Mit lautem Fordern ist noch nichts getan
Weltweit wird vorab in wohlhabenden Ländern die Politik zur CO2-Reduktion gedrängt. Doch es ist unser tägliches Verhalten, das sich schnell ändern muss.
Veröffentlicht am 28. Oktober 2019 - 15:03 Uhr
Die Welt steht vor grossen Umbrüchen, die uns und alle kommenden Generationen betreffen werden. Wir alle spüren, hören und sehen das täglich. Exemplarisch für die gegenwärtige Unsicherheit stehen die düsteren Prognosen des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) der Vereinten Nationen und die Ängste vor einem sich dramatisch erwärmenden Planeten mit verheerenden Stürmen und einem gefährlich steigenden Meeresspiegel.
Die Warnungen gibt es seit Jahren. Doch an internationalen Klimakonferenzen einigte man sich bestenfalls auf homöopathische Ansätze gegen den Treibhauseffekt. In Politik und Gesellschaft stritt man lieber über die Unsicherheiten in den Prognosen statt über konkrete Massnahmen. Doch seit diesem Frühling ist alles anders. Erstmals macht sich vorab in den saturierten Städten der Ersten Welt so etwas wie Panik breit.
Bewegungen wie Extinction Rebellion malen buchstäblich die Apokalypse an die Wand. Mit Demonstrationen und Sitzblockaden wollen sie die Welt aufrütteln und – koste es, was es wolle – sofortige Massnahmen durchsetzen, um den Ausstoss von Treibhausgasen zu senken. Andernfalls, drohen sie mit Verkehrsblockaden in Metropolen, werde man «ganze Städte lahmlegen».
Die grundsätzlichen Anliegen der Bewegung sind berechtigt. Genauso wie die Ängste und die Wut über die Situation, in die wir uns manövriert haben auf unserem blau schimmernden Planeten. Vorab durch eine gefährlich von der Realwirtschaft entkoppelte Finanzindustrie, aber auch durch individuelle Gier und durch einen unersättlichen Konsumismus, der – in Ermangelung sinnstiftenderer Lebensziele – zum scheinbar einzigen globalen Mantra erhoben worden ist.
Seit wir so viele Menschen sind und erst recht solange wir stetig noch mehr werden, die alle Konsumansprüche haben, bringen wir nicht nur das Klima aus dem Gleichgewicht, sondern zerstören die Lebensgrundlagen. Es gibt keinen anderen Weg als eine schnelle Korrektur hin zu weniger Ressourcenverschleiss und endlich wirklich nachhaltigem Wachstum.
Doch blosse Schuldzuweisungen und hysterische Appelle an Politik und Wirtschaft sind ein zweischneidiges Schwert. Sie generieren zwar Aufmerksamkeit, finden natürlich Applaus für ihre allgemein formulierten Forderungen, aber sie verhärten auch die Fronten und provozieren Gegenreaktionen. Bereits werden Klimaaktivisten als wohlstandsverwöhnte Ökoterroristen verhöhnt.
Es besteht die Gefahr, dass sich lediglich der Kampf um die nötigen Korrekturen verschärft, der Ton lauter wird, gegenseitige Schuldzuweisungen stattfinden und sich eine vom Leben privilegierte Mittelschicht mit kaum zu Ende gedachten Forderungen als eine Art Opfer böser Mächte inszeniert.
Wie steht es mit konkreten Forderungen? Die Klimaaktivisten verlangen erstens, «die Regierungen» müssten der Bevölkerung «die Wahrheit sagen» («Tell the Truth») über den ökologischen Notfallpatienten Erde. Sie fordern zweitens netto null Treibhausgase per Ende 2025. Und drittens verlangen sie Bürgerversammlungen («Citizens’ Assembly»), die für Kommunen und Länder die nötigen Massnahmen «demokratisch und fair» festlegen sollen, um die Herausforderungen zu meistern.
