«Alle helfen allen»
Eva Würfel ermittelt, wer wen mit dem Coronavirus angesteckt haben könnte. Die Basler Ärztin ist beeindruckt von der Solidarität, die das medizinische Personal erfährt.
Aufgezeichnet am 6. März von Katharina Siegrist
Am 27. Februar wurde eine Betreuerin eines Tagesheims in Riehen positiv auf das Coronavirus getestet. Seither herrscht Ausnahmezustand bei mir und meinen Kolleginnen vom Gesundheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt.
Als Schulärztin arbeite ich jetzt auch als «Contact Tracer». Ich muss jene Personen ausfindig machen, die mit der Infizierten engen Kontakt hatten und jetzt gefährdet sind, sich angesteckt zu haben. Zweit- oder Drittkontakte klären wir entsprechend den Empfehlungen des Bundesamts für Gesundheit
nicht ab. Ihr Risiko für Ansteckung ist extrem gering. Viele Personen im Umfeld müssen wir ebenfalls betreuen, sie sorgen sich sehr. Derzeit arbeite ich rund um die Uhr, sieben Tage die Woche.
«Familien sind für 14 Tage in Quarantäne. Sie dürfen ihre Wohnung nicht verlassen.»
Eva Würfel, 37, Schulärztin in Basel
Noch am Abend des 27. Februar sind wir in das betroffene Tagesheim gefahren und haben die Eltern informiert, die gerade vor Ort waren. Am nächsten Tag kontaktierten wir die restlichen telefonisch und zusätzlich per Brief. Die Verunsicherung bei den 65 betroffenen Familien ist gross. Was verständlich ist. Immerhin konnten wir sie etwas beruhigen, weil Kinder – zumindest zum jetzigen Kenntnisstand – kaum vom Virus betroffen sind.
Zugleich mussten wir eine sehr einschneidende Massnahme verfügen: Alle Familien sind für 14 Tage unter Quarantäne gestellt und dürfen ihre Wohnungen nicht verlassen. 95 Prozent der Betroffenen haben das gut akzeptiert, beim Rest mussten wir Überzeugungsarbeit leisten – obwohl es sich um eine behördliche Anordnung handelt. Wenn man dagegen verstösst, macht man sich strafbar.
Wir vom schulärztlichen Dienst kontaktieren die Familien jeden Tag. Ob sie die Quarantäne tatsächlich einhalten, können wir nicht kontrollieren. Darum appellieren wir an die Eigenverantwortung und helfen, die Quarantäne so angenehm wie möglich zu gestalten.
Zuerst dachten wir, dass es Probleme bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln geben könnte. Erstaunlicherweise hatten sich die meisten aber schon mit einem Notvorrat eingedeckt, oder es helfen Freunde und Familie aus. Viele Betroffene plagen finanzielle Sorgen – besonders jene, die selbständig sind oder im Stundenlohn arbeiten. Hier wenden wir uns ans Sozialamt oder an die Arbeitgeber und versuchen, miteinander pragmatische Lösungen zu finden.
Rund um die Uhr auf relativ kleinem Raum zusammengepfercht zu sein, kann schnell aufs Gemüt schlagen. Bei den täglichen Telefonaten müssen wir immer wieder neu aushandeln, wie weit man die strengen Auflagen lockern kann. Solange die Betroffenen Atemmasken tragen und den Kontakt zu anderen Personen meiden, können sie im eigenen Garten spielen oder in verlassenen Waldstücken spazieren gehen.
Eine Familie flüchtete in ihr abgelegenes Ferienhaus
– nachdem sie versichert hatte, auch für die Rückfahrt genügend Benzin im Tank zu haben und sämtliche Lebensmittel mitzunehmen. Die täglichen Gespräche schaffen eine besondere Verbindung. Ich fühle mich manchmal fast wie ein Familienmitglied.
Wir erhalten auch viele Anrufe von besorgten Nachbarn. Sie fragen, ob sie weiterhin die gemeinsame Waschküche benutzen können. Das können sie – Viren überleben auf Oberflächen nur wenige Stunden, normales Putzen genügt.
Viele betroffene Familien werden regelrecht stigmatisiert. Ihre Schicksale gehen mir nahe. Die Sorge um die eigenen Kinder, die Existenzängste – da kann man sich nur allzu gut selber hineinversetzen. Angst habe ich deswegen nicht. Weder meine Familie noch ich gehören einer Risikogruppe an.
Ich habe das Gefühl, dass ich hier und jetzt etwas Wichtiges tue. Meine Kollegen und ich erfahren eine grosse Solidarität und Hilfsbereitschaft. Alle helfen allen. Auch von der Bevölkerung erhalten wir viel positives Feedback. Das tut gut. Ich hoffe, dass es uns nun gelingt, das Virus einigermassen einzudämmen.
Wenn sich die Situation rund um das Coronavirus
beruhigt hat, freue ich mich auf ein freies Wochenende. Oder dass ich ein Glas Wein trinken kann – ohne Angst, dass ich vielleicht am nächsten Tag nicht fit genug bin.