«Barfuss joggen will gelernt sein»
Joggen ohne Schuhe? Was nach einer schmerzhaften Tortur klingt, wird immer mehr zum Trend. Doch man sollte einiges beachten, wie Orthopäde Markus Walter weiss.
Veröffentlicht am 22. März 2019 - 11:40 Uhr,
aktualisiert am 22. März 2019 - 11:51 Uhr
Beobachter: Barfusslaufen gilt heute als besonders gesund – war es ein Fehler, dass die Menschheit den Schuh erfunden hat?
Markus Walther: Der Schuh wurde in der letzten Eiszeit entwickelt – unsere Vorfahren haben sich Felle um die Füsse gebunden, weil es sehr kalt war und weil sie sich vor spitzen Steinen auf dem Boden schützen
wollten. Aber heute ist der Schuh von diesen schlichten Funktionen weit entfernt. Auf unsere Fussmuskeln wirken unsere festen Schuhe wie ein Korsett – sie verkümmern deshalb. Man weiss, dass Fusserkrankungen bei Völkern, die kaum Schuhe tragen, wesentlich seltener sind als bei uns.
Sollte man also besser barfuss joggen gehen?
95 Prozent der Gelegenheitsläufer kommen beim Joggen zuerst mit der Ferse auf. Wegen der Dämpfung des Sportschuhs können sie in den Boden stampfen, ohne dass ihnen das weh tut. Sie spüren nicht, dass dabei die Gelenke beansprucht werden. Beim Barfussrennen setzt man dagegen zuerst den Vorfuss auf. Die Ferse berührt beim Barfusslauf den Boden nicht, es kommt zu keinem Aufprall. Das schont die Gelenke.
«Man kann mit den Barfussschuhen den Fuss auf eine Art und Weise trainieren, wie es mit normalen Schuhen nicht möglich ist.»
Markus Walther, Orthopäde
Es gibt Schuhe, die so gemacht sind, dass sie das Barfusslaufen imitieren. Ist es sinnvoll, damit zu laufen?
Die sogenannten Barfussschuhe haben folgendes Prinzip: Sie sollen vor Dornen und Steinen schützen, sind aber aus sehr weichem Material gemacht, haben keinen Absatz und keine Dämpfung. Man kann damit den Fuss auf eine Art und Weise trainieren
, wie es mit normalen Schuhen nicht möglich ist. Aber in Europa laufen die Menschen nicht – wie zum Beispiel in Kenia – ihr ganzes Leben lang barfuss, sondern sie gehen die meiste Zeit in Schuhen. Insofern ist der schnelle Umstieg auf einen Barfussschuh problematisch.
Was kann passieren?
Oft ist der Körper gut trainiert, der Fuss dagegen kaum. Jeder weiss, wie sehr die Muskulatur verkümmert, wenn man sechs Wochen lang einen Gips trägt. Eine ähnliche Situation haben wir auch bei den Füssen der Mitteleuropäer. Wenn ich zehn Kilometer in 40 Minuten laufen kann und das plötzlich in einem Barfussschuh mache, werde ich den Fuss überfordern. Ermüdungsbrüche können die Folge sein.
Wie fängt man an?
Indem man diese Schuhe zuerst als Hausschuhe verwendet und dann immer länger trägt. Es dauert Monate, bis Sie Ihren Fuss dran gewöhnt haben, mit einem Barfussschuh 10'000 Meter zügig zu laufen
. Die Firmen, die solche Barfussschuhe im Programm haben, legen mittlerweile Trainingspläne bei, damit die Leute nicht zu schnell ihren Laufstil ändern.
Sollten Hobbyläufer überhaupt umstellen?
Studien haben gezeigt, dass sich die Zahl der Verletzungen
durch Barfusslaufen oder Laufen mit Barfussschuhen nicht verringert. Daher ergibt es keinen Sinn, Freizeitjogger zum Barfusslauf umzuerziehen, wenn sie mit normalen Sportschuhen gut zurechtkommen. Barfusslaufen ist vor allem sinnvoll, wenn man die Muskeln kräftigen möchte, die das Fusslängsgewölbe stabilisieren.
Die meisten Hobbyläufer werden nicht umsteigen wollen. Was ist bei der Wahl eines herkömmlichen Laufschuhs zu beachten?
Grosse und harte Fersenabsätze sollte man vermeiden, denn sie wirken wie ein grosser Hebel: Knöchel und Fuss kippen damit beim Aufprall eher nach innen. Das ist besonders bei älteren Sportschuhen ein Problem. Bei den neueren Modellen ist das Material an der Ferse meist sehr weich. Die Sohlenkante deformiert sich beim Fersenaufprall, so dass das Gelenk nicht belastet wird.
