Das Weltretter-Menü
Wollen wir die Klimakrise abwenden, müssen wir anders essen. Wie sieht ein klimafreundlicher Speiseplan aus? Was bedeutet das für die Landwirtschaft?
Veröffentlicht am 12. März 2020 - 10:20 Uhr
Auberginen im Winter sind verdächtig, Ananas reisen um die halbe Welt, Fleisch ist sowieso böse – wir stehen ratlos vor dem Regal und konstatieren missmutig: Nun vermiesen uns die CO2-Bilanzen auch noch das Essen. Dabei lassen wir uns gerade hier nicht gerne reinreden. Hacktätschli erinnern an die Grossmutter, Granatäpfel erfreuen im Winter, der Emmentaler Käse ist Teil unserer Kultur.
«Niemand gibt lieb gewonnene Gewohnheiten gern auf», sagt Manuel Klarmann von Eaternity. «Aber die Fakten sind eindeutig: Wollen wir das 2-Grad-Klimaziel erreichen und die Klimkrise abwenden, müssen wir die ernährungsbedingten Emissionen halbieren.» Die Ernährung verursacht rund 30 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. «Das ist sehr viel», sagt der Unternehmer, der CO2-Emissionen von Lebensmitteln und Menüs berechnet. «Wir brauchen einen neuen Speiseplan.»
«Wir müssen aufhören, uns auf Nebenschauplätzen zu verzetteln.»
Manuel Klarmann, Gründer von Eaternity
«Das bedeutet, dass weder die Verpackung noch das Frachtschiff das Problem sind», sagt Klarmann. «Wir müssen aufhören, uns auf Nebenschauplätzen zu verzetteln. Und dafür die wichtigsten Probleme angehen: weniger Fleisch- und Milchprodukte konsumieren.» Für die Fleischproduktion muss viel Futter angebaut werden, was zu Abholzungen führt. Zudem produzieren Tiere Gülle, Kühe Methan. Ein Kilo Rindfleisch verursacht 16,8 Kilo CO2. Ein Kilo Linsen, das einen ähnlichen Proteingehalt hat, dagegen nur 680 Gramm. Das macht deutlich, wie stark ein pflanzenbetonter Ernährungsstil das Klima entlastet.
Dabei ist regional und saisonal produziertes Gemüse und Obst die beste Wahl. Aber auch mit dem Lastwagen aus Südeuropa importierte Ware ist laut Klarmann vertretbar. «Wir sollten das Ganze im Blick behalten», sagt er. Bananen oder Avocados, die auf dem Frachtschiff nachreifen, hätten zwar ein paar Transport-Emissionen auf dem Buckel, seien aber immer noch um ein Vielfaches klimafreundlicher als Milchschokolade oder ein Butterbrot. «Sie sind zudem nährstoffreich, bringen Abwechslung auf den Teller und haben nicht diesen Total-Verzichts-Groove.»
Doch was ist mit dem hohen Wasserverbrauch der Avocado, über den man überall liest? Dieser sei in manchen Regionen tatsächlich ein Problem, sagt Klarmann. «Verglichen mit dem Leid, das der Klimawandel verursachen wird, aber eindeutig das kleinere Problem.» Auch Fertigprodukte mag er nicht verteufeln: Werden Früchte konserviert oder tiefgekühlt, müssen sie nicht im geheizten Gewächshaus produziert oder über weite Distanzen transportiert werden. Tofu-Fertigprodukte und pflanzenbasierte Hamburger seien sogar Teil der Lösung: Sie kommen unseren Gewohnheiten entgegen und erleichtern das Umsteigen auf eine zukunftsfähige Ernährung.
Was kann ich als Konsument konkret ausrichten?
Wenn man bedenkt, dass die Weltbevölkerung bis ins Jahr 2050 auf bis zu 10 Milliarden Menschen anwachsen wird, ist der Appell, weniger Fleisch- und Milchprodukte zu konsumieren, umso dringender. Bis dahin muss mehr Nahrung produziert werden, und mehr Menschen in den Ländern des globalen Südens werden Fleisch essen wollen: Wird es möglich sein, die ganze Welt zu ernähren, ohne den Planeten zu zerstören? Die Eat-Lancet-Kommission, der 37 Forscher aus 16 Ländern angehören, sagt: Ja, das geht. Wenn wir die Produktion von Lebensmitteln nachhaltig steigern, Foodwaste um 50 Prozent reduzieren und den Speiseplan grundlegend ändern.
