, dies aber nicht kann.
aktualisiert am 20. August 2021 - 13:57 Uhr
Frage: Ich habe Stress im Beruf. Deswegen bin ich nervös und leide unter Verspannungen. Ich habe es mit autogenem Training versucht, aber das brachte keine Entspannung . Im Gegenteil, mir kam dann nur wieder alles in den Sinn, was im Beruf noch zu erledigen wäre oder ungelöst ist.
Es ist ein normaler Vorgang: Wenn man endlich einmal zur Ruhe kommt , taucht alles auf, was einen in der Tiefe beschäftigt. Die Kraft, zu verdrängen und zu unterdrücken, lässt nach. Ich empfehle Ihnen aber, jetzt nicht einfach den Deckel wieder zu schliessen.
Machen Sie weitere Schritte in der eingeschlagenen Richtung, lassen Sie unerschrocken Ihre Sorgen noch etwas näher herankommen. Wenn Ihnen ein besserer Umgang damit gelingt, werden Sie je länger, je weniger nervös sein und sich weniger verspannen. Sie werden mehr innere Ruhe gewinnen.
Vielleicht ist das autogene Training für Sie nicht der richtige Weg. Moderner und zugleich viel älter ist die sogenannte Achtsamkeitsmeditation . Das aus dem Lateinischen kommende Wort « Meditation» soll «Nachsinnen», aber auch «Üben» bedeuten und mit dem Wort «Musse» verwandt sein. In östlichen Religionen, vor allem im Buddhismus, spielt die Methode eine zentrale Rolle. Meditationsübungen sollen dem Menschen nicht nur zur inneren Ruhe verhelfen, sondern ihn auch heilen, ihn zur Ganzheit führen, zurück zu sich selbst.
Unser Alltag ist hektisch. Stress gehört zum modernen Leben. Wir haben Rollen zu spielen, die uns zum Teil nicht auf den Leib passen. Wir stehen unter Zeitdruck, müssen uns im Wettbewerb bewähren. Unerwartete Ereignisse drohen uns aus der Bahn zu werfen. Wir haben einen gewissen Grad an Verletzlichkeit beziehungsweise an Belastbarkeit ererbt , und wir können auch den Gang der äusseren Ereignisse nicht beeinflussen. Einzig unseren Umgang damit können wir verändern.
Meditation ist keine Flucht vor dem Alltag, sondern lässt sich ins tägliche Leben integrieren. Sie ist das Gegenteil von Beschäftigung oder Geschäftigkeit. Man gibt sich einer Situation oder Tätigkeit vollständig hin und achtet darauf, wie sie beschaffen ist. Man lässt Gefühle, Gedanken und Bilder zu, die dabei entstehen. Achtsamkeit heisst dabei: im Hier und Jetzt einfach wahrnehmen, was ist, ohne zu urteilen.
Natürlich sind es nicht die Ereignisse selbst, die uns belasten, sondern die Gefühle, die diese auslösen: Ärger, Ängste, Sorgen, Befürchtungen. Achtsam sein bedeutet, weder diese schlechten noch die guten Gefühle zu bewerten, sondern einfach zu akzeptieren, dass sie da sind. Wer sich traut, stellt fest, dass Gefühle sich nach einer Weile abschwächen und verschwinden. Die positiven, leider, aber zum Glück auch der tiefste Schmerz – wenn wir nicht dagegen ankämpfen.
Wir lernen in unserer Kultur eher, nur zu beachten, was uns nützt, Unangenehmes zu verdrängen und immer «aufgestellt» zu wirken. Achtsamkeitsmeditation braucht also systematisches Training. Man lernt zuerst, auf seinen Atem zu achten, ohne ihn zu beeinflussen, oder im sogenannten Bodyscanning den ganzen Körper zu spüren – ohne Bevorzugung bestimmter Bereiche. So erwirbt man allmählich die schauende und akzeptierende Haltung gegenüber sich selbst, den andern und der Welt.
Der US-Psychologe Jon Kabat-Zinn hat in den achtziger Jahren ein achtwöchiges Stressreduktionsprogramm auf der Basis von Achtsamkeitsmeditation entwickelt und seine Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen. Auch in der Schweiz werden heute solche Kurse angeboten, und es gibt Kliniken, die mit der Achtsamkeitsmethode arbeiten. Für eine erste Begegnung empfiehlt sich das Buch von Edel Maex.