In die Klinik – und dann?
Wann darf jemand gegen seinen Willen in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden? Das Gesetz über fürsorgerische Unterbringung regelt diese und andere Fragen.
aktualisiert am 25. November 2020 - 08:33 Uhr
Wenn psychisch kranke , schwer geistig behinderte oder stark verwahrloste Menschen Hilfe benötigen, dürfen sie in eine psychiatrische Klinik gebracht werden – auch gegen ihren Willen, aber zu ihrem eigenen Schutz.
Das Gesetz mit der Bezeichnung «fürsorgerische Unterbringung», das am 1. Januar 2013 in Kraft trat, regelt den Schutz der betroffenen Person besser als sein Vorgänger, die «fürsorgerische Freiheitsentziehung» (FFE).
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Eine Person, die an einer psychischen Störung oder an geistiger Behinderung leidet oder schwer verwahrlost ist, darf in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann», heisst es im Artikel 426 des Zivilgesetzbuchs. Die Bestimmung kommt immer dann zur Anwendung, wenn die betroffene Person Widerstand leistet oder aufgrund einer Urteilsunfähigkeit keine Zustimmung geben kann.
Bei einer Einweisung wider Willen sind die Belastung und der Schutz der Angehörigen zu berücksichtigen – obwohl der Schutz der betroffenen Person und nicht der Umgebung dienen muss. Doch wenn Angehörige oder Dritte überfordert sind, bringt diese Überforderung der betroffenen Person nichts. Im schlimmsten Fall würde sie die Probleme noch verschärfen.
Was darf die Kesb alles?
Wenn die geschilderten gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Erwachsenenschutzbehörde eine Einweisung in eine Klinik veranlassen. Spätestens nach sechs Monaten muss sie abklären, ob die Unterbringung noch gerechtfertigt ist – sofern die Person inzwischen nicht ohnehin entlassen wurde.
Die Kantone können Ärzte und Ärztinnen bestimmen, die eine Einweisung für maximal sechs Wochen anordnen dürfen. Zuvor sind sie jedoch verpflichtet, die betroffene Person persönlich zu untersuchen. Sie dürfen sich also nicht bloss auf Angaben von Verwandten, der Polizei oder anderen Personen stützen. Wenn die Erwachsenenschutzbehörde die Aufenthaltsdauer von sechs Wochen nicht verlängert, muss die Entlassung aus der Klinik erfolgen.
Eine angeordnete Einweisung kann man nicht verhindern, aber sobald man in der Klinik ist, kann man die Entlassung verlangen: «Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann jederzeit um Entlassung ersuchen. Über dieses Gesuch ist ohne Verzug zu entscheiden», heisst es dazu im neuen Gesetz.
Das Entlassungsgesuch, das sich an die Erwachsenenschutzbehörde oder an die Klinikleitung richten kann, kann mündlich erfolgen. Wird das Gesuch abgelehnt, kann man schriftlich ans Gericht gelangen; welches dafür zuständig ist, wird mitgeteilt.
Ans Gericht kann man sich auch wenden, wenn man ärztlich eingewiesen worden ist, wenn man freiwillig eingetreten ist und zurückbehalten wird oder wenn eine Behandlung ohne Zustimmung erfolgt ist.
Erfolgt eine Behandlung ohne Zustimmung der betroffenen Person, spricht man von Zwangsmassnahmen. Die Chefärztin oder der Chefarzt der Klinik kann solche schriftlich anordnen, wenn
- der betroffenen Person ohne Behandlung ein ernsthafter gesundheitlicher Schaden droht oder das Leben oder die körperliche Integrität anderer Personen ernsthaft gefährdet ist;
- die betroffene Person bezüglich ihrer Behandlungsbedürftigkeit urteilsunfähig ist;
- keine angemessene Massnahme zur Verfügung steht, die weniger einschneidend ist.
Wenn Rechtsfragen auftauchen, empfiehlt der Beobachter, Organisationen wie Pro Mente Sana (www.promentesana.ch) oder Pro Infirmis (www.proinfirmis.ch) zu konsultieren. Darüber hinaus hat jedermann das Recht, eine Person seines Vertrauens beizuziehen, die ihn unterstützt – das kann eine aussenstehende Person oder ein anderer Patient sein.
Die Aufgabe der Vertrauensperson ist es, die untergebrachte Person über ihre Rechte und Pflichten zu informieren, Anliegen zu formulieren und weiterzuleiten, bei Konflikten zu vermitteln und ihr beizustehen. Bei entsprechender Vollmacht hat sie Einblick in die Krankengeschichte und ein Auskunftsrecht.
Der Vertrauensperson darf keine Kontaktsperre auferlegt werden, und sie muss den Patienten oder die Patientin auch ausserhalb der Besuchszeiten besuchen dürfen.
Bisher musste eine Person aus der Klinik entlassen werden, sobald die akute Krise vorüber war. Das trug zur sogenannten Drehtürpsychiatrie bei – dass also jemand zu früh und unzureichend stabil aus psychiatrischen Einrichtungen entlassen werden und bereits nach kurzer Zeit wieder aufgenommen werden musste, weil sich der Zustand wieder verschlechterte.
Vereinigungen von Angehörigen von Schizophrenie- und psychisch Kranken haben sich für eine bessere Regelung eingesetzt: Nach neuem Recht muss eine Person erst entlassen werden, wenn die Voraussetzungen für die Unterbringung nicht mehr erfüllt sind – wenn die Behandlung also zum Beispiel auch ambulant erfolgen kann.
Bei einer fürsorgerischen Unterbringung (FU) kann eine Person gegen ihren Willen in eine psychiatrische Einrichtung gebracht werden. In einem solchen Fall kann die betroffene – oder eine ihr nahestehende Person – jederzeit um Entlassung ersuchen. Beobachter-Mitglieder finden hilfreiche Musterbriefe und Checklisten zum Thema. Angehörige erfahren überdies, wie sie mit der Situation umgehen und wo sie Hilfe finden können.
1 Kommentar
Man reibt sich die Augen, wie Ämter und Behörden Betroffene "entmenschlichen" dürfen, alles immer unter dem Deckmantel, die Betroffenen schützen zu wollen.
Verlogener geht für mich nicht mehr, die Wirkungen sind die Gleichen, wie autokratische Staaten mit Bürgern umgehen, da besteht in seinen faktischen Wirkungen nur wenig Unterschied.