Die Planetary Health Diet, die die Wissenschaftler entwickelt haben, wäre nicht nur für die Erde gesund, sondern auch für uns: Weil sie ernährungsbedingte Krankheiten verhinderte, würden jährlich 11 Millionen Menschen weniger einen frühzeitigen Tod sterben. Sie reduziert Fleisch, Milch und Zucker massiv: Pro Woche sind je 200 Gramm weisses Fleisch und Fisch sowie 100 Gramm rotes Fleisch vorgesehen. Pro Tag nur noch 2,5 Deziliter Milch oder entsprechend weniger Rahm oder Butter. Dafür wird der Anteil Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Nüsse und Gemüse erhöht.
Wie lässt sich eine solche globale Sichtweise an Schweizer Verhältnisse anpassen? Weniger Rinder und Kühe entlasten das Klima – aber ergibt das auch im Grasland Schweiz Sinn, wo es viele Bergwiesen gibt, die man nicht anders nutzen kann? Die traditionelle Rinder- und Milchkuhhaltung beschert den Bergbauern ihr Auskommen, und auch der Tourismus profitiert vom bewirtschafteten Alpenraum. Ob es mehrheitsfähig wäre, ihn teilweise verbuschen zu lassen, ist fraglich.
Am Agroscope-Kompetenzzentrum für landwirtschaftliche Forschung hat ein Team um den Ökobilanz-Experten Thomas Nemecek und den Agrarökonomen Albert von Ow untersucht, wie unsere Landwirtschaft aus Umweltsicht optimiert werden könnte und welche Konsequenzen das für unsere Ernährung hätte (siehe Infografiken am Ende des Textes). Das Szenario «Green Diet» geht davon aus, dass alles Weideland weiterhin genutzt wird, der Viehbestand aber fast um die Hälfte gesenkt und entlang der ganzen Wertschöpfungskette umweltfreundlicher produziert wird. Dabei würde der Bestand der Fleischrinder, Schweine und Mastpoulets massiv reduziert , derjenige der Milchkühe in geringerem Mass. Schafe und Ziegen würden dafür häufiger gehalten. So könnten die Treibhausgasemissionen um knapp 60 Prozent im Vergleich zum heutigen Zustand verringert werden. Das Ziel, die ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen zu halbieren, wäre damit erreicht.
«Die Milchkühe würden hauptsächlich mit Gras und Heu gefüttert, das hier wächst», sagt Albert von Ow von Agroscope. «Und es brauchte keine Futterimporte mehr für die verbleibende Geflügel- und Schweinehaltung.» Die hätten eine schlechte Ökobilanz, da es ineffizient sei, Nahrungsmittel Tieren zu verfüttern, wenn Menschen sie essen können. Der Speiseplan, der sich aus diesem Szenario ableiten lässt, sieht so aus: Pro Woche liegen im Schnitt noch 200 Gramm rotes Fleisch drin, 100 Gramm Fisch und nur 7 Gramm Geflügel. Milchprodukte würden leicht reduziert, dafür gäbe es mehr Getreide, Kartoffeln und Nüsse. Liesse man zudem zwei Drittel der Dauerweiden verbuschen und hielte entsprechend weniger Rinder und Kühe, sänken die Treibhausgasemissionen um weitere 8 Prozent. Das Vermeiden von Foodwaste würde noch einmal 6 Prozent bringen.
Priska Baur ist Agrarökonomin an der ZHAW und erforscht als Leiterin des Projekts Novanimal.ch ebenfalls, wie eine zukunftsfähige Ernährung und Nahrungsmittelproduktion in der Schweiz aussehen könnte. Auch sie hält es für sinnvoll, im Grasland Schweiz die Schweine- und Geflügelmast massiv zu reduzieren und weniger Milch und Rindfleisch zu produzieren. Für uns hätte das einen gesunden und pflanzenbasierten Speiseplan zur Folge mit durchschnittlich 10 bis 15 kg Fleisch pro Kopf und Jahr.
Für viele wäre das eine grosse Umstellung: Heute sind in der Schweiz 50 bis 55 Kilo Fleisch pro Kopf und Jahr verfügbar. Doch Priska Baur erinnert daran, dass das nicht immer so war: Die zwei Weltkriege führten zu einem massiven Rückgang des Fleischkonsums. Im Zweiten Weltkrieg sei Fleisch gar auf 500 Gramm pro Kopf und Monat rationiert gewesen. Unsere Ernährung hat sich in diesem Jahrhundert also schon einmal radikal verändert – nun muss sie es erneut tun. Wie kommen wir dahin?
