Frauenherzen schlagen anders
Der Herzinfarkt galt lange als Männerkrankheit. Doch auch Frauen sind betroffen. Weil die Symptome anders sind, wird der Infarkt oft zu spät erkannt.
Rauchen, Alkohol, Übergewicht und Stress im Beruf : Der Herzinfarkt ist eine Männerkrankheit. Dieses Vorurteil hat sich jahrelang gehalten. Forschung und Medizin, sogar die Prävention konzentrierten sich lange auf die Männer. Doch in den letzten Jahren hat diesbezüglich ein Umdenken stattgefunden. Denn je mehr sich der Lebensstil der modernen Frauen ändert, desto mehr sind auch sie betroffen.
Die Sterbestatistik der Schweiz aus dem Jahr 2016 zeigt, dass Herz-Kreislauf-Krankheiten bei den Frauen Todesursache Nummer eins ist – noch vor Krebs. Bei den Männern sind 2016 erstmals mehr Personen an Krebs gestorben als an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bei den Frauen sind 34 Prozent der Todesfälle auf eine Herz-Kreislauf-Krankheit zurückzuführen, bei den Männern hingegen nur 30 Prozent – obwohl Frauen zwischen 45 und 64 deutlich seltener einen Herzinfarkt erleiden als gleichaltrige Männer.
Diese Erkenntnisse haben sich erst in den letzten zwanzig Jahren durchgesetzt. Zugleich hat die Forschung gezeigt, dass sich die Erfahrungen mit Herz- und Gefässerkrankungen bei Männern nicht unbedingt auf Frauen übertragen lassen. Denn das weibliche Herz schlägt anders. Es ist kleiner. Auch der Durchmesser der Herzkranzgefässe ist geringer, weshalb sie leichter verstopfen. Bei der Frau erhöht zudem Diabetes das Risiko eines akuten Ereignisses stärker als beim Mann.
Alarmierend ist zudem, dass auch die Symptome bei einem Herzinfarkt geschlechtsspezifisch verschieden sind. Beim Mann ereignet sich ein Herzinfarkt meistens mit den als typisch geltenden Anzeichen: starke Schmerzen in der Brust und möglicherweise Ausstrahlung in den linken Arm.
Bei den Frauen sind die Symptome weniger klar. Engegefühl , Druck oder Brennen in der Brust mit Ausstrahlung in den Hals, den Unterkiefer, den Oberbauch und auch in die Rückenpartie zwischen den Schulterblättern. Mögliche Begleiterscheinungen sind Schweissausbrüche, Übelkeit, akute Atemnot, Schwäche oder aussergewöhnliche Müdigkeit und Todesangst.
«Oft nennen Frauen aber als alleiniges Herzinfarktsymptom akute Atemnot, etwas seltener Schwäche, aussergewöhnliche Müdigkeit, kalten Schweiss oder Schwindelgefühle», sagt Roger Darioli, Professor am Universitätsspital CHUV in Lausanne und Mitglied der Kommission Aufklärung und Prävention der Schweizerischen Herzstiftung.
Weil diese Symptome nicht als typisch gelten, wird der Infarkt oft spät diagnostiziert und behandelt. Die Konsequenz: Die Überlebenschancen von Frauen nach einem Herzinfarkt sind schlechter als jene von Männern. Das dürfte wohl auch der Grund sein, warum laut der Statistik des Bundes in der Alterskategorie der 45- bis 64-Jährigen die prozentuale Sterberate bei den Frauen deutlich höher ist als bei den Männern.
Und das, obwohl die Frauen in diesem Alter biologisch besser gegen Infarkte geschützt sind als Männer. Das verdanken sie nach heutigem Wissensstand ihrem Östrogenhaushalt und dem höheren Anteil an «gutem» Cholesterin (siehe Infobox «Cholesterin: Lebensnotwendig und Risikofaktor zugleich»). Östrogene, die weiblichen Geschlechtshormone, üben einen schützenden Effekt auf Herz und Gefässe aus. Doch wenn die Eierstöcke die Produktion von Östrogen nach der Menopause einstellen, reduziert sich dieser typisch weibliche Schutz.
Der Östrogenrückgang wirkt sich gleich auf mehrere Risikofaktoren ungünstig aus: «Schlechtes» LDL-Cholesterin, Triglyceride (energiespeichernde Neutralfette) und Blutdruck erhöhen sich, die Insulinsensibilität vermindert sich. Die Herzinfarkt-Rate bei Frauen in und nach den Wechseljahren steigt, vor allem dann, wenn weitere Risikofaktoren wie hoher Blutdruck, Übergewicht und Diabetes mellitus Typ II hinzukommen.
