«Was wir gesät haben, hat uns ernährt»
Rita Attinger Ribbe aus Gockhausen ZH hat sich einen Monat lang nur von dem ernährt, was in ihrem Garten wächst. Was hat das Experiment mit ihr gemacht?
Veröffentlicht am 5. Januar 2023 - 14:00 Uhr
Aufgezeichnet von Noemi Hüsser
Nahrungsmittel müssten teurer sein. Sie haben viel mehr Wert, als wir ihnen geben. Sie müssen wachsen und brauchen Zeit, Licht, Wasser und Boden. Es ist darum falsch, einfach das Billigste und Schönste zu kaufen.
Es tut mir jedes Mal weh, wenn ich sehe, wie Lebensmittel aus dem Boden gestampft werden. Nur damit wir sie dann verschleudern können.Gerade jetzt über Weihnachten und Neujahr war der Überfluss wieder krass. All die Werbung, Geschenke, Rabatte, Festessen. Uns sollte viel bewusster werden, wie und was wir essen.
Es ist zu selbstverständlich, dass wir alles in den Einkaufskorb legen können. Und dann werfen wir vieles davon weg, weil wir uns beim Einkaufen nichts gedacht haben. Nahrungsmittel gehören aber nicht in den Abfall.
Kein Rüebli hat es verdient, aussortiert zu werden, nur weil es nicht die richtige Form hat. Kein Kürbis ist zu klein, um gegessen zu werden.
Meine Wertschätzung für Nahrungsmittel hat sich seit letztem September noch einmal verstärkt. Ich habe mich mit meiner Familie einen Monat lang nur von dem ernährt, was wir in unserem Garten angebaut haben.
Wir haben schon länger einen Garten und wollten sehen, ob das geht. Es war für uns eine Auszeit von der Konsumgesellschaft. Wir waren neugierig und wollten erleben, wie es ist, uns reduzieren zu müssen. Andere gehen einen Monat ins Kloster, um sich selbst zu finden, wir haben einen Garten- und Küchenmonat gemacht.
Einkochen, backen, extrahieren
Die Entscheidung trafen wir ein Jahr zuvor. Mein Bruder hatte mir ein Video geschickt von jemandem, der das gemacht hat. Wir dachten: Das wollen wir auch! Als Erstes haben wir Weizen ausgesät.
Später kamen Rüebli, Kürbis, Gurken, Mais, Kartoffeln, Zucchetti, Salate, Chinakohl, Lauch, Knoblauch, Zwiebeln, Tomaten, Melonen, Sellerie, Krautstiel, Fenchel und verschiedene Kräuter dazu. Johannisbeeren, Cassis, Himbeeren, Äpfel, Birnen, Trauben, Pfirsiche und Feigen wuchsen bereits im Garten.
Das klingt nach viel, verglichen mit den übervollen Regalen im Supermarkt ist das aber eine starke Reduktion. Alles, was irgendwie in unseren Garten passt, haben wir angepflanzt.
«Am Ende des Monats waren wir stolz auf uns. Es war ein Gefühl von Unabhängigkeit – Unabhängigkeit vom Konsum.»
Rita Attinger Ribbe
Ich bin Kinesiologin, Hypnosetherapeutin und arbeite in einem Bastelladen. Für diesen Monat habe ich mein Pensum reduziert, da ich viel mehr Zeit für die Zubereitung des Essens brauchte. Wir wollten ja nicht nur essen, sondern vor allem gut essen. Und das braucht viel Zeit. Etwas muss man erst einkochen, etwas anderes extrahieren, anderes backen.
Am Ende des Monats waren wir stolz auf uns. Was wir gesät haben, hat uns ernährt. Es war ein Gefühl von Unabhängigkeit – Unabhängigkeit vom Konsum .
Natürlich waren wir abhängig von der Natur, vom Garten und von der Zeit. Aber das machte es spannend. Sonst wäre es nur Arbeit gewesen. Jede unserer Handlungen hatte direkte Konsequenzen. Hätte ich meinen Garten nicht gewässert, hätten wir im September keinen Kürbis gehabt.
Es hat auch Spass gemacht, vor allem gegen Schluss. Wir wurden immer kreativer und gelassener. Wir waren geerdet, im wahrsten Sinne des Wortes. Das war wahnsinnig entspannt und megaschön.
Stress pur im Supermarkt
Eigentlich hatte ich mich darauf gefreut, nach Ende des Experiments wieder einkaufen zu gehen und aus dieser Fülle schöpfen zu können. Aber wenn ich jetzt in die Migros gehe, stresst mich das nur.
Es hat so viele Menschen mit ihren Wägeli, und die Ware ist so lampig. Das erste Mal wieder einkaufen zu gehen, war überhaupt nicht toll. Ich habe nur Joghurt, Butter und Käse gekauft, weil ich Milchprodukte so vermisst habe, und bin wieder gegangen. Alles andere habe ich nicht gebraucht, ich hatte ja alles.
Ich war nicht mehr bereit für diesen schnellen Konsum . Und bin es bis heute nicht. Ich kaufe viel weniger ein als vorher. Früher habe ich Cashewnüsse gekauft, jetzt esse ich die Baumnüsse, die vor meinem Haus auf den Boden gefallen sind. Auch wenn ich sie sammeln, trocknen und knacken muss. Das braucht zwar Zeit, aber das ist es mir wert.
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