Wie geht man damit um?
Kein Betrieb kann verhindern, dass ein Mitarbeiter depressiv wird. Aber alle können helfen, dass sich Erkrankte verstanden und akzeptiert fühlen.
Veröffentlicht am 27. Oktober 2017 - 16:09 Uhr,
aktualisiert am 14. Mai 2018 - 15:58 Uhr
Jeder fünfte Arbeitnehmer in der Schweiz leidet heute an einer psychischen Krankheit. Die Folgekosten sind exorbitant: Experten gehen von 20 Milliarden Franken jährlich aus. Seelische Erkrankungen sind eine Herausforderung für die Wirtschaft.
Dennoch werden sie häufig als individuelles Problem abgetan. «Insbesondere bei einer Depression steht schnell die Schuldfrage im Raum. Viele Menschen glauben, dass sich der Betroffene doch einfach zusammenreissen könnte», erklärt Niklas Baer, Leiter der Fachstelle Psychiatrische Rehabilitation der Psychiatrie Baselland und Autor der Studie «Der tägliche Wahnsinn». Tatsächlich hat eine Depression selten eine einzelne Ursache, sondern entsteht durch das Zusammenspiel psychosozialer Belastungsfaktoren, der eigenen Persönlichkeit und genetischer Voraussetzungen. Die Wahrheit ist also, dass es weder ausschliesslich die Arbeit ist, die krank macht, noch dass die Person selbst schuld ist, wenn sie erkrankt.
Deshalb hält es Theo Wehner, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich, für einen Fehler, den Blick nur auf das Individuum zu richten. Viele Arbeitnehmer sind gestresst, abgekämpft und erschöpft. Das habe mit gesellschaftlichen Strukturen, aber auch mit denjenigen im Betrieb zu tun. Häufig sei die naheliegende Lösung, jemanden für ein Zeitmanagement- oder Stressresistenz-Seminar anzumelden. «Damit signalisiert der Arbeitgeber klar, dass das Individuum anscheinend fehlangepasst ist.» Wehner dreht den Spiess um: «Wo es depressive Mitarbeiter gibt, muss man den Blick auf die Arbeitsaufgaben und Organisationsstrukturen lenken.»
Den ersten Schritt sieht Niklas Baer darin, psychische Krankheiten als Realität anzuerkennen. «Ein Betrieb kann nicht verhindern, dass Mitarbeiter krank werden. Das ist auch nicht seine Aufgabe. Doch er kann einen wichtigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben.» Viele Betroffene wollen arbeiten, da sie dadurch ihre Tagesstruktur und soziale Kontakte behalten sowie das Bewusstsein, dass sie wertvoll sind. Arbeitnehmer und Arbeitgeber wollen in vielen Fällen dasselbe: dass der Erkrankte bald wieder vollen Einsatz bringen kann. Keine einfache Aufgabe, wie Baers Studie beweist. Zum Zeitpunkt der Befragung waren bereits zwei Drittel der beschriebenen Arbeitsverhältnisse aufgelöst. Noch höher war die Zahl in den Fällen, in denen das Problem gar nicht angesprochen wurde oder wiederkehrend war. Häufig scheitert das Vorhaben also nicht am fehlenden gemeinsamen Ziel, sondern am Weg.
«Im Gespräch soll Mitgefühl und keinesfalls Kritik im Zentrum stehen.»
Birgit Watzke, Psychologieprofessorin
Zuerst muss eine Firma akzeptieren, dass psychische Erkrankungen einen entsprechenden Umgang verlangen. Entscheidend ist die Fehlerkultur. «Ein Unternehmen, das Schwierigkeiten negiert, schafft den Nährboden für einen problematischen Verlauf der psychischen Krankheit», sagt Baer. Der Grund sei, dass die Angst des Mitarbeiters, zu einer Schwäche zu stehen, zu gross wird. In der Regel eskalieren diese Situationen, sobald die schwächere Arbeitsleistung oder ein forderndes Beziehungsverhalten nicht mehr kompensiert werden kann.
Aus seiner Forschung weiss Baer, dass die Angst der Mitarbeiter vor Stigmatisierung immer noch sehr gross ist. Die Befragung der Arbeitgeber hat indes gezeigt, dass diese Angst übertrieben ist. «Die allermeisten Vorgesetzten gaben an, dass sie es sehr geschätzt hätten, wäre der Mitarbeiter offen mit dem Thema umgegangen», so Baer.
«Es soll vor allem Mitgefühl und nicht Kritik im Zentrum stehen.»
