Was ist Wucher und wie schützt man sich?
Wer Produkte und Dienstleistungen anbietet, darf die Preise selbst bestimmen. Einige Firmen nutzen das aus und verlangen Fantasiepreise. Doch nicht immer ist das Wucher.
Ein kleiner quadratischer Beistelltisch kostet 10 Franken bei Ikea. Mehr ist das Möbelstück aus Spanplatten und Papierfüllung aus Sicht des Herstellers offenbar nicht wert.
Auf der Website Techstudio.ch wird der Beistelltisch allerdings für satte 76 Franken angeboten. Eine Abzocke und Wucher, findet ein Beobachter-Abonnent. Doch ist das so?
Ausnutzen einer Notlage
Bei Wucher oder Übervorteilung bereichern sich Personen finanziell, indem sie die Notfall- und Zwangslage, die Abhängigkeit, die Unerfahrenheit oder auch die Schwäche im Urteilsvermögen einer Person ausnutzen. Das ist dann der Fall, wenn jemand ausgebeutet wird, der sich in einer geschwächten Lage befindet.
In Deutschland gilt es als Wucher, wenn der geforderte Preis doppelt so hoch ist wie der übliche Marktpreis. In der Schweiz gibt es keine solch fixe Regelung dazu.
Der Beistelltisch kostet bei Techstudio.ch fast das Achtfache des Originalpreises. Auf Anfrage erklärte die Firma, dass es sich beim Preis um einen Fehler handle.
Das Produkt wurde aus dem Sortiment entfernt. Weitere Ikea-Produkte, darunter der gleiche Tisch in Weiss, bleiben jedoch zu einem Vielfachen des Originalpreises im Sortiment.
Vertragsfreiheit statt Wucher
Trotz des hohen Preises handelt es sich nicht um Wucher, da niemand diesen Tisch in einer Notlage kaufen muss. Die Vertragsfreiheit geht auf dem Markt sehr weit.
Man kann als Verkäufer einen selbst bestimmten Preis festsetzen, erklärt Beobachter-Juristin Julia Gubler. «Hier wird niemand dazu gezwungen, die teurere Option zu kaufen. Jeder kann selbst entscheiden, ob ihm der quadratische Ikea-Beistelltisch aus Spanplatten so gut gefällt, dass er 76 Franken dafür zahlen will.»
7040 Franken für Sanitärdienst
Fälle von Wucher zeigen sich oftmals bei Notfall-Handwerkerdiensten. Wie die «Berner Zeitung» berichtet, verlangte ein Monteur für die Instandstellung eines verstopften Spülbeckens 7040 Franken. Die Kundin zeigte ihn wegen Wucher an.
Die Berner Staatsanwaltschaft gab ihr recht und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 48 Tagessätzen und einer Busse von 720 Franken. Der Entscheid ist rechtskräftig.
So wehre ich mich
Wer meint, dass die erhaltene Rechnung deutlich zu hoch ist und man ausgebeutet wurde, kann den Vertrag anfechten. Da Wucher strafbar ist, kann ebenfalls eine Anzeige bei der Polizei erstattet werden.
Expertin Gubler sagt, man müsse jeden Fall einzeln anschauen. «Die Voraussetzungen für die Anwendung von Wucher oder Übervorteilung sind oftmals nicht erfüllt, weil keine Not- oder Zwangslage vorhanden war.» Im Jahr 2023 wurden insgesamt 136 Fälle polizeilich registriert.
So beugen Sie Abzocke vor
- Machen Sie einen Preisvergleich im Internet.
- Wählen Sie nicht den erstbesten Notfalldienst, der nach einer Suchanfrage online erscheint.
- Mieter informieren sich bei der Vermieterschaft oder der Verwaltung. Meist haben sie für Notfälle eine Liste mit Handwerkerinnen bereit.
- Achten Sie auf das Auto und die Kleidung der Handwerker. Wenn Firmenlogos fehlen, ist Vorsicht geboten.
- Seriöse Handwerkerinnen machen einen Kostenvoranschlag. Fragen Sie auch in Notfällen vorgängig nach dem ungefähren Preis und lassen Sie sich diesen schriftlich geben.
- Wenn Sie etwas unterschreiben: Bestehen Sie auf einem Doppel. Und lassen Sie sich nicht zur Unterschrift drängen.
- Seriöse Handwerker, die einen Pikettdienst anbieten, finden Sie auf der Website Gebaeudetechniker24.ch. Sie wird von Suissetec, dem Branchenverband für Gebäudetechniker, geführt.
- Für seriöse Fenster- und Glasbaufirmen in der Region gibt es die Website des Fachverbands Fenster- und Fassadenbranche mit 165 Mitgliedern.
Weitere Tipps, wie Sie sich Ärger bei Notfällen ersparen können, lesen Sie hier.
1 Kommentar
Gerne ergänze ich hier noch die Information zum staatlich geförderten Wucher in der Stadt Luzern: von einem Auslandaufenthalt zurückgekommen wollte ich als Einwohner und Steuerzahler wieder die obligatorische Parkkarte bei der Stadtverwaltung holen (1 Jahr 600 Franken). "Geht leider nicht - das neue Gesetz! Sie müssen eine Bestätigung des Vermieters vorlegen, dass er für Sie keinen Parkplatz mehr hat."
Natürlich hat er Parkplätze, die er an Dutzende pendelnde Politiker und Chefbeamte in der Stadt Luzern vermietet - für 3600 Franken im Jahr. Solange diese Preise bezahlt werden, spiele halt der Markt. Da könne sie nichts machen, sagte die Dame...
Mein Auto, das ich Gott sei Dank nur wenige Male im Monat - dann aber dringend - benötige, steht nun 4km von meiner Wohnung entfernt und ich frage mich, ob die Steuerämter der Villengemeinden auch wirklich kontrollieren, dass die Pendler diese Parkplatzkosten auch als Lohnnebenkosten versteuern.