Trällern Sie am Morgen? Oder fluchen Sie?
Morgenmenschen stehen problemlos auf, Nachtmenschen weniger: Wer seinen Chronotyp kennt, kann ihn zu seinem Vorteil nutzen.
Veröffentlicht am 7. November 2024 - 14:46 Uhr
Der japanische Bestsellerautor Haruki Murakami steht jeden Tag um vier Uhr morgens auf und schreibt in aller Herrgottsfrühe. Anna Wintour, die Chefredaktorin der «Vogue», beginnt ihren Tag ebenfalls um vier Uhr.
Dagegen bleibt Musiklegende Bob Dylan bis spät in der Nacht wach. Der ehemalige US-Präsident Barack Obama arbeitet sogar um Mitternacht noch hoch konzentriert. Um diese Uhrzeit schläft Michelle Obama längst – und wird gegen fünf Uhr wach.
Murakami, Wintour und Michelle Obama sind Morgenlerchen. Barack Obama und Dylan gelten als Nachteulen. Mit diesen zwei Vogelarten beschreiben Forschende die Unterschiede im Schlaf-wach-Rhythmus . Denn wann wir einschlafen und aufwachen, ist mehr als eine blosse Vorliebe. Es gibt mindestens 350 genetische Unterschiede zwischen Lerchen und Eulen. Sie prägen auch die Persönlichkeit.
Frühaufsteher und Nachtaktive
Nach über vier Jahrzehnten Forschung wissen wir heute: Morgenmenschen sind tendenziell gewissenhafter und kooperativer. Und generell ausdauernder. Laut einigen Studien sind sie auch zielstrebiger und schieben Aufgaben seltener auf.
Nachtmenschen sind dafür kreativer . So soll George Sand immer gleich einen neuen Stapel Papier ergriffen haben, wenn sie einen Roman fertig hatte. Nachtmenschen sind aber auch risikofreudiger und achten potenziell weniger auf ihre Gesundheit. Marcel Proust war abhängig von Opiaten. Und Gustave Flaubert nahm wenig Rücksicht darauf, dass er an schwerer Epilepsie litt.
Aber nicht bei allen Nachteulen geht es so dramatisch zu. Sie sind zwar offener für Abwechslung und Abenteuer, aber es ist auch ein Vorteil, dass sie neue Ideen haben und sie verfolgen.
Von der inneren Uhr abweichen
Ob Morgen- oder Nachtmensch: Wer wiederholt gegen seine biologische Uhr verstösst , ist häufiger schlecht gelaunt und frustriert – auch wenn er genug Schlaf bekommt. Denn der individuelle Schlaf-wach-Rhythmus ist mit zahlreichen Abläufen im Körper verbunden, etwa mit der Hormonproduktion und der Verdauung.
Menschen, die berufsbedingt von ihrer inneren Uhr abweichen müssen, sind laut Studien anfälliger für Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aber es gibt Möglichkeiten, die Gesundheit zu schützen. Etwa mit Melatonin-Präparaten oder Lichttherapie. Das haben Fachleute der Chronobiologie herausgefunden – sie erforschen die Zusammenhänge zwischen dem Körper und der inneren Uhr . Damit die regelmässige Einnahme von Melatonin einen positiven Effekt hat, muss ein Facharzt oder eine Fachärztin, etwa der Endokrinologie, sie begleiten.
Auch Fachleute der sogenannten Chrononutrition wissen Rat. Das junge Forschungsfeld widmet sich den Wechselbeziehungen zwischen der inneren Uhr und der Nahrungsaufnahme . Ein Tipp lautet: Wenn Morgenlerchen nachts arbeiten, sollten sie ihre Hauptmahlzeit möglichst vor neun Uhr abends oder am frühen Morgen zu sich nehmen. Nachteulen sollten hingegen während ihrer Nachtschicht am Abend essen und feste Essenszeiten einhalten.
Zeitfenster optimal nutzen
Lerchen und Eulen können ihren Chronotyp zu ihrem Vorteil nutzen. Frühaufsteher und Frühaufsteherinnen sind am Vormittag besonders leistungsfähig, Nachteulen wiederum am Nachmittag. Diese Zeitfenster eignen sich besonders gut für komplizierte Aufgaben, die viel Konzentration und analytisches Denken erfordern. Auch wichtige Entscheidungen sollte man in jenem Zeitfenster treffen, in dem man am leistungsfähigsten ist.
