Naturfreunde im Plastik-Dilemma
Hinaus in die Natur gehen, aktiv sein – eigentlich eine gute Sache. Problematisch nur, dass Outdoor-Bekleidung die Umwelt besonders belastet.
Veröffentlicht am 11. November 2020 - 13:11 Uhr
Ob zum Erklimmen des Kilimandscharo oder für einen Städtetrip nach Paris – Schweizerinnen und Schweizer lieben funktionale Outdoor-Bekleidung. So sehr, dass man sie auch im entlegensten Winkel der Welt am eingekreisten Mammut auf der Jacke erkennt. Dabei ist es eigentlich egal, ob wir uns gerade mit der Machete durch das Amazonasgebiet schlagen oder auf einem helvetisch aufgeräumten Waldweg mit Bello Gassi gehen: Gute Wanderschuhe , längenverstellbare Hosen, ein atmungsaktives T-Shirt und ein wasserabweisender Windstopper können nicht verkehrt sein. Man weiss ja nie, wann es anfängt zu schütten oder die Apokalypse droht.
«Hier haben wir ein Problem», warnt Stephanie Hess, Journalistin und Autorin des neuen Beobachter-Buchs «ÖKOlogisch!». Denn Outdoor-Bekleidung besteht vielfach zu 100 Prozent aus Polyester. Das Material ist besonders schmutz- und wasserabweisend. Auch für das Innenfutter ist Polyester beliebt, da er Wärme gut speichert. «Vom Standpunkt der Nachhaltigkeit aus betrachtet, ist Polyester aber das schlimmste Material, das man für Kleidung verwenden kann», sagt Hess. «Polyester wird aus Erdöl oder Erdgas gewonnen und verursacht damit fast dreimal so viel CO2 wie Baumwolle.»
Polyester ist zudem schwer zu färben. Er benötigt darum viel Wasser und Chemikalien, die in asiatischen Fabriken oft ungeklärt in Flüsse fliessen. «Vor allem wegen des Polyesters ist die Textilindustrie einer der grössten industriellen Verschmutzer von Grundwasser, Flüssen und Meeren», so Hess.
Auch Schweizer Gewässer bleiben nicht verschont, zeigt eine Studie der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt. Denn bei jedem Waschgang sondert Polyester Kunststofffasern ab – pro Kilo über 100'000. Davon werden rund 90 Prozent von Kläranlagen gefiltert. Der Rest gelangt in Seen und Flüsse. Das macht allein in den Gewässern des Kantons Zürich 219 Kilo Mikroplastik im Jahr, zeigt eine kantonale Studie.
Doch der Outdoor-Markt boomt. 227 Millionen Artikel wurden 2019 in Europa verkauft, berechnet die European Outdoor Group. Das grösste Geschäft machen die Hersteller mit Bekleidung. Während der Pandemie ohnehin: Wer statt ins Kino wandern geht, braucht passende Kleidung.
Immerhin gibt es mittlerweile Alternativen zum schädlichen Polyester. Zum Beispiel rezyklierten Polyester (rPET), der durch Einschmelzen gewonnen wird. Doch das Material ist umstritten. Für einheitlich weisse Polyesterchips wird vielfach giftiges Chlorbleichmittel verwendet. Und auch rezyklierter Polyester setzt beim Waschen Mikroplastik frei.
Labels sind ebenfalls kein Garant für Nachhaltigkeit. «Bei Bezeichnungen wie ‹nachhaltig›, ‹organic› oder ‹green› sollte man vorsichtig sein», sagt Expertin Stephanie Hess. Viele Modehäuser und Brands bemühten sich intensiv um nachhaltigere Produktion. Doch einige verkauften Produkte als umweltfreundlich, obwohl sie es nicht oder nicht vollumfänglich seien. «Bis heute gibt es kein Label, das die gesamte, meist sehr komplexe Lieferkette beurteilt und damit eine soziale und umweltverträgliche Produktion garantiert.»
Wichtig sei darum vor allem eins: bewusster shoppen. Schweizerinnen kaufen im Schnitt 20 Kilo neue Kleider pro Jahr – sechs davon tragen sie überhaupt nicht. «Designerin Vivienne Westwood riet schon vor Jahren: Kaufen Sie weniger, suchen Sie es sorgfältig aus und achten Sie darauf, dass es beständig ist», sagt Hess. Sie empfiehlt, sich vor jedem Kauf folgende Fragen zu stellen:
- Brauche ich das wirklich?
- Werde ich es anziehen?
- Wie oft?
- Muss es neu sein, oder finde ich gebraucht etwas Ähnliches?
- Könnte ich es ausleihen oder mieten?
- Ist die Qualität so gut, dass es länger als ein Jahr hält?
- Gibt es faire Alternativen?
Um den ökologischen Fussabdruck zu reduzieren, hat die Alpenschutzorganisation Mountain Wilderness Schweiz in verschiedenen Städten den «Alpin-Flohmi» lanciert. Dort können Privatpersonen gebrauchte Bergsportausrüstung anbieten oder kaufen. «Nachhaltigkeit ist zum Verkaufsargument geworden in der Outdoor-Branche. Doch das umweltfreundlichste Produkt ist das, das gar nicht erst hergestellt wird», erklärt Organisator Tim Marklowski.
Die Hersteller verschärfen das Problem zusätzlich, indem sie die Kundschaft überzeugen wollen, dass es für jede sportliche Aktivität eine andere Spezialkleidung braucht. Marklowski: «Das Ergebnis ist eine riesige Menge gut erhaltene, hochwertige Ausrüstung, die meist ungenutzt in Schränken herumliegt.»
1 Kommentar
Danke für diesen überfälligen Beitrag. Als nächstes lohnt sich ein Blick auf die Plastik-Plüsch Jacken in den Städten. Jedes Jahr ein neues Teil für kaum Geld, das dann im Frühling auf einer Mülldeponie im Osten unter freiem Himmel verbrannt wird? Doppelte Umweltsünde! Wir müssen wieder echten Pelz tragen. Diese Jacken und Mäntel bescheren 20 Jahren Freude und Wärme. Ein Umdenken tut hier Not - auch bei der Haltung des Beobachters.