Carina hat ein neues Herz
Drei Herzen trug Carina Bürgisser eine Zeitlang in ihrer Brust: ihr krankes und zwei Kunstherzen. Dann bekam sie ein gesundes gespendet.
Veröffentlicht am 8. Dezember 2022 - 14:00 Uhr
Kurz vor ihrem elften Geburtstag bekam Carina Bürgisser endlich ein Spenderherz . Es rettete ihr Leben. Acht Jahre später sagt die junge Frau: «Jeder Tag ist ein geschenkter Tag, egal, ob er gut oder weniger gut ist: Hauptsache, ich kann ihn erleben.» Carina weiss, dass nichts im Leben selbstverständlich ist.
Die 18-Jährige lebt heute wie viele andere junge Frauen: Sie hat gerade den Führerschein gemacht, lässt sich im zweiten Lehrjahr zur Optikerin ausbilden, besucht neben der Arbeit in Goldau die Berufsschule in Zürich, hat einen Freund und geht gern mit Kolleginnen und Kollegen aus. Im Vergleich zu Gleichaltrigen hat Carina jedoch schon so viel durchgemacht, dass sie im Leben an einem ganz anderen Punkt steht als die meisten.
Die Erfahrungen haben sie reifer und dankbarer, aber auch gelassener und mutiger gemacht: Ein Jahr nach der gelungenen Herztransplantation wünschte sie sich, mit der ganzen Familie einen Tandem-Gleitschirmflug zu machen. Ihre Mutter war nicht begeistert, stimmte aber letztlich zu. «Ich würde es sofort wieder tun. Es war ein so cooles Gefühl, an den Felsen vorbei langsam durch die Luft ins Tal zu gleiten!», erzählt Carina heute noch begeistert. An ein solches Abenteuer hätte sie nur wenige Jahre zuvor wegen ihrer Herzschwäche nicht einmal zu denken gewagt.
«Es würde dich kaputtmachen, wenn du immer daran denken würdest, dass dein Leben von einer Maschine abhängt.»
Carina Bürgisser
Bis zur ersten Klasse war Carina ein gesundes Kind. Mit ihren Eltern und fünf Geschwistern erlebte sie eine unbeschwerte Kindheit. Doch 2011, nach den Sommerferien, diagnostizierten die Ärzte bei der Siebenjährigen nach einer Schwellung am Schienbein einen seltenen Knochenkrebs. Eine monatelange Chemotherapie bekämpfte ihn zwar erfolgreich, griff neben dem Tumor aber auch das Herz lebensbedrohlich an. Zwei Jahre lang verbrachte das Mädchen mehr Zeit im Zürcher Kinderspital als daheim.
Drehen statt schlagen
Ihr Herz war so geschwächt, dass sie in einer ersten Operation ein im Körper liegendes Kunstherz erhielt, das die linke Herzkammer unterstützte. Mit diesem System zur Kreislaufunterstützung wollten die Ärztinnen und Ärzte Carinas Herz die Gelegenheit geben, sich zu erholen.
Fortan trug sie stets eine Tasche mit Batterien und Steuereinheit mit sich, die durch den Bauch direkt mit dem Kunstherz verbunden war. In der Nacht hörte sie nicht ihren Herzschlag, sondern das Drehgeräusch der kleinen Maschine in ihr. «Besonders wenn ich auf der Seite schlief. Das war am Anfang sehr ungewohnt», erinnert sie sich.
Nach drei Monaten im Kinderspital Zürich durfte sie nach Hause und vorübergehend wieder zur Schule gehen. Wie war es für sie als Neunjährige, sich komplett auf eine Maschine verlassen zu müssen? «Du darfst das nicht hinterfragen», sagt sie. «Es würde dich kaputtmachen, wenn du immer daran denken würdest, dass dein Leben von einer Maschine abhängt.» Gemäss Martin Schweiger, einem der beteiligten Chirurgen, haben Kunstherzen eine hohe Komplikationsrate.
Als Carinas Herz sich erholt hatte, wurde das Kunstherz entfernt. Ihr Herz musste nun wieder allein pumpen. Sie durfte nach Hause gehen und lebte fast ein Jahr ohne die Kunstherzhilfe. Aber die Erholung des Herzmuskels war nicht nachhaltig. Sie fühlte sich so schwach, dass sie die drei Treppen vom Parkplatz in die Wohnung nicht mehr in einem Zug schaffte und sich hinsetzen musste.
