Krankgeschrieben – was heisst das?
Krankheiten und Unfälle verursachen nicht nur körperliches Ungemach, sondern oft auch Probleme mit dem Arbeitgeber. Die Rechte und Pflichten von Angestellten.
Veröffentlicht am 7. Oktober 2024 - 13:24 Uhr durch Gitta Limacher
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Kürzere Absenzen wegen Erkältung oder Grippe verursachen in der Regel keine Schwierigkeiten am Arbeitsplatz. Die Abwesenheit lässt sich leicht überbrücken, man kann auf das Verständnis des Arbeitgebers zählen.
Doch längst nicht alle gesundheitlichen Störungen sind in ein bis zwei Wochen überstanden. Zeichnet sich eine längere Arbeitsunfähigkeit ab, fehlt jemand allzu häufig am Arbeitsplatz oder droht gar eine dauernde Behinderung, melden sich bei den Betroffenen Existenzängste. Hier die Antworten auf die häufigsten Fragen.
Arztzeugnis
Ab wann muss ich ein Arztzeugnis vorweisen?
Gesetzlich ist das nicht geregelt. Ab wann Sie Ihrer Vorgesetzten ein Arztzeugnis vorlegen müssen, steht meist im Arbeitsvertrag oder in einem Personalreglement.
Wenn nicht, sollten Sie sich bei der Arbeitgeberin erkundigen, was im Betrieb üblich ist. Gewöhnlich wird ein Arztzeugnis ab dem dritten Tag der Abwesenheit verlangt.
Krankgeschrieben arbeiten
Meine Ärztin hat mich für zehn Tage krankgeschrieben. Kann ich auch schon wieder früher arbeiten gehen, wenn ich mich fit fühle?
Nehmen Sie erst Rücksprache mit der Ärztin auf, damit das Arztzeugnis angepasst oder allenfalls festgelegt wird, welche Tätigkeiten Sie bei der Arbeit verrichten dürfen und welche nicht. Der Arbeitnehmer darf nichts machen, was seine Genesung verzögern oder behindern würde.
Eigenmächtige Entscheidungen könnten dazu führen, dass eine Krankentaggeldversicherung im schlimmsten Fall Leistungen kürzt, weil Sie sich nicht an die Anweisungen der Ärztin gehalten haben und dadurch Ihre Gesundheit beeinträchtigt wird.
Auch der Arbeitgeber darf Angestellte aufgrund seiner Fürsorgepflicht nicht einfach arbeiten lassen und muss sich an das Zeugnis der Ärztin halten. Falls Sie von ihm gedrängt werden, doch gewisse Arbeiten zu erledigen, weisen Sie ihn auf das Arztzeugnis hin.
Überstunden, weil man trotzdem arbeitet?
Ich bin zu 100 Prozent angestellt, zurzeit aber 50 Prozent krankgeschrieben. Wegen des grossen Arbeitsanfalls habe ich trotz Arztzeugnis mindestens 70 Prozent gearbeitet. Kann ich jetzt eine Überstundenentschädigung verlangen?
Nein. Überstunden sind definiert als diejenige Zeit, die man über das vertragliche Pensum hinaus arbeitet. Das ist bei Ihnen nicht der Fall. Die 70 Prozent sind immer noch weniger als Ihr volles Pensum.
Diagnose
Muss ich der Arbeitgeberin mitteilen, weshalb ich arbeitsunfähig bin?
Ein Arztzeugnis hat sich über Beginn, Dauer und Grad der Arbeitsunfähigkeit zu äussern. Ausserdem geht daraus hervor, ob es sich um Krankheit, Unfall oder allenfalls Schwangerschaft handelt.
Eine genaue Diagnose fällt unter das Arztgeheimnis und muss der Arbeitgeberin auch im persönlichen Gespräch nicht mitgeteilt werden. Sie können somit selbst entscheiden, ob und wie detailliert Sie die Chefin oder die Kollegen über Ihren Gesundheitszustand informieren wollen.
Vertrauensarzt
Mein Arbeitgeber glaubt nicht, dass ich krank bin, und verlangt, dass ich mich von einem Arzt seiner Wahl untersuchen lasse. Muss ich das akzeptieren?
