Unbegleitete Minderjährige: Kantone kommen an ihre Grenzen
Die Zahl der Asylgesuche von Kindern und Jugendlichen ohne Eltern steigt. Der Beobachter zeigte schon 2023, dass deren Betreuung gegen die Uno-Kinderrechtskonvention verstösst.
Veröffentlicht am 17. Juli 2024 - 18:47 Uhr
Noch nie stellten so viele auf sich allein gestellte Kinder und Jugendliche ein Asylgesuch wie im Jahr 2023.
Die Zahl an Gesuchen von unbegleiteten Minderjährigen, sogenannten UMA, steigt seit 2022 stark. Letztes Jahr flüchteten über 3000 Jugendliche ohne ihre Eltern in die Schweiz – ein neuer Rekord.
Unbegleitete Minderjährige gelten als besonders verletzlich. Deshalb hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) für sie ein Asylverfahren eingerichtet, das mit speziellen Schutzmassnahmen verbunden ist.
Ihre Gesuche haben gemäss Asylgesetz Vorrang, und sie haben Anspruch auf eine Vertrauensperson. Fast 70 Prozent der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen, die 2023 ein Asylgesuch stellten, stammen aus Afghanistan, wo die Taliban seit 2021 wieder an der Macht sind.
Die Kantone kommen mit der Betreuung und der Unterbringung immer mehr an ihre Grenzen.
Grossteil der Kantone stark gefordert
17 Kantone berichten, dass die Lage angespannt oder kaum noch zu bewältigen sei, so Gaby Szöllösy, Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) gegenüber CH Media.
Jugendliche verloren Rechte als Minderjährige
Welche Auswirkungen es hat, wenn Kantone am Anschlag sind, zeigte sich bereits 2023: Damals unterteilte das SEM minderjährige Geflüchtete neu in zwei Gruppen.
Jugendliche über 16 Jahren wurden als «selbständige» unbegleitete Minderjährige bezeichnet – und als «nicht besonders vulnerabel» eingestuft. Der Beobacher berichtete ausführlich darüber.
Damit wurden sie praktisch wie Erwachsene behandelt und verloren gewisse Rechte – beispielsweise den Anspruch auf eine persönliche sozialpädagogische Bezugsperson.
Die Begründung: fehlendes Betreuungspersonal aufgrund der steigenden Zahlen an unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe sah darin einen Verstoss gegen die Uno-Kinderrechtskonvention.
Kein gutes Zeugnis für die Schweiz
Es ist nicht die einzige Kritik gegenüber dem Umgang der Schweiz mit Kindern und Familien im Asylsystem. Einen weiteren Verstoss gegen die Kinderrechtskonvention stellte die Nationale Kommission für Verhütung von Folter fest.
In einem Bericht aus dem Jahr 2022 äusserte sie sich besorgt über die Lebensbedingungen von Kindern und ihren Familien, insbesondere Frauen, in den Schweizer Rückkehrzentren. So wurden ganze Familien in jeweils einem einzigen Zimmer untergebracht – und das jahrelang.
Die zwei von der Kommission besuchten Zentren hätten das Recht von Kindern auf angemessene Lebensbedingungen und das Recht auf Ruhe und Freizeit sowie auf Spiel und altersgemässe aktive Erholung verletzt.
- Teil 1: Alles anders beim Asyl
- Teil 2: Die EU macht dicht – und die Schweiz?
- Teil 3: Vor Ort helfen statt abschrecken
1 Kommentar
Asylsystem am Anschlag: Gemeinden werden im Stich gelassen.
Ein Phänomen, das wir in der Schweiz immer wieder beobachten können: Kann ein Polit-Problem beim Bund oder den Kantonen nicht gelöst werden, wird es den Gemeinden zugeschoben; dies mit der berechtigten Hoffnung, dass sich die Gemeinden nicht getrauen, die Erfüllung der so delegierten Aufgabe abzulehnen. Jüngstes Beispiel ist der Notstand bei der Unterbringung der Asylsuchenden.
Weil die Mehrheit der Bundes-Parlamentarier:innen eine Verschärfung des Asylgesetzes ablehnt, müssen jetzt die Städte und Gemeinden Unterbringungsmöglichkeiten beschaffen, koste es was es wolle.