Das Video zeigt es klar: Eine Jeep-Fahrerin überholt bei Bülach ZH auf der Autobahn rechts. Ein Autofahrer filmte sie mit seiner Dashcam und zeigte sie an. Sie wurde vom Bezirksgericht verurteilt, zog den Fall aber weiter ans Obergericht und dann ans Bundesgericht. Es gab der Jeep-Fahrerin überraschend recht. Begründung: Dashcam-Aufnahmen verletzen das Datenschutzgesetz, sind daher illegal. Und illegale Beweismittel sind in der Regel nicht verwertbar. Die Richter der Vorinstanzen hatten argumentiert, das Interesse an einer Verurteilung überwiege in diesem Fall.

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Das Bundesgericht entschied aber: Illegale Beweise sind nur zulässig zur Aufklärung schwerer Straftaten. Damit setzt es den Schutz der Privatsphäre über das Einhalten der meisten Verkehrsregeln. Als schwere Straftaten gelten nur Verstösse gegen den Raserartikel. Rechtsüberholen Autobahn Rechts vorbeirollen ist jetzt erlaubt gehört nicht dazu.

Mit diesem Entscheid des höchsten Gerichts wenig anfangen kann Hans Giger, Leiter des Forschungsinstituts für Strassenverkehrsrecht. «Das ist ein Freibrief für Verkehrsrowdys», sagt der Rechtswissenschaftler. Die Richter hätten keine rechtsgenügliche Abwägung vorgenommen. «Dazu muss man zwei Dinge gegenüberstellen: den Anspruch der Lenkerin auf den Schutz ihrer Privatsphäre – und die Interessen aller übrigen Verkehrsteilnehmer», so Giger.

«Rechtsüberholen kann Leben gefährden»

Die Frage sei doch, wie stark die Privatsphäre durch die Videoaufnahmen verletzt werde und wie schwer demgegenüber das gefilmte Vergehen wiege. «Rechtsüberholen kann Leben gefährden, auch wenn es keine schwere Straftat ist.»

Giger ist täglich mit dem Auto unterwegs. Er findet es weniger schlimm, dabei möglicherweise gefilmt zu werden, als dass man Rowdys laufen lassen müsse. «Eine Dashcam filmt Leute im Auto, nicht im Schlafzimmer. Ich sehe darin keine grobe Verletzung der Intimsphäre.» Es sei wichtiger, rücksichtslose Fahrer aus dem Verkehr zu ziehen.
 

Ab 2024 müssen im EU-Raum alle Neuwagen mit Blackboxes ausgestattet sein.


Mit dem Urteil des Bundesgerichts geht der Fall zurück an die Vorinstanz. Im Prinzip müssen die Zürcher Oberrichter den Dashcam-Filmer nun als Zeugen einvernehmen und dessen Glaubwürdigkeit einschätzen, als hätten sie das Video nie gesehen.

«Absurd», findet der Zürcher Verkehrsrechtsspezialist Silvan Fahrni. Dennoch begrüsst er das Urteil des Bundesgerichts. Es verhindere, dass künftig lauter Hilfssheriffs auf den Strassen unterwegs seien und selbst kleinste Übertretungen anzeigen. «Man darf keine Anreize für Selbstjustiz schaffen. Strafverfolgung ist Sache des Staates.»

Ähnlich klingt es bei TCS, Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) und Stiftung Roadcross. «Prävention und moderne Assistenzsysteme tragen mehr zur Verkehrssicherheit bei, als wenn sich alle gegenseitig überwachen», heisst es bei Roadcross. Die BfU weist darauf hin, mit Fahrtenschreibern gebe es bereits heute eine legale Möglichkeit, Unfälle aufzuzeichnen. Zudem: Ab 2024 müssen im EU-Raum alle Neuwagen mit Blackboxes ausgestattet sein.

Per Kamera die Unschuld beweisen?

Die Dashcam gehört trotzdem nicht zum Elektroschrott. Das Bundesgericht hat längst nicht alle Fragen geklärt. Falls Aufnahmen die Unschuld eines Fahrers beweisen, wäre das Video vor Gericht wohl zulässig, vermutet Anwalt Silvan Fahrni. «Es wäre seltsam, wenn jemand verurteilt würde, obwohl Aufnahmen seine Unschuld belegen.» Das würde dem Prinzip «im Zweifel für den Angeklagten» widersprechen.

Nicht klar ist auch, ob sensorgesteuerte Dashcams datenschutzkonform sind. Sie filmen nur bei ungewöhnlichen Ereignissen und nicht ständig. «Meines Erachtens müsste das erlaubt sein», so Fahrni. «Schliesslich gilt für die Polizei die gleiche Regel: Sie dürfen die Kamera auch nur einschalten, wenn es einen Anlass gibt.»

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