Was stärkt unser Immunsystem?
Warum sind Stillbabys seltener krank? Weshalb machen Workaholics meist in den Ferien schlapp? Das Immunsystem lernt und passt sich ein Leben lang an.
Veröffentlicht am 31. Januar 2019 - 16:25 Uhr,
aktualisiert am 20. Oktober 2021 - 14:10 Uhr
Wer im Internet nach den Stichworten «Immunsystem stärken» sucht, erhält drei Millionen Treffer. Und fast ebenso viele Tipps: Saunagang, Wechselduschen, Heilpflanzen, Massagen, Fussbäder, Lebensmittel von A wie Algen bis Z wie Zitronen. Auch Lachen, Küssen und In-der-Nase-Bohren sollen sich positiv auf unsere Abwehrkräfte auswirken.
In der Werbung taucht das Versprechen des gestärkten Immunsystems hingegen kaum mehr auf. Die positive Wirkung eines Lebens- oder Heilmittels auf die Gesundheit darf nur dann beworben werden, wenn sie eindeutig nachweisbar ist. Und das ist selten der Fall, gerade wenn es um das Immunsystem geht. Denn dieses ist hochkomplex.
Die meisten Organe sind bei der Geburt vollständig ausgebildet und müssen nur noch wachsen – wie etwa das Herz. Das Immunsystem hingegen ist ein Spätzünder. Es verfügt am Anfang über alle Akteure für die Bekämpfung von Erregern, kann sie aber noch nicht angemessen einsetzen. Die Genetik hat die Immunabwehr zwar schon geprägt, einen stärkeren Einfluss haben aber Lebensstil und Umwelteinflüsse. Denn unser Immunsystem lernt und verändert sich ein Leben lang.
Wie anpassungsfähig unser Abwehrsystem ist, zeigt dessen Entstehung – ein immunologisches Phänomen: Ein Fötus trägt neben mütterlichen auch väterliche Geninformationen auf sich. Auf diesen Fremdkörper müsste das weibliche Immunsystem sofort reagieren und ihn ähnlich wie ein fremdes Organ abstossen. Das verhindert aber die Plazenta, die eine Immunreaktion unterdrückt. Die Mutter merkt davon nichts, ihre Abwehr funktioniert nach wie vor einwandfrei.
Wie entsteht das Immunsystem?
Theoretisch wäre das Ungeborene schon in der Lage, eigene Antikörper zu produzieren. Das ist aber noch nicht nötig, da es in der Plazenta erst wenigen Bakterien begegnet. Das Immunsystem des Fötus wird trotzdem schon vorbereitet, indem es mit bakteriellen Stoffwechselprodukten und Antikörpern der Mutter versorgt wird. Diese bauen das kindliche Abwehrsystem schon vor der Geburt auf und schützen in den ersten Lebensmonaten vor Infektionen.
Bei der Geburt trifft das Neugeborene zum ersten Mal auf eine immense Ansammlung von Keimen. Im Geburtskanal sind es Darm- und Vaginalbakterien, beim Kaiserschnitt vor allem Hautbakterien. Lange ging die Forschung davon aus, dass das Bakterienumfeld bei einer vaginalen Geburt «günstiger» für das kindliche Immunsystem ist. Das konnten Studien inzwischen widerlegen: «Schon nach sechs Wochen ist in der Bakterienbesiedlung von Babys und im Immunsystem – ob vaginal oder per Kaiserschnitt geboren – kein Unterschied mehr zu erkennen», sagt Daniel Surbek, Chefarzt Geburtshilfe am Inselspital Bern. Einen positiven Effekt hat hingegen das Stillen. Es verlängert den «Nestschutz», weil die Muttermilch Antikörper und bakterielle Stoffwechselprodukte aus dem Darm der Mutter enthält.
Schon bald ist das Baby allerdings auf einen eigenen Schutz angewiesen – sein Immunsystem muss lernen. Das kann zum Beispiel so aussehen: Bei einem Kratzer am Arm werden Nerven gereizt, und ein Schmerzimpuls entsteht. Das Immunsystem wird alarmiert und mobilisiert Immunzellen.
Zuerst reagiert das unspezifische Immunsystem, dessen Zellen zwar schnell sind, aber über kein typisches Gedächtnis verfügen. Sie «fressen» den Krankheitserreger und präsentieren den restlichen Zellen dessen Bruchstücke, sogenannte Antigene.
Nun schaltet sich die spezifische Immunabwehr ein. Ihre Zellen erkennen den Keim schon beim ersten Kontakt und vermehren sich so lange, bis sie ihn unschädlich machen können. Das dauert zwar eine Weile, dafür ist die Immunantwort massgeschneidert. Gedächtniszellen sorgen dafür, dass sich der Körper an die Antigene erinnert und beim nächsten Kontakt eine schnellere und gezieltere Immunantwort einleitet.
