Wenn Yvonne Huber mit Behörden zu tun hat, bekommt sie manchmal den «Lebensverleider». «Wir Jenische waren lange der Abschaum der Schweiz. Heute werden wir bei den Ergänzungsleistungen schlechter behandelt als die Hausbesitzer.»

Huber ist 61, IV-Rentnerin, erhält Ergänzungsleistungen. Sie misstraut den Behörden zutiefst. Das hat Gründe. «Meine Eltern haben mich als Kleinkind bei Bergbauern versteckt, damit die Pro Juventute mich nicht holen konnte.» Die Organisation wollte aus Kindern Sesshafte machen, die Vormundschaftsbehörden halfen bereitwillig. Das Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse, ein Projekt der Pro Juventute von 1926 bis 1972, zerstörte viele jenische Familien.

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Damit sie vor dem Zugriff der Organisation geschützt war, wuchs Yvonne Huber bei ihrer Grossmutter im Wallis auf. In der Schule in Siders blieb der Stuhl neben ihr oft leer. «Niemand wollte neben mir sitzen. Sie riefen mir ‹Dreckszigeuner› Jenische werden Stigma nicht los «Ich war nie am richtigen Ort» nach.» Ihre eigenen Kinder habe sie mit gemischten Gefühlen in die Schule geschickt. Sie wartete jeden Tag vor dem Schulhaus auf ihre drei Buben, aus Angst, die Behörden könnten sie wegnehmen. «Die Kindheit. Das verfolgt mich alles», sagt Yvonne Huber. Trotzdem erhielt sie bisher keine Wiedergutmachung für Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen. Der Staat argumentiert, sie sei zu wenig betroffen.

«Das Dach sollte eigentlich geflickt werden. Aber Flicken geht nur auf Schulden.»

Yvonne Huber, Jenische

Heute wohnt Huber auf einem Winterstandplatz für Jenische in der Stadt Bern. Weil sie nicht mehr so gut zwäg ist, geht sie im Sommer nicht mehr auf Fahrt. Auf dem Standplatz Buech, zwischen Autobahn und Shoppingcenter Westside, besitzt Yvonne Huber ein Campinghaus, das 26 Jahre alt ist. Im Dach hausen Mäuse. Der Stadt Bern zahlt sie 413 Franken Parzellenmiete pro Monat.

Zum Leben bleiben ihr rund 1800 Franken pro Monat. Davon muss sie alles bezahlen, was nicht Krankenkasse und Miete ist: Heizung, Strom, Wasser, das Handy, Lebensmittel und Kleider, Geschenke für die Enkel, Versicherungen, Steuern. Aus Sicht der Ausgleichskasse des Kantons Bern muss sie mit dem Geld auch für grössere Reparaturen an ihrem Häuschen aufkommen.

«Ich habe nicht einmal genug Geld für das Heizöl im Winter. Ein netter Pfarrer aus Freiburg zahlt mir oft ein paar Hundert Franken daran», sagt Yvonne Huber. Geld für Reparaturen habe sie nicht. «Das Dach sollte eigentlich geflickt werden. Aber Flicken geht nur auf Schulden.»

Kleiner Unterschied mit grossen Auswirkungen

Wenn sie sesshaft wäre, hätte Yvonne Huber dieses Problem nicht. Denn für Sesshafte, die im eigenen Haus leben, hat das Parlament Sonderregelungen erlassen. Für Fahrende gelten sie nicht. Ihr Häuschen ist juristisch gesehen keine Immobilie, sondern eine sogenannte Fahrnisbaute: ein Haus, das auf fremdem Boden steht und nicht fest mit dem Untergrund verbunden ist. Ein mobiles Besitztum, das in keinem Grundbuch registriert ist, so wie es der Kultur der Fahrenden entspricht.

Der kleine Unterschied hat grosse Auswirkungen. Wer Ergänzungsleistungen bezieht und eine Immobilie besitzt, kann einen fiktiven Mietzins geltend machen, den Eigenmietwert. Im Kanton Bern können Bezügerinnen und Bezüger deshalb bis zu 20 Prozent davon als Pauschalausgabe für den Gebäudeunterhalt geltend machen. Konkret: Wenn Yvonne Huber pro Monat 1000 Franken Eigenmietwert angeben könnte, würde ihr die Berner Ausgleichskasse für die 26 Jahre alte Unterkunft 2400 Franken mehr Ergänzungsleistungen zahlen. Einzig die Nebenkostenpauschale von 210 Franken pro Monat erhält sie wie alle anderen Hausbesitzer auch.

Als Besitzerin einer Fahrnisbaute erhält Yvonne Huber keine Beiträge an den Unterhalt – weil das theoretische Konstrukt des Eigenmietwerts für sie nicht gilt. Die Nebenkostenpauschale muss reichen, obwohl sie eigentlich nur für Heizung oder Warmwasser gedacht ist.