Wenn der Chef an Ihrer Arbeitsunfähigkeit zweifelt, kann er Sie – auf seine Kosten – zu einem Vertrauensarzt seiner Wahl schicken. Sprechen Sie mit dem Vertrauensarzt offen über Ihre Probleme. Auch er ist ans Arztgeheimnis gebunden und nicht berechtigt, dem Arbeitgeber eine Diagnose oder andere Feststellungen weiterzugeben, die er während der Untersuchung gemacht hat. Seine Aufgabe ist es lediglich, Ihre Arbeitsunfähigkeit zu bestätigen oder eben nicht.
Darf die Chefin mich kontrollieren und gar bei mir vorbeischauen, wenn sie nicht glaubt, dass ich krank bin?
Nein. Wenn Sie krankgeschrieben sind, sollen Sie sich erholen. Verweisen Sie aufs Arztzeugnis und bitten Sie um die nötige Ruhe. Kontrollanrufe oder -besuche eignen sich nicht, um zu prüfen, ob Sie wirklich krank sind.
Erstens ist Ihre Chefin kein Ärztin und kann das gar nicht beurteilen. Zweitens verletzt sie Ihre Privatsphäre. Verweisen Sie auf eine Vertrauensärztin oder entbinden Sie Ihren Arzt von der Schweigepflicht gegenüber der Vertrauensärztin. Teilen Sie der Arbeitgeberin auch mit, wann Sie den nächsten Arzttermin haben und dass Sie sich danach wieder bei ihr melden, sobald Sie mehr wissen.
Lohnfortzahlung
Wie lange habe ich bei Krankheit Anspruch auf den vollen Lohn?
Von Gesetzes wegen muss der Arbeitgeber Ihnen während einer beschränkten Zeit – abhängig von der Anstellungsdauer – den Lohn weiterbezahlen. Wenn die Einzelheiten nicht im Arbeitsvertrag oder in einem Gesamtarbeitsvertrag geregelt sind, kann man sich an den Skalen orientieren, die einzelne Gerichte erstellt haben – die sogenannte Basler, Berner oder Zürcher Skala.
Viele Betriebe schliessen auch eine Taggeldversicherung ab, die in der Regel 80 oder 100 Prozent des Lohnausfalls während 720 Tagen bezahlt. Um Prämien zu sparen, beginnen die Versicherungssleistungen in der Regel nach einer Wartefrist von mindestens 30 Tagen. Maximal drei Karenztage davon dürfen zulasten des Arbeitnehmers gehen – sofern dies im Einzel- oder Gesamtarbeitsvertrag so vorgesehen ist. Erkundigen Sie sich beim Arbeitgeber nach den genauen Versicherungsbedingungen.
Unfall
Wie bin ich nach einem Unfall finanziell abgesichert?
Alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind obligatorisch gegen Unfälle versichert. Teilzeitbeschäftigte, die weniger als acht Stunden wöchentlich beim selben Arbeitgeber tätig sind, allerdings nur gegen Berufsunfälle (inklusive Arbeitsweg). Diese Versicherung übernimmt neben den Arzt- und Spitalkosten auch 80 Prozent des Lohnausfalls (bis zu einem maximalen Jahreseinkommen von 148’200 Franken).
Bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit wird das Taggeld anteilsmässig reduziert. Das Taggeld wird bis zum Erreichen der vollen Arbeitsfähigkeit oder zur Zusprechung einer Invalidenrente bezahlt, auch wenn das Arbeitsverhältnis in der Zwischenzeit endet.
Ferien
Ich bin wegen eines Burn-outs bis auf weiteres krankgeschrieben. In einem Monat wollten wir in die schon lange gebuchten Ferien fahren. Meine Ärztin befürwortet den Tapetenwechsel. Aber wie sieht das rechtlich aus?
Arbeitsunfähigkeit ist nicht immer gleichbedeutend mit Ferienuntauglichkeit. Wenn die Ärztin grünes Licht gibt, können Sie die Ferien beziehen. Wenn Sie nicht nur reisefähig, sondern auch erholungsfähig sind, werden Ihnen die Ferien aber trotz Arbeitsunfähigkeit voll als Ferienbezug angerechnet.
Falls die Ärztin zwar nichts gegen eine Reise hätte, Sie aber nicht zur Erholung fähig wären, beachten Sie: Viele Krankentaggeldversicherer verlangen gemäss ihren Versicherungsbedingungen, dass man vor einer Auslandreise frühzeitig ein Gesuch an den Versicherer stellen muss. Sonst wird das Krankentaggeld eingestellt. Wenden Sie sich direkt an den Versicherer.
