Im Vogelhäuschen droht das Verderben
Vögel füttern liegt im Trend. Doch für manche Arten sind Futterhäuschen lebensgefährlich. Grünfinken etwa sterben in Massen an Parasiten, die dort übertragen werden.
Veröffentlicht am 19. Januar 2023 - 14:00 Uhr
Wenn im Garten der Frost regiert, werden in der warmen Stube die Herzen weich: Wie, fragen sich viele, sollen die armen Vögelein da draussen den Winter überstehen? Und so greifen sie zum Vogelfutter. Nicht zu knapp und immer häufiger. Die Landi etwa, die ein grosses Sortiment führt, verkauft seit einigen Jahren immer mehr Vogelfutter: 2021 so viel wie noch nie, teilt die Landi mit – ohne konkrete Zahlen zu nennen.
Fachleute betrachten diesen Trend mit gemischten Gefühlen. «Wir sind nicht gegen das Füttern. Interessierte machen dabei schöne Naturbeobachtungen », sagt Stefan Bachmann vom Verband Birdlife Schweiz. Zudem könne Zufüttern manchen Kleinvögeln das Überleben im Winter erleichtern. «Aber aus biologischer Sicht notwendig ist es nicht – die Arten, die an Futterstellen kommen, sind bei uns allesamt häufig und nicht gefährdet.»
Das Füttern birgt sogar Gefahren für die Vögel. Studien zeigen, dass etwa Meisenknödel im Winter den Bruterfolg von Meisen im Frühling deutlich reduzieren können. Die Knödel bestehen zu einem grossen Teil aus Fett. «Pures Fett ist nun einmal keine artgerechte Ernährung für Kleinvögel», erklärt Stefan Bachmann. Er empfiehlt, Meisenknödel und anderes Fettfutter – wenn überhaupt – nur sehr sparsam anzubieten (siehe auch Tipps unten «Wenn füttern, dann richtig»).
Meisen mit Lungenentzündung
Futterplätze sind Versammlungsorte. Und wo sich viele Tiere treffen, werden leicht Krankheiten übertragen. In Deutschland beobachteten Vogelfreunde vor einigen Jahren, dass es in der Umgebung von Futterstellen auffallend viele Blaumeisen gab, die krank wirkten und kurz darauf starben. Laboruntersuchungen zeigten, dass die Tiere an einer Lungenentzündung litten, die durch das Bakterium Suttonella ornithocola hervorgerufen wird.
«Eine britische Studie zeigt, dass das Füttern eben nicht nur positive, sondern auch negative Einflüsse haben kann.»
Stefan Bachmann, Birdlife Schweiz
Der bekannteste Parasit, der an Futterstellen übertragen wird, ist aber Trichomonas gallinae. Ein Einzeller, der sich über den Speichel verbreitet. Bei Tauben, Finken, Sperlingen und anderen befällt er Kropf, Speiseröhre und Rachen. Infizierte Vögel haben Schwierigkeiten mit der Nahrungsaufnahme, teils kämpfen sie mit Atembeschwerden – nicht selten sterben sie. Bei wild lebenden Finken wurde die Krankheit erstmals 2005 in Grossbritannien entdeckt. Dort brach der Bestand des besonders anfälligen Grünfinken in der Folge um ungefähr drei Viertel ein. Auch fast ein Drittel der Buchfinken starb.
Nur noch halb so viele Grünfinken
Kürzlich gab eine britische Studie klare Hinweise darauf, dass die Vogelfütterung der Grund für diese Rückgänge ist. Dazu wurden beinahe 2200 tote Vögel untersucht, die meisten in Gärten gefunden. Fast die Hälfte waren Grünfinken und Buchfinken – drei von vier davon waren vom Parasiten befallen. Die Einbrüche bei den Beständen waren besonders drastisch in vorstädtischen Gebieten, wo das ganze Jahr über gefüttert wird. «Die Studie zeigt, dass das Füttern eben nicht nur positive, sondern auch negative Einflüsse haben kann», sagt Stefan Bachmann.
Drastische Abnahmen bei den Grünfinken gab es in den letzten Jahren auch in Österreich, Finnland und der Schweiz: 2012 wurde Trichomonas gallinae hierzulande erstmals als mutmassliche Todesursache diagnostiziert, seither hat sich der Bestand fast halbiert. «Wir gehen davon aus, dass der Parasit dafür zumindest ein wichtiger Grund ist», so Bachmann. Der Bestand der Buchfinken dagegen ist in der Schweiz und im grössten Teil Europas stabil.
