«Psychedelika helfen bei Depression und Sucht»
Langfristig wirken Meditation und der Zauberpilz-Wirkstoff Psilocybin zusammen achtmal stärker als Meditation allein, sagt der Zürcher Hirnforscher Franz Vollenweider.
Veröffentlicht am 25. Oktober 2019 - 08:53 Uhr
Beobachter: Sie haben untersucht, wie der Wirkstoff von Zauberpilzen
bei Menschen mit viel Meditationserfahrung wirkt. Wie kamen Sie auf die Idee?
Franz Vollenweider: Psychedelische Erfahrungen können sehr intensiv sein. Wir nahmen an, dass die achtsamkeitsbasierte Zen-Meditation helfen könnte, damit besser umzugehen. Durch Meditationstechniken lernt man, sich aus belastenden Bewusstseinszuständen zu befreien, zum Beispiel, indem man sich weniger auf das Ich konzentriert, seine Gedanken und Gefühle wertfrei wahrnimmt und wieder loslässt, statt sich grübelnd in negativen Abwärtsspiralen zu bewegen.
Was berichteten die Probanden von ihren Trips
?
Sie erzählten, dass sie von lebhaften inneren Bildern, Gedanken und Gefühlen geflutet wurden. Erinnerungen stiegen auf. Vielen wurden Verhaltensmuster bewusst. Frappant war, wie viele Probanden tiefe Gefühle der Einheit von Welt und Selbst und eine Glückseligkeit erlebten.
«Bei einigen Probanden kamen auch traumatische Erfahrungen und verdrängte Gefühle hoch.»
Franz Vollenweider, Psychiater und Hirnforscher
Also macht Psilocybin glücklich?
Das kann man so nicht sagen. Psychedelika wirken nicht gegen bestimmte Krankheiten und Symptome, sondern unterstützen seelische Prozesse. Bei einigen Probanden kamen auch traumatische Erfahrungen hoch und verdrängte Gefühle. Manche erlebten eine starke Unruhe und schwierige Emotionen. Sie erzählten allerdings, dass das gleichmütige Wahrnehmen dieser Erfahrungen therapeutisch wirkte.
Wie können unangenehme Gefühle dazu beitragen, dass man sich sich besser fühlt?
Wenn seelische Konflikte sich zeigen und man die damit verbundenen Emotionen zulässt, können sie sich abbauen. Es geht um Akzeptanz: «Das ist ein Teil von mir.»
Sie betonen in Ihrer Studie, wie sehr einen das Gefühl verändern kann, eins mit der Welt zu sein. Ist dieses, wenn es vom Konsum bestimmter Substanzen herrührt, nicht einfach ein Hirngespinst?
Gefühle der Verbundenheit mit allem, das Gefühl, dass das Leben bedeutungsvoll ist, des Aufgehobenseins in einer höheren Macht und im Weltgefüge gehören zum menschlichen Erleben. In einer grossen Studie von 2016 berichten etwa 40 Prozent der amerikanischen und deutschen Bevölkerung, dass sie schon einmal eine solche Erfahrung hatten. Sie kann spontan auftreten oder durch Verfahren ausgelöst werden, etwa durch einen Wirkstoff wie Psilocybin oder LSD, durch Meditieren
, durch Reizentzug wie etwa in einem Isolationstank oder durch einen Höhenrausch im Gebirge. Es ist eine positive Erfahrung, und sie führt bei vielen dazu, dass sie sich mehr Zeit nehmen für sich und andere, sich mehr für das Wohl der Mitmenschen und der Umwelt engagieren und versuchen, bewusster zu leben. Ob diese Erfahrung vom Hirn simuliert wird oder ob es sich um Wirklichkeit handelt, scheint für die Wirkung keine Rolle zu spielen.
«Eine Kombination von Meditation und Psilocybin wirkt achtmal stärker als Meditation allein.»
Franz Vollenweider, Hirnforscher
Wirkt eine solche Einheitserfahrung durch Meditieren nicht nachhaltiger als eine, die durch eine Substanz ausgelöst wurde?
Nein, unsere Studie zeigt, dass die Kombination von Meditation und Psilocybin langfristig achtmal stärker wirkt als Meditation allein. Wichtig ist, dass die psychedelische Erfahrung angemessen vorbereitet und psychotherapeutisch nachbegleitet wird, damit die Erfahrung nachhaltig in den Alltag integriert werden kann.
Wird uns in Zukunft die Psychotherapeutin Psilocybin-Tropfen offerieren?
Psychedelikagestützte Psychotherapie eignet sich nicht für jede und jeden. Zurzeit untersuchen wir, bei welchen Persönlichkeitsmerkmalen die besten Ergebnisse erzielt werden können. Eine weitere Frage ist, bei welchen psychiatrischen Störungen die Substanzen besonders gut wirken. Vielversprechend scheint mir vor allem die Therapie von Depressionen
und
Suchterkrankungen. Am meisten interessiert mich aber die tiefergehende Frage, was die Grundlage unseres Bewusstseins ist. Ist sie materiell oder geistig? Um das zu beantworten, brauchen wir bessere Geräte. Bis jetzt können wir viele Vorgänge im Hirn noch gar nicht aufzeichnen, weil sie so schnell passieren. In einer Sekunde laufen in einer Nervenzelle über 2000 chemische Prozesse ab. In 50 Jahren werden wir ganz neue Konzepte zur Natur unseres Bewusstseins haben.
«Psychedelika geben Einblick in die tiefere Wirklichkeit von Raum und Zeit.»
Franz Vollenweider, Psychiater
Wenn man die Hirnfunktionen versteht, versteht man also das Bewusstsein?
Wenn wir die Neurobiologie des Gehirns besser verstehen, können wir auch die Randbedingung für das Auftreten von Bewusstsein besser verstehen. Ich glaube, letztlich ist Bewusstsein eine Eigenschaft des Universums, die durch Informationsprozesse im Gehirn vermittelt wird. Es wird aber nicht im Gehirn geboren.
Das hört sich geradezu mystisch an …
Ein kreativer Naturwissenschaftler ist ein bisschen Mystiker in dem Sinn, dass er hineinsehen will in das Dasein.
Und Sie sehen mit Hilfe von Psychedelika ins Dasein hinein?
Ja, sie geben Einblick in die tiefere Wirklichkeit von Raum und Zeit.
Franz Vollenweider, 65, ist Psychiater und Hirnforscher an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, bekannt als Burghölzli. Er erforscht unter anderem seit über 20 Jahren die neurobiologischen Grundlagen des Bewusstseins.
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