100 Prozent arbeitsunfähig
Ich arbeite halbtags in einer Gärtnerei. Daneben verdiene ich in meinem privaten Töpferatelier etwas dazu. Nun hat mich der Arzt wegen Rückenproblemen zu hundert Prozent krankgeschrieben. Darf ich trotzdem in der Freizeit meine Töpferwaren verkaufen?
Ihr Arzt muss entscheiden, was Sie tun können und was nicht. Laut Bundesgericht bezieht sich ein Arztzeugnis, das Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, immer auf die vom Arbeitnehmer an einer bestimmten Stelle zu verrichtende Tätigkeit.
Es ist gut möglich, dass man für eine andere Arbeit ganz oder teilweise arbeitsfähig ist. Bitten Sie bei Bedarf den Arzt, das Zeugnis zu präzisieren. Mehr dazu lesen Sie im Artikel «Teilweise arbeitsunfähig: Wie viel muss ich arbeiten?».
Kündigungsschutz
Darf man mir kündigen, solange ich arbeitsunfähig bin?
Eine Zeitlang sind Sie bei ganzer oder teilweiser Arbeitsunfähigkeit vor einer Kündigung geschützt. Es gelten folgende Kündigungssperrfristen (ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit):
- 30 Tage im 1. Dienstjahr
- 90 Tage vom 2. bis und mit 5. Dienstjahr
- 180 Tage ab 6. Dienstjahr
Eine Kündigung, die der Arbeitgeber während dieser Perioden ausspricht, ist ungültig. In einem solchen Fall sollte der Chef per eingeschriebenen Brief auf seinen Fehler aufmerksam gemacht werden und die Arbeitnehmerin weiter ihre Arbeitsleistung anbieten (siehe Musterbrief unten). Nur so erhielten Sie weiterhin bis zur ordentlichen Vertragsauflösung den Lohn, auch wenn der Chef Ihr Arbeitsangebot ablehnt und Sie freigestellt werden.
Sobald die Sperrfrist jedoch abgelaufen ist oder Sie wieder hundertprozentig arbeiten können, ist eine Kündigung erlaubt – selbst wenn Sie noch in ärztlicher Behandlung sind. Tritt die Arbeitsunfähigkeit erst während der Kündigungsfrist ein, steht diese während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit still – längstens bis zum Ablauf der Sperrfrist. Das Arbeitsverhältnis verlängert sich entsprechend und endet dann am darauffolgenden Monatsende.
Beachten Sie: Wer rein arbeitsplatzbezogen krank ist (zum Beispiel wegen Mobbing) und in einem anderen Job voll arbeitsfähig wäre, geniesst gemäss Bundesgericht keinen Kündigungsschutz.
Wer während der Kündigungsfrist krank wird oder verunfallt, sollte den Arbeitgeber notfalls selber darauf hinweisen, dass sich dadurch das Arbeitsverhältnis verlängert. Beobachter-Mitglieder erhalten hierfür die nützliche Mustervorlage «Verlängerung der Kündigungsfrist wegen Arbeitsunfähigkeit», die man per Einschreiben dem Arbeitgeber überreichen kann.
Kündigungsfrist
Ich habe selbst gekündigt und bin kurz darauf für drei Wochen krank geworden. Meine Arbeitgeberin meint, ich müsse die verpasste Zeit nacharbeiten. Stimmt das?
Nein, das müssen Sie nicht. Da Sie selbst gekündigt haben, ändert die Krankheit nichts an der Dauer der Kündigungsfrist. Eine Verlängerung der Kündigungsfrist hätte nur stattgefunden, wenn die Kündigung von der Arbeitgeberin ausgegangen wäre.
Mitwirkungspflicht
Die Krankentaggeldversicherung meines Arbeitgebers will von mir eine Vollmacht, um Einblick in medizinische Unterlagen von Ärzten, Versicherungen und Behörden nehmen zu können. Muss ich das unterschreiben?
Sie haben gegenüber der Versicherung eine Mitwirkungspflicht. Das heisst, Sie müssen gewährleisten, dass der Versicherer überprüfen kann, ob er seine Leistungen zu Recht erbringt. Das kann er in der Regel nur, wenn Sie ihn bevollmächtigen, die massgebenden Akten einzusehen.
Sie können vom Versicherer aber Einzelvollmachten verlangen und erteilen. So sehen Sie transparent, welche Informationen der Versicherer bei welcher Stelle über Sie einholen möchte. Eine weitere, aber eventuell heikle Möglichkeit wäre, die Vollmacht einzuschränken, wenn Sie Ihnen zu weit geht. Sie können beispielsweise nur den Vertrauensarzt des Versicherers ermächtigen, sich beim behandelnden Arzt zu informieren.
