Beobachter: Julian Jakob, die grossen Tabakkonzerne sagen uns seit Jahren, sie arbeiteten auf eine rauchfreie Welt hin. Was halten Sie davon?
Julian Jakob: Das wäre schön, aber es ist ein Widerspruch in sich. Das ist, als ob ein Badmeister für eine Welt ohne Pool weibeln würde. Es ist ein Vorwand, um sich besser zu präsentieren, als man tatsächlich ist.

Zur Person

Partnerinhalte
 
 
 
 

Sie propagieren Vapes als Ausstiegshilfen für Raucher. Präventionsfachleute hingegen kritisieren Vapes als Produkte für den Einstieg in die Nikotinsucht. Fühlen Sie sich eigentlich manchmal missverstanden?
Ja. Es gibt ein schönes Zitat des Schriftstellers F. Scott Fitzgerald. Er sagte einst, die wahre Prüfung für eine erstklassige Intelligenz sei die Fähigkeit, zwei gegensätzliche Ideen im Kopf zu behalten und weiter zu funktionieren. Das ist genau das Problem mit Vapes. Auf der einen Seite haben wir Erwachsene in den Fünfzigern oder Sechzigern, die ihr Leben lang geraucht haben und langsam merken, wie schädlich Tabak für sie ist. Sie haben jetzt eine neue Möglichkeit, vom Tabak und im besten Fall vom Nikotin wegzukommen. Auf der anderen Seite drohen hingegen viele Jugendliche durch diese Produkte in die Nikotinsucht zu rutschen. Wir müssen hart daran arbeiten, sie nicht einem Risiko auszusetzen, das für sie ohne Vapes gar nicht existieren würde.

«Jugendliche gelangen durch Vapes möglicherweise in eine Nikotinabhängigkeit, aber sie werden nicht zwingend zu Zigarettenrauchern.»

Julian Jakob, Suchtforscher

Ein oft gehörtes Argument lautet: Jugendliche kommen durch Vapes zum Rauchen.
Wir haben keine statistisch haltbaren Daten, die das belegen. Jugendliche gelangen durch Vapes möglicherweise in eine Nikotinabhängigkeit, aber sie werden nicht zwingend zu Zigarettenrauchern. Ob Vapes die Ursache des Zigarettenrauchens sind, wird wissenschaftlich kontrovers diskutiert. 

Aus dieser Logik heraus dürften Vapes zum Beispiel nicht so bunt und attraktiv gestaltet sein. Sehen Sie das auch so?
Die WHO empfiehlt neutrale Verpackungen für Nikotin- und Tabakprodukte. Einige Länder testen gegenwärtig, Einweg-Vapes, die bei Jugendlichen bekanntlich sehr beliebt sind, zu verbieten. Zudem empfiehlt es sich, dass man die Verkaufspunkte für diese Produkte deutlich einschränkt und natürlich Tabakprodukte so massiv besteuert, dass sie für ein jugendliches Portemonnaie kaum mehr erschwinglich sind. Dasselbe könnte man auch mit Vapes oder Snus machen.

«Dass jetzt schweizweit das Mindestalter 18 gilt, ist zu begrüssen.»

Julian Jakob

Im neuen Tabakproduktegesetz hat man auf so drastische Massnahmen weitgehend verzichtet. Was halten Sie von diesem Gesetz?
Auf Berndeutsch sagt man: es Müntschi u e Chlapf. Es ist sicher besser als die Regelungen, die wir vorher hatten. Insbesondere dass jetzt schweizweit das Mindestalter 18 gilt, ist zu begrüssen. Auch dass die allermeisten Nikotinprodukte im Gesetz aufgeführt sind und auch besteuert werden, ist gut. Aber es gäbe natürlich noch sehr viel Potenzial, um den Einfluss der Tabakindustrie einzuschränken.