Warum man eine Grippe nicht rausschwitzen kann
In den ersten Lebensjahren haben Kleinkinder bis zu zwölf Infekte pro Jahr. Damit erkranken sie viel häufiger als ältere Geschwister oder Erwachsene. Das hat einen plausiblen Grund: Das Immunsystem sammelt Erfahrungen, der Kontakt mit Erregern ist sozusagen eine Weiterbildung.
«Auch wenn es Eltern nicht immer so sehen: Keime sind eine Notwendigkeit für das Immunsystem – je mehr davon ein Kind kennenlernt, desto besser», sagt Onur Boyman, Direktor der Klinik für Immunologie am Unispital Zürich. Es soll also ruhig auf dem Boden krabbeln, Gegenstände in den Mund stecken und möglichst viel Kontakt zu anderen Kindern und Erwachsenen knüpfen.
«Keime sind notwendig für das Immunsystem. Je mehr davon ein Kind kennenlernt, desto besser.»
Onur Boyman, Direktor der Klinik für Immunologie am Unispital Zürich
Das kindliche Immunsystem lernt zwar schnell, ist gewissen Krankheiten aber noch nicht gewachsen. Deshalb werden Babys schon früh geimpft , zum Beispiel gegen Mumps, Masern und Röteln. Die Impfung enthält lebende, abgeschwächte Viren, die eine Immunreaktion bewirken, sich aber nicht ausbreiten. Das kann zu Entzündungsreaktionen wie Fieber oder Ausschlag führen, doch in den allermeisten Fällen kommt das Immunsystem gut mit den abgeschwächten Erregern zurecht.
Obwohl sich auch Geimpfte anstecken können, empfehlen Ärzte die immunologische Massnahme: «Es geht nicht darum, auf jeden Fall gesund zu bleiben – der Erreger soll bei einer Ansteckung möglichst wenig Schaden anrichten», erklärt Boyman. Dafür sorgen bei der nächsten Begegnung die Gedächtniszellen des Immunsystems.
Schnupfen, Husten, Fieber – irgendwann zahlen sich die Infekte aus. «Meist haben sich Mädchen und Buben im Kindergarten- und frühen Schulalter mit den häufigsten Erregern angesteckt», sagt Onur Boyman. Von da an können Eltern wieder etwas aufatmen, denn auch ihr Immunsystem hat in der vergangenen Zeit viel mitgemacht.
Forscher haben herausgefunden, dass Familienmitglieder aufgrund der ähnlichen Lebens- und Umwelteinflüsse ein vergleichbares Bakterien-Ökosystem aufweisen – mit denselben Schwachstellen. Kranke Kinder müssen gepflegt werden, enger Körperkontakt ist unausweichlich, Bakterien haben leichtes Spiel. Gegen die grosse Anzahl ist auch das trainierte Immunsystem nicht immer gewappnet. «Ein Mundschutz wäre die einzig wirksame Schutzmassnahme», so Boyman, «doch wer will seine Kleinen schon vermummt trösten?»
Wo Kinder durchmüssen, müssen auch Eltern durch. Falls die Genesung bei Erwachsenen länger dauert, könnte das daran liegen, dass sie sich zu wenig Erholung und Schlaf gönnen.
Wie kann man seine Abwehrkräfte stärken?
Auch Stress hat einen entscheidenden Einfluss auf unsere Abwehr. Sind wir über einen längeren Zeitraum unter Druck, leidet das Immunsystem. Kurzfristiger Stress bewirkt das Gegenteil: Der Körper mobilisiert Kräfte und rüstet die Abwehr auf. Das geschieht im Alltag unzählige Male, obwohl wir den Stress gar nicht als solchen wahrnehmen. «Schon durch das Läuten des Weckers oder den Sprint zum Bus werden Stresshormone ausgeschüttet», sagt Boyman, «diese sind in kleinen Dosen nützlich und notwendig.»
Fällt der Druck weg, kommt es zu einem hormonellen Ungleichgewicht. Das Immunsystem schaltet auf Sparflamme, und schon schlagen Erreger zu. Das ist auch der Grund, weshalb wir in den Ferien oft krank werden. Allerdings führt mehr Stress nicht einfach zu einer besseren Abwehr: Bei einer Häufung kann das Immunsystem in Mitleidenschaft gezogen werden, in der Folge werden wir krank.
Wenn der Druck wegfällt, schaltet das Immunsystem auf Sparflamme, und schon schlagen Erreger zu. Deshalb werden wir in den Ferien oft krank.