Ähnliches gilt, wenn man eine neue Sprache und andere Dinge lernen will. Abendkurse könnten Morgenlerchen schwerfallen und sie frustrieren. Dasselbe gilt für Frühkurse bei Nachteulen.
Ausserhalb unseres optimalen Zeitfensters sind wir nicht nur weniger konzentriert – wir haben uns generell weniger gut im Griff. Laut einer Studie im Wissenschaftsjournal «Nature» schummeln Morgenmenschen eher am Abend, Nachteulen wiederum eher am frühen Morgen. Der Grund: Wir sind schlicht erschöpfter. Da leiden sowohl Selbstdisziplin als auch Selbstkontrolle – und dadurch sogar das moralische Verhalten.
Ausserhalb unserer täglichen Leistungsphase denken wir weniger geradlinig und konzentriert. Eine gute Zeit für kreative Aufgaben: Ideen – etwa für Geburtstagsgeschenke – fallen da leichter.
Familie und Freunde sollten wir aber möglichst im produktiven Zeitfenster treffen. So haben die Liebsten das Gefühl, dass sie unsere ganze Aufmerksamkeit bekommen, und das Miteinander lässt sich intensiver geniessen. Und es fällt leichter, Wichtiges zu besprechen. Sich am Morgen unterhalb der Woche zu sehen, ist natürlich schwierig. An Wochenenden geht das eher. Nachteulen können an Wochenenden denselben Schlafrhythmus einhalten wie in der Woche. So kommen sie am Montagmorgen leichter aus dem Bett.
Wenn uns auf der Arbeit eine erschöpfte Kollegin oder ein unkonzentrierter Kollege angähnt, wissen wir: Das könnte am Chronotyp liegen. Nachsichtiger als der amerikanische Schriftsteller W. H. Auden sollten wir allemal sein. Der sagte einst: «Nur die Hitlers dieser Welt arbeiten bei Nacht, kein ehrlicher Künstler tut so etwas.»
Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 3. November 2023 veröffentlicht.
Wie Morgenlerchen abends und Nachteulen morgens leistungsfähig bleiben
- Für einen schnellen Nachschub neuer Energie: einen kurzen, zügigen Spaziergang im Grünen machen.
- Um der Konzentration wieder auf die Sprünge zu helfen: kurz mit jemandem plaudern.
- Um körperliche und geistige Müdigkeit vorübergehend zu vertreiben: ein Nickerchen von 20, aber nicht mehr als 30 Minuten machen. Oder 20 bis 30 Minuten intensives Yoga.
- Wenn Nachteulen ein langer Tag bevorsteht: nicht wie üblich das Frühstück ausfallen lassen, sondern etwas Nahrhaftes essen, möglichst ohne Hetze.
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2 Kommentare
Ich bin eine Ausgesprochene Nachteule. Schon als Kind konnte ich Nächtelang Bücherlesen statt zu schlafen. Aber am morgen war ich Absolut nicht Ansprechbar. Heute ist es nicht mehr so schlimm aber man darf mich ein fach nicht zu kuatschen.
Forscher von der Charité Berlin haben vor einigen Jahren einen Gentest entwickelt mit dem sich der Chronotyp bestimmen lässt. Ich liess so einen vor etwa zweieinhalb Jahren machen. Seither kann ich jedes Gemotze wegen meinem Rhythmus mit der Genetik kontern.
Ich möchte hier interessierte Leute auf Folgendes hinweisen: Natürlich musste ich mich immer den offiziellen Standard-Arbeitszeiten anpassen und war damit bös aus meinem Rhythmus raus. Das Interessante dabei war aber, dass jedesmal, wenn es mir schlecht ging, sei es wegen Krankheit, Stress oder was auch immer, ich nullkommanichts in meinen natürlichen Nachtrhythmus gerutscht bin.
Um mich von meinem persönlichen Rhythmus in den wirtschaftlichen Standard-Rhythmus zu zwingen brauche ich, abhängig von meinem Zustand, 3-8 Tage bis es einigermassen läuft. Umgekehrt brauch ich, um vom üblichen Tagesrhythmus in meinen persönlichen Nachtrhythmus zu kommen, nicht mal einen ganzen Tag. Ich muss nur den Weckerzwang loslassen und bin sofort in meiner Zeit.
Vielleicht hilft diese Erkenntnis einigen, die auf der Suche nach ihrem Chronotyp sind.