Besprechen Sie das aber mit dem Versicherer und handeln Sie eine Lösung aus. Sonst riskieren Sie, dass der Versicherer die Leistungen einstellt – mit der Begründung, Sie hätten Ihre Mitwirkungspflicht verletzt.
Krankentaggeldversicherung bei Kündigung
Man hat mir nach Ablauf der Sperrfrist gekündigt, obwohl ich immer noch krank bin. Zahlt die Krankentaggeldversicherung weiter?
Das hängt vom Versicherungsvertrag ab. Endet der Taggeldanspruch für den laufenden Versicherungsfall beim Austritt und sind Sie arbeitslos, können Sie die Krankentaggeldversicherung des bisherigen Arbeitgebers in eine Einzelversicherung überführen. Sie erhalten dann weiterhin das versicherte Taggeld, müssen allerdings die teuren Prämien aus der eigenen Tasche bezahlen.
IV: Früherfassung
Ich bin gesundheitlich stark angeschlagen und befürchte, dass ich nicht mehr in meinen anstrengenden Beruf zurückkehren kann. Was tun?
Wenn Sie schon länger als 30 Tage arbeitsunfähig sind, sollten Sie sich bei der zuständigen IV-Stelle zu einer sogenannten Früherfassung anmelden. Die IV wird mit Ihnen Kontakt aufnehmen und abklären, ob ohne geeignete Massnahmen eine Invalidität droht.
Dabei wird auch geprüft, ob es beim jetzigen Arbeitgeber Beschäftigungsmöglichkeiten für Sie gibt oder ob Ihnen ein anderer Arbeitsplatz vermittelt werden kann. Massnahmen der Frühintervention sind zum Beispiel Anpassung des Arbeitsplatzes, Kurse, Arbeitsvermittlung oder Berufsberatung. Können Sie nicht mehr ins Erwerbsleben eingegliedert werden, stellt sich die Frage nach einer IV-Rente.
Achtung: Die Meldung zur Früherfassung ist nicht das gleiche wie der IV-Antrag. Um keine Leistungen zu verlieren, sollten Sie den IV-Antrag auf Eingliederung oder Rente spätestens in den ersten sechs Monaten Ihrer Arbeitsunfähigkeit einreichen.
Überbrückung bis zur IV-Rente
Ich bin dauernd arbeitsunfähig geworden und habe meine Stelle verloren. Der Antrag auf eine IV-Rente läuft. Wo bekomme ich bis zum Entscheid der IV finanzielle Unterstützung?
Wenn Sie zu mindestens 20 Prozent versuchsweise in einer leidensangepassten Tätigkeit arbeitsfähig sind, sollten Sie sich während der Wartezeit bei der Arbeitslosenversicherung anmelden. Das schadet Ihren Chancen auf eine IV-Rente nicht. Denn zwischen Invaliden- und Arbeitslosenversicherung besteht eine Koordination, die verhindern soll, dass Invalide in ein finanzielles Loch fallen.
Bis zum Entscheid über allfällige Rentenansprüche ist vorerst die Arbeitslosenversicherung zuständig. Sollte sich später herausstellen, dass Sie Anspruch auf eine IV-Rente haben, rechnet die IV zuerst mit der Arbeitslosenversicherung ab. Das heisst, die Renten, die Ihnen für die Zeit des Taggeldbezugs zustehen, werden für die Rückzahlung an die Arbeitslosenkasse verwendet.
Können Sie jedoch gar nicht arbeiten, sind Sie nicht vermittelbar und erhalten von der Arbeitslosenversicherung keine Vorschussleistungen. Kommen Sie wegen fehlender Krankentaggelder oder geendeter Lohnfortzahlung in eine finanzielle Notlage, können Sie Sozialhilfe beantragen.
Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals im Januar 2012 veröffentlicht und nun aktualisiert. (7.10.2024)
Bei einer Krankheit oder einem Unfall haben Arbeitnehmer Rechte und Pflichten. Wie lange erhält man bei Arbeitsunfähigkeit noch den Lohn? Darf der Chef einfach kündigen? Was darf man mit einem Arztzeugnis noch in der Freizeit tun? Erhalten Sie als Beobachter-Mitglied Antworten auf diese und weitere Fragen.
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