Im Verlauf des Lebens lernt unsere Abwehr eine immense Erregerwelt kennen. Und doch wird sie mit steigendem Alter nicht effizienter, wie man annehmen könnte. In jungen Jahren ist der Thymus, ein Organ des Immunsystems hinter dem Brustbein, für das Reifen von bestimmten Abwehrzellen, den sogenannten T-Lymphozyten, verantwortlich.
Mit dem Einsetzen der Pubertät beginnt jedoch dessen Rückbildung, und in den mittleren Jahren ist das Organ nur noch ganz klein. Der Mensch muss nun ein Leben lang mit den bereits produzierten T-Lymphozyten, die fremde Zellen erkennen, auskommen. Deren Anzahl verringert sich genauso wie diejenige der B-Lymphozyten, die Antikörper produzieren. Das Immunsystem wird dadurch weniger leistungsfähig. Gleichzeitig sind Haut und Schleimhäute verletzlicher, weshalb Erreger den Körper leichter befallen können.
Warum sind Senioren anfälliger auf Infekte?
So sind Menschen ab 65 Jahren beispielsweise besonders gefährdet, an einer schweren Grippe zu erkranken. Und 90 Prozent der Menschen, die an einer Grippe sterben, sind Senioren. Gerade deshalb empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit die Grippeimpfung.
Ein Problem ist allerdings, dass das Immunsystem nicht in jedem Fall gleich darauf reagiert: Kinder und junge Erwachsene erreichen einen Impfschutz von bis zu 90 Prozent, Seniorinnen und Senioren aber nur 30 bis 50 Prozent. Dennoch ist die Impfung sinnvoll. «Der Schweregrad der Grippe wird durch eine Impfung stark abgeschwächt», erklärt Onur Boyman.
Infektionen sind besonders problematisch, weil sie schlechter erkannt werden als in früheren Jahren. Kinder husten schnell und haben hohes Fieber, bei den Senioren kann das Fieber fehlen, und auch die erhöhte Anzahl an weissen Blutkörperchen kann verschiedene Ursachen haben.
Ausserdem warten die Betroffenen mit dem Arztbesuch zu lange: «So kann der Husten in eine Bronchitis und schliesslich in eine Lungenentzündung übergehen», sagt Onur Boyman. Ältere Menschen sollten den Arzt also besser einmal zu viel aufsuchen und auf die Zeichen ihres Körpers achten. Denn dieser ist in vielen Fällen vorbelastet und geschwächt.
Wären also gerade ältere Menschen gut beraten, ihr Immunsystem zu unterstützen, etwa mit Wechselduschen oder Saunagängen? «Um das Immunsystem müssen sie sich nicht allzu viele Sorgen machen», sagt Boyman. «Es ist jeden Tag voll aktiv und tut, was in seiner Macht steht. Es zusätzlich zu stärken, ist weder möglich noch nötig.»
Das Immunsystem kann man nicht direkt stärken. Man kann höchstens darauf achten, es nicht unnötig zu schwächen.
- Genügend Schlaf ist wichtig, weil das Immunsystem während der Ruhephasen lernt und Immunzellen produziert.
- Ausgewogene Ernährung versorgt den Körper mit wichtigen Stoffen und Vitaminen.
- Trinken Sie genug – wenn sie krank sind aber nicht zu viel Alkohol, denn der drosselt das Immunsystem.
- Auch bei Dauerstress fährt der Körper das Immunsystem runter, um Energie zu sparen. Das macht uns anfälliger.
- Regelmässiger Sport ist eine gute Gegenmassnahme, da er Stresshormone reduziert und Eiweisse produziert, die Entzündungen entgegenwirken.
- Wer auf gute Hygiene achtet, etwa regelmässig die Hände mit Seife wäscht, bietet Erregern weniger Angriffsfläche.
Damit der Körper mit aggressiven Bakterien fertig wird, verschreiben die Mediziner bei besonders schweren Infekten in der Regel Antibiotika . Diese hemmen oder zerstören Bakterien, haben bei längerer Anwendung aber auch einen ungünstigen Einfluss auf das Immunsystem.
Der Darm beheimatet 70 Prozent der Abwehrzellen und Tausende Bakterien. Viele dieser Bakterien sind nützlich, Antibiotika können jedoch nicht zwischen nützlichen und gefährlichen Bakterien unterscheiden und töten so viele wie möglich ab. Zwar vermehren sich die zurückbleibenden Bakterien schnell wieder, doch vor allem mehrmalige Antibiotika-Einnahmen stören die Vielfalt und bringen die Darmflora aus dem Gleichgewicht. Das zieht auch das Immunsystem in Mitleidenschaft.
4 Kommentare
yes
Viel Joghurt essen, denn darin sind gesunde Bakterien, welcher der Mensch Als Abwehrkraft braucht.