In den vergangenen Jahren kam eine schier unüberblickbare Masse an neuen Produkten wie Vapes mit nikotinhaltigen Flüssigkeiten und Snus auf den Markt. Wo sehen Sie da die Gefahren?
In diesem Bereich braucht es unbedingt noch mehr Forschung zu Inhaltsstoffen oder zu den Aerosolen, die bei einem Vape entstehen. Bei tabakhaltigem Snus wiederum weiss man, dass er Mundhöhlenkrebs auslösen kann, aber bezüglich Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Lungenkrebs deutlich weniger schädlich ist. Bei den neueren Nikotin-Pouches, die keinen Tabak enthalten, erwartet man ein noch tieferes Risiko, da braucht es aber noch mehr Forschung. Bei Vapes scheint das Gesundheitsrisiko auch tiefer zu sein als beim Tabakrauchen, aber uns fehlen noch die Langzeitstudien.

«In den USA wird Rauchen als abstossend angesehen. Dort rauchen viel weniger Menschen.»

Julian Jakob

Aus Sicht des Mediziners müsste man eigentlich vom Vorsorgeprinzip ausgehen, oder? Was würde das bedeuten?
Früher war Präventionsarbeit viel einfacher. Es gab nur Zigaretten, und man konnte sagen: «Das ist schlecht, fang nicht an zu rauchen.» Jetzt ist die Situation komplexer. Etwa ein Viertel der Bevölkerung über 15 Jahre raucht in der Schweiz. Dementsprechend gibt es auch viele Vorbilder in der Gesellschaft. Man müsste deshalb das Rauchen entmystifizieren, so dass es nicht mehr als cool angesehen wird, sondern als abstossend, wie in den USA. Dort rauchen viel weniger Menschen.

Sie sprechen von einem Viertel der Bevölkerung, der raucht. Das entspricht den offiziellen Zahlen. 2017 waren Sie Co-Autor eines Artikels, in dem nachgewiesen wurde, dass der Anteil wesentlich höher liegt, nämlich bei über 30 Prozent. Können Sie abschätzen, wie sich diese sogenannte Raucherprävalenz seither entwickelt hat?
Wir haben damals die offiziellen Zahlen, die aus Umfragen stammten, mit den Verkaufszahlen verglichen, und das ging einfach nicht auf. Diejenigen, die sich als Rauchende bezeichneten, hätten demnach anderthalb oder zwei Schachteln Zigaretten pro Tag konsumieren müssen. Rauchen ist nun mal negativ konnotiert, und da geben die Leute wohl eher zu wenig als zu viel an. Ich glaube, daran wird sich nichts geändert haben.

«Die Daten deuten auf mehr Nikotinsüchtige, aber weniger Tabakkranke hin.»

Julian Jakob

Lassen Sie uns doch zum Abschluss in die Kristallkugel schauen, 20 oder 30 Jahre in die Zukunft. Welche Krankheiten im Zusammenhang mit Nikotinkonsum kommen auf unsere Gesellschaft zu?
Das ist leider sehr schwierig zu sagen. Falls keine Einschränkung in Werbung, Verkaufsstellen, Steuern und Packungsgestaltung eingeführt wird, deuten die Daten, die wir jetzt haben, auf mehr Nikotinsüchtige, aber weniger Tabakkranke hin. Wir gehen im Moment davon aus, dass eine erwachsene Person, die von Tabak auf Vapes wechselt, wesentlich weniger Schadstoffen ausgesetzt ist und weniger Atembeschwerden hat. 

Gute Nachrichten für wechselwillige Rauchende also. Was aber ist mit denjenigen, die neu einsteigen?
Vapes sind ein sehr junges Phänomen, und die Konsumierenden sind in den meisten Fällen ebenfalls sehr jung und noch gesund. Aber solange Nikotin nicht in ultrareiner Form auf eine nicht schädliche Art verabreicht wird, besteht immer die Möglichkeit, dass es körperliche Schäden gibt. Wenn ich mir einen Nikotinbeutel unter die Oberlippe schiebe, habe ich einen direkten Kontakt zur Mundschleimhaut. Das müssen wir untersuchen. Bei den Vapes müssen wir auch schauen, was alles im Aerosol enthalten ist und wie dieses auf den menschlichen Körper über längere Zeit wirkt. Der Blick in die Kristallkugel ist also schwierig.