• Forderung «Tell the Truth»
Die Forderung danach, «die Wahrheit zu sagen», unterstellt, dass die Bevölkerung durch ihre Regierungen in einer Art Verschwörung über die realen Gefahren getäuscht wird. Das ist natürlich Blödsinn.
Tatsächlich sind die Risiken des weltweiten Wachstums- und Konsumanspruchs seit vielen Jahren bekannt, auch wenn sie die Regierungen unterschiedlich bewerten. Die Modelle zur Abschätzung der Klimaerwärmung und ihrer Folgen werden stets verfeinert und regelmässig publiziert. Und es besteht ein breiter Konsens darüber, dass der menschliche Beitrag dafür mitverantwortlich ist.
Umstritten ist einzig, wie stark und wie schnell sich die Erwärmung durch eine Reduktion der Treibhausgase bremsen oder ob sie sich gar stoppen lässt.
• Forderung «netto null»
Die Treibhausgase in den westlichen Industriestaaten bis in sechs Jahren auf netto null zu reduzieren ist utopisch – und gefährlich.
Um diese Ziele zu erreichen, müssten ganze Produktionsketten, aber auch Gebäude und Verkehrsmittel innert kürzester Zeit ersetzt oder umgebaut werden. Das kurbelt fraglos die Wirtschaft an. Aber die ökologische Gesamtrechnung einer solchen Herkules-Übung ist mehr als ungewiss. Berücksichtigt man die Batterieherstellung und den Betrieb, stossen E-Autos auf 200'000 Kilometer Fahrleistung zwar nur knapp halb so viel CO2 wie Benziner aus, aber dafür steigt der Bedarf an Rohstoffen wie Lithium, Kobalt oder Nickel für die Akkus gewaltig an.
Abgesehen davon ist bis heute unklar, wie der steigende Strombedarf aus nachhaltigen Energiequellen gespeist werden soll. Auch der Ersatz älterer Häuser durch Minergie-Gebäude ist aus gesamtökologischer Sicht nicht immer sinnvoller, als sie bis zu ihrem Lebensende zu bewohnen.
Zwar könnte «netto null» auch erreicht werden durch eine scharfe Bremsung des Wachstums und der Produktionsindustrie. Das aber dürfte zur Folge haben, dass der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird. Die Bremsspuren der Wirtschaft wären überall zu spüren: steigende Arbeitslosenzahlen, kaum mehr finanzierbare Sozialwerke, deutliche Sparmassnahmen für vielerlei staatliche Aufgaben. Als Folge davon drohen soziale Spannungen und Unruhen, die in ihren Auswirkungen kaum abzuschätzen sind.
Doch selbst wenn die privilegierten Staaten ihre CO2-Emissionen tatsächlich innert weniger Jahre auf netto null reduzieren könnten, wäre dem globalen Klima damit kaum geholfen. Denn allein durch das Bevölkerungswachstum und durch die verständlichen Ansprüche der Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern auf einen höheren und dadurch ressourcenintensiveren Lebensstandard blieben die globalen Ziele Wunschdenken.
• Forderung «Citizens’ Assembly»
Diese Idee ist schlicht naiv.
Der Umbau politischer Institutionen ist zuerst einmal zeitraubend und nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen. Vor allem aber: Warum sollte eine Bürgerversammlung «demokratische und faire» Lösungen zur CO2-Reduktion besser erreichen können als heutige demokratisch legitimierte Regierungen und Parlamente?
Das Hauptproblem bleibt: Wir wollen möglichst so weiterleben wie bisher, nur eben ökologisch. Dieser Spagat ist aber nicht zu schaffen, auch nicht durch eine Citizens’ Assembly. Es ist ja nicht das böse System, das unsere Zivilisation in die Sackgasse fährt mit dem Konsumangebot, das uns präsentiert wird. Wir alle selber sind dieses System, das sich im Warenhaus der Welt frei bedienen will, mit stets neuen Produkten und Angeboten. Wir alle stimmen durch unser Kaufverhalten gleichsam täglich darüber ab, was darin zur Verfügung gestellt werden soll.