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Eigentlich bezahlt die Ausgleichskasse Fahrenden, die in einem Campinghaus leben, eine Amortisation. Aber das ist weitgehend Theorie. Im Kanton Bern gibt es Beiträge nur für die ersten vier Jahre nach dem Kauf des Häuschens. Dann nichts mehr. Der Grund: Steuertechnisch gilt ein Campinghäuschen nach vier Jahren als wertlos.

«Wir werden diskriminiert wie eh und je», nervt sich Yvonne Hubers Sohn René*. Er hilft seiner Mutter beim Administrativen. Die Regelung zur Amortisationszahlung sei ein Witz. «Sozialminister Alain Berset kam vor fünf Jahren zu uns an die Feckerchilbi und gab sich als Freund der Jenischen. Aber Folgen hatte das nicht.»

«Die Ämter diskriminieren alle, die in einer mobilen Unterkunft wohnen.»

Uschi Waser, Präsidentin der Stiftung Naschet Jenische

Das Bundesamt für Sozialversicherungen kann keine Diskriminierung der Fahrenden erkennen. Die gesetzlichen Bestimmungen zu den Reparaturkosten gälten ja nicht nur für Fahrende, sondern für alle Personen in mobilen Unterkünften, argumentiert es. Weil Sesshafte, die auf dem Campingplatz leben, dasselbe Problem haben, kann man nicht von einer Diskriminierung der Fahrenden sprechen.

Das überzeugt Uschi Waser nicht. Die Präsidentin der Stiftung Naschet Jenische sagt: «Die Ausgleichskassen diskriminieren bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen systematisch alle, die in einer mobilen Unterkunft wohnen. Wenn sie eine Reparatur brauchen, schickt sie das Amt auf den Bettel. Bei Immobilienbesitzern geschieht das nicht.»

«Der Bund muss bei den Ergänzungsleistungen über die Bücher»

Waser verweist auf den Aktionsplan des Bundes gegen die Diskriminierung von Fahrenden, der seit fünf Jahren existiert. «Die Praxis der Sozialbehörden ist auf eine sesshafte Kultur ausgerichtet», heisst es dort. Deshalb verlangt das Papier, dass «die nomadische Lebensweise im Sozialversicherungswesen angemessen berücksichtigt werden» soll. «Das ist noch zu wenig geschehen», kritisiert Uschi Waser. «Der Bund muss bei den Ergänzungsleistungen über die Bücher. Die spezielle Wohnform der Fahrenden muss er stärker berücksichtigen.»

Die Konferenz der kantonalen Ausgleichskassen will nun immerhin prüfen, ob ein «Problem in Bezug auf die Übernahme von Wohnkosten» besteht. Vizepräsident Hans Jürg Herren wird dafür mit den Verantwortlichen von Naschet Jenische im August zu einem Gespräch zusammenkommen.

840 Franken zu wenig erhalten – wegen Computerpanne

Die Beratungsstelle hofft auf ein Einlenken. Das sei auch nötig, weil die Kassen die Fahrenden bereits Anfang Jahr brüskiert hatten. Per 2021 hatten sie rund 100 Verfügungen für zu tiefe Ergänzungsleistungen erlassen. Das Computerprogramm hatte die Situation für Personen in mobiler Unterkunft falsch erfasst. Betroffen waren die Kantone Bern, Neuenburg, Graubünden, Freiburg, St. Gallen und Schwyz. Die Ursache für die falsche Rentenberechnung war die Reform der Ergänzungsleistungen per 1. Januar 2021 Ergänzungsleistungen Das ändert sich bei den EL ab 2021 . Yvonne Huber sollte plötzlich einen Betrag erhalten, der 840 Franken unter ihrem jährlichen Anspruch lag.

«Erst als wir intervenierten, hat die Ausgleichskasse des Kantons Bern den Fehler korrigiert», sagt Samuel Woodtli von Naschet Jenische. Er spricht von einem fragwürdigen Umgang der Behörden mit der Minderheit der Fahrenden. Die Konferenz der Ausgleichskassen lässt ausrichten, das Problem sei gelöst. Alle Betroffenen hätten das fehlende Geld rückwirkend auf Anfang Jahr erhalten. Der Fehler sei rein technischer Natur gewesen, die Kassen hätten niemanden diskriminieren wollen.

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Mehr zu Ergänzungsleistungen

Um Ergänzungsleistungen (EL) zu beziehen, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Beim Beobachter erfahren Mitglieder nicht nur, welche das sind, sondern führt auch mit Fallbeispielen auf, welche Auswirkungen eine Hausübertragung hat und welche Rechtsmittel bei einem negativen Entscheid offenstehen.

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