Gartenvögel geben Krankheiten an eine seltenere Vogelart weiter, darauf weist eine letztes Jahr publizierte Studie unter der Leitung der Vogelwarte Sempach hin. Im März 2019 wurden in der Nähe einer Winterfütterungsstelle in Arosa GR mehr als 20 tote Schneesperlinge gefunden. Die Art ist mit 6000 bis 9000 Brutpaaren in der Schweiz nicht selten, aber auf der Roten Liste und gilt als potenziell gefährdet. Denn der Schneesperling ist ein Kältespezialist. Er lebt in felsigen Bergregionen, und es ist nicht klar, wie gut er mit der Klimaerwärmung zurechtkommen wird.
Neue Krankheitsausbrüche reduzieren
Die Vogelwarte schickte einen toten Schneesperling ans Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin der Uni Bern. Der Befund: Trichomonas gallinae. In den folgenden zwei Wintern nahm die Vogelwarte mehr als 200 Kot- und mehr als 600 Speichelproben bei Schneesperlingen. «Wir wollten wissen, ob Salmonellen und Trichomonaden auftreten – und welche Auswirkungen sie auf das Überleben und den Bruterfolg des Schneesperlings haben», so Martina Schybli von der Vogelwarte. Glücklicherweise seien die untersuchten Proben negativ gewesen. Man beschränke sich deshalb momentan darauf, Leute in Bergregionen, die im Winter Schneesperlinge füttern, zu sensibilisieren. «Ziel ist es, die Weiterverbreitung im Fall eines erneuten Ausbruchs so gut wie möglich zu reduzieren.»
Für Birdlife und Vogelwarte ist klar: Wer Vögel füttern will, sollte das fachgerecht tun, damit die Tiere durch die gut gemeinte Geste nicht zu Schaden kommen. Und man sollte sich im Klaren sein, dass eine Fütterung nicht die Probleme löst, unter denen die Vogelwelt leidet. «Das ist nur durch eine Aufwertung von Lebensräumen zu erreichen», sagt Martina Schybli.
Stefan Bachmann ergänzt: «Kritischer als der Winter ist meist die Brutzeit im Frühjahr.» Was aber nicht heisse, dass man dann füttern soll. Denn die meisten Arten verfüttern ihren Jungen Insekten. Wenn die fehlen, können ganze Bruten verenden. Ein vielfältiger Naturgarten , in dem es summt und brummt, bringe darum der Vogelwelt mehr als jedes prall gefüllte Futterhäuschen.
Tipps: Wenn füttern, dann richtig
- In milden Wintern finden die Vögel genügend Nahrung. Deshalb am besten nur bei Dauerfrost oder geschlossener Schneedecke füttern.
- Um Infektionen zu vermeiden, Futtersäulen oder Futterhäuschen mit schmalen Krippen oder Entnahmestellen verwenden. So können die Vögel nicht ins Futter stehen und hineinkoten.
- Das Futter muss trocken bleiben. Es sollte nur so viel gefüttert werden, wie an einem Tag gefressen wird. Das verringert die Gefahr, dass das Futter schimmelt und sich Krankheitserreger ausbreiten.
- Futterhäuschen an einen gut überschaubaren Ort, aber in die Nähe von Bäumen oder Büschen stellen. So haben die Vögel einen Zufluchtsort, wenn Feinde auftauchen.
- Qualitativ einwandfreies Futter verwenden, für Körnerfresser am besten Sonnenblumenkerne und Hanfsamen. Zertifizierte Produkte sind mit dem Birdlife-Logo gekennzeichnet. Für Amsel, Rotkehlchen und Star allenfalls Haferflocken, gehackte Baum- und Haselnüsse, Weinbeeren oder Obststücke bereitlegen. Keine Erdnüsse, Essensreste oder Fettfutter verwenden.
- Reste und Kot regelmässig wegräumen, die unters Futterhäuschen fallen.
- Bei kranken oder toten Vögeln die Futterstelle sofort für mehrere Wochen entfernen und mit heissem Seifenwasser gründlich reinigen. Später an einem anderen Standort weiterfüttern.
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