Dieses demokratische Kaufplebiszit deutet nicht darauf hin, dass eine Bürgerversammlung den gewünschten radikalökologischen Kurs fahren würde. Im Gegenteil: Die Verkaufszahlen überdimensionierter Geländewagen beispielsweise steigen fast überall deutlich an. In der Schweiz sind bereits vier von zehn Neuwagen Sport Utility Vehicles (SUV), auch in Deutschland zeigen die Kurven steil nach oben. Die Zahl der Flugpassagiere steigt nach wie vor um zwei bis drei Prozent jährlich. Und die hippen E-Roller und E-Treter ersetzen kaum je Autos, sondern meistens nur umweltfreundliche Velos.
Sicher ist, dass wir mit unserer global auf Konsum ausgerichteten Zivilisation an einem Scheideweg angekommen sind. Aber mit technischen Verbesserungen und einem allgemeinen Weiter-so, nur eben mit sauberem Elektrostrom, werden wir den fatalen Kurs Richtung Ökokollaps nicht korrigieren können. Wir werden weltweit grundsätzlich umdenken und unser Verhalten ändern müssen.
Es ist deshalb zu wünschen, dass die Klimadiskussionen und auch die Klimademonstrationen uns nicht nur bremsen wollen, sondern wirklich weiterbringen. Ansätze dafür sind ja bereits vorhanden.
Weniger kann auch mehr sein. Am Ende des Lebens können wir ja ohnehin nichts mitnehmen. Und Glück und Lebenssinn, so zeigen zahlreiche Studien, sind nicht allein abhängig von materiellen Errungenschaften. Es wäre schön, wenn eine Influencer-Bewegung entstünde, die dafür wirbt, was sich im Leben gewinnen lässt, ohne immer mehr zu kaufen.
9 Kommentare
Die riesige, mächtige "Auto-Lobby" der Schweiz = ua sehr gut entlöhnte "Volks-Vertreter" (Parlamentarier mit lukrativen VR-Mandaten, polit. Parteien (intransparente Geldspenden-Annahme) = Lobbyismus - Vetternwirtschaft!! "Volks-Zer-TreterInnen" - Politfilz aus Eigeninteressen-Verfolgung!!
M.E. wird in dem Artikel folgendes falsch verstanden/dargestellt: "Tell the truth" findet eben nicht ausreichend statt. Offenbar ist auch bei diesem Journalisten die gegebene Dringlichkeit gar nicht angekommen. Bei der gegeben Lage ist ein gewisser "Alarmismus" normal und nicht fehl am Platz.
Ausserdem werden die gravierenden Veränderungen, die durch den Klimawandel in der Schweiz zukünftig verursacht werden nicht berücksichtigt. Eine Studie der EPFL aus dem Jahr 2015 rechnet alleine mit 10 Milliarden Kosten jährlich.
Schliesslich reichen individuelle Verhaltensänderungen einfach nicht aus. Das besagt auch eine kürzliche Studie von über 11000 Wissenschaftern, die im Universal Egological Fund veröffentlicht wurde.
Sehr guter Artikel, danke!
Zum wiederholten Mal versuche ich klar zu machen, dass Umweltschutz und Klima zwei paar Schuhe sind! Das Klima lässt sich beim besten Willen NICHT beeinflussen, den Umweltschutz schon. Ohne CO2 KEIN Leben! 0.0015% CO2 lassen sich durch gezielte Umwelschutzmassnahmen beeinflussen, nicht mehr! Übrigens, Elektroautos sind KEINE geeignete Massnahme, siehe Umweltbilanz. die Gewinnung der Batteriegrundstoffe sind biblische Zerstörer!
... blah, blah, blah!
Das Klima lässt sich ganz sicher beeinflussen - auch wenn Sie das Gegenteil offensichtlich schon "zum wiederholten mal versuchen klar zu machen"!