Welche Beweismittel sind zugelassen?
Aus jedem «Tatort» wissen wir: Ein Verdacht ist gut, Beweise sind besser. Doch wann ist ein Beweis gültig? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
aktualisiert am 24. Februar 2023 - 14:10 Uhr
Man beschuldigt mich, ich hätte eine Straftat begangen. Muss ich jetzt meine Unschuld beweisen?
Nein. Es sind die Strafverfolgungsbehörden, die nachweisen müssen, dass jemand ein Delikt begangen hat. Wenn dieser Beweis nicht gelingt, muss die Person freigesprochen werden. Das lässt sich aus dem Prinzip der Unschuldsvermutung ableiten: Jeder Angeschuldigte gilt bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
Darf ich als Beschuldigter Beweise liefern, die mich entlasten?
Ja. Das ergibt sich aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör. Entsprechende Anträge darf eine Strafrichterin nur ausnahmsweise abweisen – wenn sie sich aus anderen Beweisen schon ein ausreichendes Bild machen konnte und annimmt, dass neue Beweise nichts daran ändern werden. Man nennt das «antizipierte Beweiswürdigung».
Welche Beweismittel werden zugelassen?
Grundsätzlich alle, die geeignet sind, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Wichtig ist, dass sich die Behörden beim Sammeln der Beweise im erlaubten Rahmen bewegen.
Von A(ugenschein) bis Z(eugenbefragung): Um ein Verbrechen aufzuklären, können die Strafbehörden…
…einen Augenschein nehmen: Die Staatsanwältin kann sich Abläufe vor Ort anschauen, um eine Tat zu beurteilen. Sie kann etwa nachstellen lassen, wie jemand, der gleich gross ist wie der Angeschuldigte, von einem bestimmten Ort aus einen Schuss abgibt – um die Bedingungen zu klären.
…eine DNA-Probe nehmen: Unter Umständen ist es möglich, von Personen, die in ein bestimmtes Täterprofil passen, DNA-Proben zu nehmen. Gesetzlich ist detailliert geregelt, wann das möglich ist.
…verdeckte Ermittler einsetzen: Bei Verdacht auf ein schweres Verbrechen kommen unter Umständen Personen zum Einsatz, die unter falscher Identität ermitteln. Dazu kann die Nationalbank zum Beispiel einem verdeckten Ermittler sogenanntes Vorzeigegeld zur Verfügung stellen, damit er einem Observierten gegenüber den Anschein erwecken kann, er verfüge über grosse Summen.
…eine Hausdurchsuchung vornehmen: Dafür braucht die Polizei einen Hausdurchsuchungsbefehl des Staatsanwalts oder des Gerichts. Nur in dringenden Fällen – etwa wenn eine Person auf frischer Tat ertappt und bis in ihre Wohnung verfolgt wurde – kann auf diese Bewilligung verzichtet werden.
…Briefe und Anrufe überwachen: Bei schweren Verbrechen wie einem Raubüberfall darf die Staatsanwältin Briefe, E-Mails und Telefonate des Verdächtigten überwachen lassen. Diesen schweren Eingriff in die Privatsphäre muss aber ein Gericht genehmigen. Und die Zielperson erfährt im Nachhinein, dass, weshalb und wie lange sie überwacht wurde.
Darf die Polizei einer Beschuldigten vortäuschen, ein Mitbeschuldigter habe gestanden, um ihr so ein Geständnis zu entlocken?
Nein. Strafbehörden dürfen die befragten Personen nicht täuschen. Unzulässig sind auch Drohungen, Gewalt oder Zermürbungstaktiken wie zum Beispiel ein übermässig langes, ermüdendes Verhör.
Und wenn sich die Ermittler nicht an diese Regeln halten? Wenn die Beschuldigte gesteht, weil sie ausgetrickst wurde?
Dann müssen die Behörden so tun, als hätte sie nicht gestanden. Ein solches Geständnis darf man bei der Bestrafung nicht berücksichtigen, es muss aus den Akten entfernt werden. Der Beweis ist also, obwohl er faktisch vorhanden ist, nicht verwertbar.
Übt der Staatsanwalt bei der Einvernahme Druck auf die beschuldigte Person aus, ist es besser, wenn man seine Rechte kennt. Beobachter-Mitglieder erfahren in der Checkliste «So kommen Sie bei der Staatsanwaltschaft nicht unter die Räder», wie die Einvernahme abläuft und wie sie taktisch klug vorgehen können.