Manuel Klarmann will Transparenz schaffen: Konsumenten müssen wissen, welchen Einfluss ihr Essen auf das Klima hat. Deshalb will er die CO2-Bilanz von über 100'000 Nahrungsmitteln über die Codecheck-App, die Inhaltsstoffe von Produkten anzeigt, zugänglich machen.
«Je mehr Menschen vegan oder vegetarisch essen, umso besser ist das für uns alle.»
Priska Baur, Agrarökonomin
Das Team um Priska Baur konnte in einem Experiment an zwei Hochschulkantinen zeigen, dass der Anteil Fleischgerichte bei den Frauen von 39 auf 28 Prozent und bei den Männern von 65 auf 50 Prozent zurückging, als weniger Fleisch- und mehr und bessere Vegi-Gerichte zur Auswahl standen – letztere aber nicht als solche deklariert wurden. Gemäss Baur gibt es viele Wege zu einer umweltschonenderen Ernährung. «Je mehr Menschen vegan oder vegetarisch essen, umso besser ist das für uns alle.» Aber auch weniger Fleisch essen, Foodwaste verringern oder «Nose to Tail» seien wertvolle Beiträge. «Wichtig ist, dass wir uns auf den Weg machen.»
Dabei ist nicht nur der Einzelne gefordert, auch die Politik. «Die Schweizer Agrarpolitik fördert die Produktion und den Konsum von tierischen Nahrungsmitteln», sagt Baur. «Die Reduktion der Tierbestände ist immer noch ein Tabu. Doch die Zeit ist reif, die Weichen neu zu stellen.»
7 Kommentare
Ich bin ganz klar gegen importierte Lebensmittel. Bin seit mehr als 30 Jahren Vegetarierin und und esse öfters auch vegan.
Bio ist für mich wichtig. Tendenziell denke ich, dass die Menschen zuviel essen vor allem Fleisch und das möglichst billig sein soll. Wie viel Tierleid dahinter steckt interessiert immer noch zu wenig. Augen aufmachen vor dem Kauf.
Weniger ist mehr.
Ich habe letzthin einen veganen Menu-Vorschlag für eine Woche gesehen: an fünf von sieben Tage gab es Avocado!
Ich esse Avocados eigentlich sehr gerne, kaufe davon aber vielleicht 2 im Jahr. Vor allen anderen Problemen ärgere ich mich nämlich immer masslos, wenn mein Menu-Plan ins Schleudern gerät, weil ich schon wieder ein innerlich verdorbenes Exemplar erwischt habe. Das heisst, Avocados sind schon wegen des Food-Wastes ein No-go.
Uebrigens interessant, einmal die weltweite Rindvieh-Statistik zu konsultieren insbesondere in Bezug auf Afrika.
Und dank dem Quinoa-Boom können sich offenbar die südamerikanischen Indios eines ihrer Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten.
Also Quinoa (ausser in der Schweiz angebautes) und Avocados sollten noch seltener als Rindfleisch gegessen werden, und es gibt bestimmt noch andere Superfoods auf welche dies auch zutrifft.
sehe das genauso...nur weil Bio draufsteht, heißt es nicht, dass es nachhaltig ist...siehe das Beispiel mit den Avocados...wobei: auf Fleisch zu verzichten wäre mit Abstand die effektivste Lösung.
importierte Ware ist laut Klarmann vertretbar
«Verglichen mit dem Leid, das der Klimawandel verursachen wird, aber eindeutig das kleinere Problem.» Auch Fertigprodukte mag er nicht verteuf...
Sorry aber was stimmt hier nicht, ich wohne in Chile und erlebe es selbst. Riesen Avocado Plantagen angebaut,Tief Brunnen bis 150 Meter gebohrt um zu bewässsern,1kg Avocado braucht 30 lit pro Monat, die Kleinbauern haben kein Wasser mehr und gewisse Dörfer sind in Wassernot. Herr oder Frau Klarmann sollte mal richtig rescherschieren bevor so was zu schreiben. denn die Avocados kommne nicht nur von Spanien .Die Avocados von Chile sind ja CO2 frei auf einer Reise nach Europa von 10 000km
Bravo Gion Martin Sie bringen es auf den Punkt. Nach meinen 20 Jahren in Argentinien kann ich Ihnen nur Recht geben. Dazu geht es noch um viel mehr. Wir hier oben schären uns doch den Teufel, wie es in der unteren Halbkugel zu und her geht.