Was früher mit «Big Brother» eine Horrorvision war, ist heute Realität: Intelligente Videosysteme mit hochauflösenden Kameras überwachen in der Schweiz die Strassen.

Sie scannen nicht nur die Kennzeichen von Autos, sondern auch die Gesichter der Fahrerinnen, wie der Beobachter schon früher thematisierte. So weiss die Polizei binnen Sekunden, wer gerade den Autobahnabschnitt passierte.

Der Kanton Luzern hat bei der Revision des Polizeigesetzes die Grundlagen dafür geschaffen – obwohl der kantonale Datenschützer mit deutlichen Worten davor gewarnt hatte. Nun kassiert die Regierung die Quittung dafür. Das Bundesgericht hebt die Regelung auf.

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Polizei überschreitet Kompetenzen mit Überwachung

Die Luzerner Polizei wollte das System zur Verfolgung bestimmter mehr oder weniger schwerer Straftaten verwenden können. Nur: Damit hat der Kanton seine Gesetzgebungskompetenz überschritten.

«Überwachungsmassnahmen zum Zweck der Strafverfolgung bedürfen vielmehr einer Grundlage in der eidgenössischen Strafprozessordnung», so das Bundesgericht. Es handle sich um einen «unverhältnismässigen Grundrechtseingriff».

Der Entscheid hat Auswirkungen auf die ganze Schweiz. Denn Luzern hat mit der Revision des Polizeigesetzes eine Empfehlung der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) umgesetzt – und sich auf deren Mustergesetzestext abgestützt. 

Rahel Estermann ist Mitglied der Digitalen Gesellschaft, Luzerner Kantonsrätin der Grünen und eine der Klägerinnen gegen das Luzerner Polizeigesetz. Für sie ist klar: «Die automatische Fahrzeugfahndung muss man nach diesem Entscheid in jedem Kanton nochmals anschauen und prüfen, was in Übereinstimmung mit den Grundrechten möglich ist. Offensichtlich deutlich weniger, als bisher angenommen wurde.»  

In Luzern sollten die Daten 100 Tage aufbewahrt werden dürfen. Sie hätten genutzt werden können, um beispielsweise nachzuzeichnen, welchen Weg eine Verdächtige gefahren war, die am Tatort beobachtet wurde. Wohlgemerkt eine Person, die möglicherweise nichts mit dem begangenen Delikt zu tun hat. Das war einer der Hauptkritikpunkte des Luzerner Datenschutzbeauftragten.

Intelligente Kameras scannen Gesichter und Kennzeichen

«Diese Form der Massenüberwachung ist nicht zulässig», so Estermann. Aus ihrer Sicht gibt es zwei Lösungsmöglichkeiten. «Entweder man verzichtet ganz auf die automatische Fahrzeugfahndung – oder man macht sie, ohne die Daten zu speichern.»

Konkret: Wenn beim automatischen Erfassen kein Treffer in einer Datenbank erzielt wird, würden die Daten gleich gelöscht. «Das wäre das digitale Äquivalent eines Polizisten, der am Strassenrand steht und nach einem Kennzeichen sucht. Der würde auch alle anderen, nach denen nicht gesucht wird, umgehend vergessen.»

Schon im November 2022 hatte das Bundesgericht der automatisierten Fahrzeugfahndung im Kanton Solothurn eine Absage erteilt. Und klar festgehalten: «Die bildliche Erfassung der Fahrzeuginsassinnen und -insassen ist nicht zulässig.»

Quellen

  • Bundesgerichtsurteil 1C_63/2023 vom 17. Oktober 2024
  • Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 8. November 2024
  • Bundesgerichtsurteil 1C_39/2021 vom 29. November 2022
  • Luzerner Polizeigesetz
  • Telefonat mit Rahel Estermann
  • Botschaft zur Änderung des Polizeigesetzes
  • Artikel des Onlinemagazins «Zentralplus» zur Kritik des Datenschutzbeauftragten