Birgit Watzke, Professorin an der Uni Zürich
Doch der Ball liegt nicht allein beim Betroffenen. Auch der Arbeitgeber kann mit sehr viel Feingefühl versuchen, das Thema anzusprechen. Birgit Watzke, Professorin am Psychologischen Institut der Universität Zürich, rät, weniger mit Begriffen und Diagnosen zu operieren als mit Beobachtungen. Idealerweise bitte der Vorgesetzte den Mitarbeiter zu einem informellen Gespräch, etwa bei einem Kaffee. «Anstatt von psychischer Erkrankung zu sprechen, empfiehlt sich zunächst die Beschreibung des Verhaltens und der Arbeitsleistung.» Auch sei es wichtig, zu schildern, welche Veränderungen man wahrnimmt, so Watzke. «Dabei soll vor allem Mitgefühl und keinesfalls Kritik im Zentrum stehen.»
Eine Gefahr, den Mitarbeiter in Panik zu versetzen, sieht Niklas Baer nicht. «Die Betroffenen sind ohnehin schon in konstanter Sorge, ihre Anstellung zu verlieren. Ein einfühlsamer Vorgesetzter, der Offenheit signalisiert, gemeinsam einen Weg durch diese schwierige Zeit zu finden, kann viel Druck nehmen.»
Das Problem: Weniger als 30 Prozent der Chefs sind im Umgang mit solchen Mitarbeitern geschult worden. Und weniger als ein Zehntel der hiesigen Betriebe pflegen eine systematische Beziehung zu einem Psychologen oder Psychiater. Während der Schutz vor physischen Gefahren sehr weit ausgebaut ist, fehlt es bei psychischen Belastungen meist an entsprechenden Massnahmen. Deshalb rät Baer dazu, möglichst früh einen Experten beizuziehen. Verheerend sei es, wenn Mitarbeiter monatelang krankgeschrieben würden und es keinen Kontakt zwischen Arzt und Arbeitgeber gibt. Bei einer schweren Depression ist ein Klinikaufenthalt zwar kaum zu vermeiden. Doch bei mittelschweren und leichteren Depressionen empfiehlt der Experte einen frühen Wiedereinstieg mit reduziertem Arbeitspensum und einer angepassten Tätigkeit.
Auch Transparenz innerhalb des Teams ist wichtig. Die Arbeitskollegen müssen verstehen, weshalb ein Kollege über einen bestimmten Zeitraum weniger leistet. «Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie irgendwann sauer werden, weil sie glauben, einer bekomme regelmässig eine ‹Extrawurst›», erklärt Baer.
Idealerweise institutionalisiert ein Unternehmen die Früherkennung im Betrieb. «Vorgesetzte sollten ihre Mitarbeiter darin unterstützen, eine gesunde Wahrnehmung und eine offene Kommunikation über ihr Be- und Empfinden am Arbeitsplatz zu äussern», erklärt ETH-Professor Wehner. Krank machende Faktoren am Arbeitsplatz sollten demnach nicht nur Experten diagnostizieren. Vielmehr sollen Mitarbeiter für solche Probleme sensibilisiert werden. Auch Infoveranstaltungen und präventive Massnahmen können gute Mittel sein, erklärt Birgit Watzke. «Einerseits signalisiert ein Chef damit Offenheit diesem Thema gegenüber, anderseits gibt es die Möglichkeit, frühzeitig zu handeln, wenn man bei einem Mitarbeiter ein gewisses Risiko feststellt.»
5 Kommentare
Leider ist es wahr. Du kannst nicht offen über deine Depression sprechen. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es dadurch nur noch schlimmer wird. Da es wie eine Waffe gegen dich gerichtet wird. Depression ist dunkel! Sprichst du es aus, wird es finster!
Das kann ich mir gut vorstellen. So wie es ist in der Schweiz
Geld Leistung Druck....immer gut drauf sein. Wer schlecht verdient rutscht sowieso hinein, Freizeit muss man heute bezahlen können sonnst bist Du Einsam, kommt hinzu. Mobbing ist in der Schweiz weit verbreitet, und wenn man was sagt gilt man als Psycho....dabei verursachen es ja gerade die echten Psycho Spinner.....,die es gut schaffen es zu verbergen. Heissen die nicht Nazisten.
Leider ist es so und dann kriegst Existenzängste die enden BEI schwerer Depression und geteralisierter Angst und kündigung wie bei mit
genau läuft schon seit Jahrzehnten so.....