Ihr Zustand verschlechterte sich derart, dass sie wieder ins Krankenhaus musste. Jetzt war es nötig, zur Unterstützung gleich zwei im Körper liegende Kunstherzen zu implantieren: eines für jede Herzkammer. Das war 2014, und Carina war eine der ganz wenigen weltweit mit dieser Art von Kunstherzen. Jetzt, beim Gespräch in ihrem Elternhaus in Oberägeri, ist alles noch empfindlich nah. Bei der Frage nach ihrem schlimmsten Tag sagt Carina: «Ich glaube, es war der, als sie mir sagten, ich müsse auf die Transplantationsliste, weil es anders nicht mehr gehe.»
Die damals Zehnjährige verstand das Vorgehen zunächst nicht. Sie sagt: «In diesem Alter checkt man noch nicht alles. Ich wusste schon etwas über das Leben und den Tod. Aber ich sträubte mich dagegen, auf die Transplantationsliste zu kommen, weil ich nicht wollte, dass jemand für mich stirbt.» Als ihre Psychologin ihr die Organspende erklärte, war Carina einverstanden.
«Es war die beste Entscheidung, denn die drei Jahre im Mädcheninternat Theresianum Ingenbohl waren die coolsten.»
Carina Bürgisser
Doch die emotionale Achterbahn ging weiter. Carina erlitt verschiedene Infekte und hätte deshalb ihren Platz auf der Transplantationsliste fast verloren. Auch musste sie für eine Transplantation krebsfrei sein, was ausführlich getestet wurde. Als die Ärzte entschieden hatten, dass sie auf der Liste bleiben kann, ging alles sehr schnell: Am 25. Februar 2015 bekam sie in einer mehrstündigen Operation ein Spenderherz eingesetzt. Es war der Auftakt zu einem neuen Leben.
Es dauerte zwei, drei Tage, bis sie begriffen hatte, dass sie ausser Gefahr war. «Ich bekam das Herz sozusagen auf den letzten Drücker», sagt sie. «Nun war ich sehr erleichtert, dass der Druck und das Warten vorbei waren.» Das Set mit den Kunstherzen nahm sie mit nach Hause, «weil sie zu mir gehören». Noch konnte sie nicht glauben, dass ihr Herz selbständig schlägt. Sie bestand anfangs darauf, dass das Batterietäschchen beim Einschlafen neben ihrem Bett lag.
Coole Zeit im Internat
Endlich hatte Carina neue Kraft. Sie holte Schulstoff nach und genoss es, mit Gleichaltrigen zusammen zu sein. Um an Selbständigkeit zu gewinnen, entschied sie sich, nach der sechsten Klasse in ein Internat zu gehen. «Es war die beste Entscheidung, denn die drei Jahre im Mädcheninternat Theresianum Ingenbohl waren die coolsten.» Sie begann wieder mit Snowboarden und holte als Sechzehnjährige 2020 an den World Transplant Winter Games, dem Wettstreit der Sportlerinnen und Sportler mit Transplantationen, im Parallelslalom und im Riesenslalom zwei Goldmedaillen.
Einschränkungen hat Carina Bürgisser keine mehr. Zweimal im Jahr muss sie zur Kontrolle ins Berner Inselspital, wohin sie zwischenzeitlich gewechselt hat. An die Medikamente gegen eine Abstossung, die sie wie alle Menschen mit einer Transplantation jeden Tag lebenslang einnehmen muss, hat sie sich längst gewöhnt: «Die paar Tabletten sind nichts im Vergleich zu der Menge, die ich früher schlucken musste.»
Doch die Medikamente unterdrücken das Immunsystem, Carina wird deshalb schneller krank. Und sie zählt zur Hochrisikogruppe für Covid-19. Weil sie jedoch seit Jahren penibel auf Handhygiene und sonstigen Schutz achtet, änderte sich für sie während der Pandemie nicht viel. Herzchirurg Martin Schweiger schätzt, dass Kinder, die in Carinas Alter ein Herz transplantiert bekommen haben – das mitwächst –, um die 20 Jahre gut leben können. Danach können Fragen nach einer neuerlichen Herztransplantation aufkommen.
Carina schaut nach vorn. Ihre Lehre abschliessen, ein paar Jahre arbeiten, auf langen Reisen erst Norwegen und Schweden entdecken und dann noch viel mehr von der Welt – das sind ihre nächsten Ziele. Natürlich denkt sie immer wieder an die Transplantation. Mit Sicherheit am Jahrestag im Februar. Wer ihr das Herz gespendet hat, weiss sie nicht, da Spender in der Schweiz anonym bleiben. Sie weiss nur, dass ein Spenderherz ungefähr gleich gross und schwer wie das eigene sein muss und wahrscheinlich von einem Kind in einem ähnlichen Alter stammte. An dieses Kind denkt Carina jeden Tag.
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1 Kommentar
Ich bin seid ich Auto fahre Spenderin,aber ich bin 83 Jahre alt HannaGut Tauranga New Zealand