Dürfen die Strafbehörden Lügendetektoren einsetzen?
Nein. Das würde zu stark in die persönliche Freiheit eingreifen.
Darf ich jemanden heimlich filmen, um ihm ein illegales Verhalten nachzuweisen?
Das kommt auf die Situation an. Juristisch bewegt man sich hier auf dünnem Eis. Unter Umständen verletzt man damit den Datenschutz oder macht sich sogar strafbar – etwa wenn man heimlich ein privates Gespräch aufzeichnet. Zudem muss die Strafbehörde abwägen, ob die Aufnahme als Beweis zählt. Salopp formuliert gilt für diese Interessenabwägung: Wenn der Film zeigt, wie jemand einen Mord begeht, darf er verwertet werden – nicht aber, wenn jemand einem anderen den Stinkefinger zeigt.
Um Verbrechen aufzuklären, können die Strafbehörden ausserdem…
…Personen durchsuchen: Um Tatspuren oder Drogen zu finden, kann die Polizei bei Verdacht Kleider, Körperoberfläche, Mund – und das Auto durchsuchen.
…eine Obduktion anordnen: Wenn es Anzeichen für einen unnatürlichen Tod gibt, wird der Leichnam durch eine sachverständige Ärztin inspiziert. Bei Hinweisen auf eine Straftat untersucht ein Rechtsmediziner, es kann zur Obduktion kommen. Um eine Straftat aufzuklären, können Leichen exhumiert werden.
…Beweismittel beschlagnahmen: Ein Gegenstand, der als Beweis in Frage kommt (gestohlenes Portemonnaie, Tatwaffe…), kann beschlagnahmt werden. Dafür braucht es einen Befehl des Staatsanwalts oder des Gerichts. Die Korrespondenz zwischen dem Beschuldigten und seiner Anwältin sowie gewissen nahestehenden Personen bleibt dagegen tabu.
…Fingerabdrücke, Stimm- oder Sprachproben nehmen: Die Stimmprobe kann man etwa mit einem aufgezeichneten Telefongespräch vergleichen. Oder man kann sie einem Zeugen vorspielen.
…Zeugen befragen: Wenn eine unbeteiligte Person etwas gesehen hat, was eine Straftat aufklären könnte, wird sie als Zeugin einvernommen. Für Zeugen gilt: Wer lügt, macht sich strafbar.
Wird die Aussage einer Polizistin als glaubwürdiger eingestuft als die einer Privatperson?
Nein, nicht generell. Das Gericht kann die Beweise frei würdigen. Das heisst: Die Richter entscheiden nach ihrer persönlichen Überzeugung und sind nicht an starre Regeln gebunden. So gibt es etwa auch keine Regel, dass etwas zwingend als bewiesen gilt, wenn zwei Zeugen es bestätigen.
Was passiert, wenn ein Zeuge bestätigt, er habe eine Tat gesehen, ein anderer dem Beschuldigten jedoch ein wasserdichtes Alibi verschafft?
Das hängt von den weiteren Beweisen ab. Wenn beispielsweise auch noch eine belastende Videoaufnahme existiert, dürfte es zu einem Schuldspruch kommen. Falls die weitere Beweislage aber ebenso widersprüchlich ist und die Richterin am Ende immer noch Zweifel an der Schuld hat, muss sie den Beschuldigten freisprechen.
Was geschieht, wenn anzunehmen ist, dass ein Verdächtiger Beweise verschwinden lässt?
Dann kann die Staatsanwältin beim Gericht Untersuchungshaft beantragen. Damit wird verhindert, dass der Verdächtige zum Beispiel die Tatwaffe verschwinden lässt oder sich mit Komplizen abspricht. Die Untersuchungshaft hat also nicht den Zweck, jemanden zu bestrafen, sondern soll die Strafuntersuchung erleichtern.
Wer beschuldigt wird, eine Straftat begangen zu haben, sollte sich unweigerlich mit der Schweizer Strafprozessordnung vertraut machen. Der Beobachter erklärt Mitgliedern nicht nur diverse Fachbegriffe der Gerichtssprache, sondern bietet auch eine Checkliste zu Punkten an, die man generell beachten sollte, um in der Strafuntersuchung nicht unter die Räder zu kommen.