Der wirksamste Schutz vor einer Herz-Kreislauf-Erkrankung ist auch bei den Frauen ein ausgewogener Lebensstil: gesunde Ernährung, Verzicht auf Zigaretten und übermässigen Alkoholkonsum und vor allem viel Bewegung . Diese regt den Stoffwechsel an, trainiert Herzmuskel und Gefässwände, erhöht die Konzentration an «gutem» Cholesterin im Blut und senkt den Blutdruck. Frauen, die täglich 30 Minuten Rad fahren, laufen oder zügig spazieren gehen, können ihr Infarktrisiko um 30 Prozent senken.
Das «fatale Quartett» aus Übergewicht, Bluthochdruck, erhöhten Zucker- und Cholesterinwerten ist der Herzinfarkt-Risikofaktor Nummer eins. Die Geschlechterforschung zeigt jedoch spezielle «weibliche» Risikofaktoren:
- Die Zuckerkrankheit Diabetes mellitus Typ II ist für Frauen gefährlicher als für Männer. Ihr Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung ist dreimal höher als bei zuckerkranken Männern.
- Störungen des Fettstoffwechsels, etwa zu hohe Cholesterinspiegel, belasten Frauen stärker als Männer, wobei sich das «schlechte» Cholesterin LDL bei Frauen vermutlich weniger schädlich auswirkt als bei Männern. Ein zu niedriger Wert an «gutem» Cholesterin HDL stellt für Frauen allerdings eine grössere Bedrohung dar – vor allem dann, wenn auch die Triglyceride (energiespeichernde Neutralfette) erhöht sind.
- Rauchen setzt den Gefässen von Frauen deutlich stärker zu. Die im Rauch enthaltenen Substanzen verengen die Gefässe und lassen den Blutdruck steigen. Rauchen verringert den schützenden Östrogenspiegel im Blut. Frauen, die gleichzeitig rauchen und die Pille zur Empfängnisverhütung nehmen, erhöhen ihr Herz-Kreislauf-Risiko deutlich.
- Psychische Faktoren scheinen bei Frauen eine grössere Rolle bezüglich Infarktrisiko zu spielen als bei Männern. Angst, Ärger, Hektik , Verlust eines nahestehenden Menschen oder Leistungsdruck verursachen Stress, der wiederum bewirkt, dass im Körper Hormone wie Adrenalin und Cortisol freigesetzt werden. In der Akutphase schlägt das Herz schneller, und der Blutdruck steigt. Im Blut steigen Triglycerid- und Zuckerwerte an. Konstanter Stress wirkt sich auch auf das Verhalten aus: Viele rauchen mehr, trinken Alkohol oder leiden an Essstörungen. Es ist deshalb wichtig, negativen Stress zu analysieren und aktiv abzubauen.
- Der Blutdruck ist nach dem 45. Lebensjahr bei fast jeder zweiten Frau erhöht. Aber nicht nur mit zunehmendem Alter, sondern auch bei Übergewicht, Diabetes oder anderen Stoffwechselstörungen steigen die Werte. Die Einnahme der Pille oder eine Schwangerschaft können ebenfalls einen Anstieg des Blutdrucks bewirken.
Der natürliche Schutz vor einem Herzinfarkt bei den Frauen nimmt nach den Wechseljahren ab. Studien konnten nicht nachweisen, dass Hormonersatztherapien das Risiko eines Infarkts mindern. Im Gegenteil: Es wurde sogar ein erhöhtes Risiko für Venenthrombosen und Lungenembolien festgestellt.
Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie hat deshalb 2006 im «European Heart Journal» festgehalten, dass eine Hormonersatztherapie zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Krankheiten nach der Menopause nicht unbedingt empfehlenswert ist. Allenfalls kann eine Hormonersatzbehandlung für kurze Zeit erwogen werden.
Cholesterin ist eine fettähnliche Substanz, die nur in tierischen Lebensmitteln vorkommt. Neben der Aufnahme über die Ernährung produziert unser Körper selbst Cholesterin. Es ist lebensnotwendig für die Bildung von Hormonen und Gallensäure und ist in jeder Zelle enthalten.
Im Blut wird das Cholesterin hauptsächlich über die zwei Lipoproteine LDL (Low-Density-Lipoprotein) und HDL (High-Density-Lipoprotein) transportiert. Das «schlechte» LDL-Cholesterin dient dazu, das Gewebe mit Cholesterin zu versorgen. Auf dem Weg dorthin neigt dieses bei höheren Konzentrationen dazu, sich in den Blutgefässen abzulagern, was zu Arterienverkalkung und Blutbahnverengung führen kann: Das Risiko für einen Herzinfarkt oder einen Hirnschlag steigt markant. Das «gute» HDL-Cholesterin dagegen entzieht dem Körper überschüssiges Cholesterin und transportiert es zurück zur Leber, von wo es aus dem Körper ausgeschieden wird.