«Hobbyläufer sollten Joggingschuhe mit dickeren Sohlen wählen. Es gibt dann weniger Verletzungen.»
Markus Walter
Welche Dämpfung braucht es?
Es gibt nach wie vor Menschen, die gern dünne Sohlen haben mit möglichst wenig Beeinflussung des Fusses, aber trotzdem genügend Schutz auf dem Asphalt. Alle Marathon-Spitzenzeiten wurden mit solchen Schuhen gelaufen. Für den Hobbyläufer, der weniger als 20 Kilometer in der Woche läuft, sind aber Joggingschuhe mit dickeren Sohlen zu empfehlen. Es gibt dann weniger Verletzungen.
Auf welchem Boden läuft es sich am gesündesten?
Unwegsamer Waldboden ist ungünstig. Die einzige Läufergruppe mit einer erhöhten Rate an Arthrose
sind die Trailrunner, weil sie oft umknicken und dabei immer wieder auch den Gelenkknorpel verletzen. Dagegen ist Gelenkverschleiss am Sprunggelenk bei den Marathonläufern, die auf Asphalt trainieren, sogar eher seltener als in der Normalbevölkerung. Dabei kommen aber mehrere Faktoren zusammen. Sportler leben insgesamt gesünder, haben seltener Übergewicht und achten auch sonst mehr auf ihren Körper.
Dabei gehen die meisten Jogger doch davon aus, dass weiche Böden besser für die Gelenke sind. Ist das falsch?
Beim Waldboden sind die Unebenheiten das Problem, das Stolpern und Umknicken. Dabei kann man sich die Bänder verletzen, was Knorpelschäden bis hin zur Arthrose verursachen kann. Ich trete möglicherweise eine Schadenskaskade los, die im schlimmsten Fall irreversibel ist.
Die Finnenbahn wäre aber besser als Asphalt?
Ja, dass der Boden ein bisschen nachgibt, ist grundsätzlich gut. Solange man nicht umknickt und sich keine Verletzungen zuzieht, steigt das Arthroserisiko auch auf solchem Untergrund nicht.
Fast die Hälfte der Läufer hat einmal pro Jahr Probleme mit dem Bewegungsapparat. Viele plagen Wehwehchen nach dem Laufen: Ab wann sollte man zum Arzt gehen?
Wenn es an unterschiedlichen Stellen immer mal wieder zieht, handelt es sich meistens um Trainingsreize. Verdächtig ist, wenn immer die gleiche Stelle weh tut. Wenn der Schmerz mit zunehmender Belastung eher zu- als abnimmt – und vor allem wenn er wiederholt am Morgen nach einer Belastung nicht verschwunden ist –, ist es höchste Zeit, einen Arzt aufzusuchen.
«Joggen belastet den Körper einseitig, als Ausgleich sind andere Sportarten sinnvoll, um Verletzungen vorzubeugen.»
Markus Walther
Einige Jogger schwören darauf, «Schmerzen rauszulaufen».
Dass man einen durch Überlastung verursachten Schmerz
kuriert, indem man noch mehr belastet, funktioniert selten. Joggen belastet den Körper einseitig. Grundsätzlich ist ein Ausgleich durch andere Sportarten sinnvoll, um Verletzungen vorzubeugen, etwa Yoga zur Dehnung der Muskulatur, Crossfit oder Klettern für die Koordination. Wenn ein Läufer Schmerzen hat und bildgebende Verfahren keine Schäden zeigen, sollte er von einem Physiotherapeuten abklären lassen, welche seiner Muskelgruppen verkürzt sind, um diese konsequent zu stretchen.
Hilft es, sich zu dehnen, um Verletzungen vorzubeugen?
Schmerzen der Sehnen bessern sich häufig durch Dehnung. Wenn etwa die Achillessehne weh tut, sollte man den Vorfuss auf eine Treppenstufe stellen und bei gestrecktem Kniegelenk die Ferse tief runterstrecken. Das darf ein bisschen weh tun, der Spannungsreiz ist das, was die Zellen in der Sehne dazu bringt, den Stoffwechsel hochzufahren und eine Regeneration einzuleiten.
Sollte man Dehnübungen vor dem Laufen machen, um Verletzungen zu vermeiden?
Dehnen entspannt den Muskel, das ist kontraproduktiv, wenn ich maximale Leistung erbringen will. Es ist generell sinnvoller, erst nach dem Sport zu stretchen, weil das Durchblutung und Regeneration fördert. Vor dem Losjoggen sollte man sich ein bisschen aufwärmen, etwa mit ein paar Sidesteps, ein paar Metern Rückwärts- oder Hopserlauf. Dabei benutzt man einige Muskeln, die man normalerweise beim Laufen nicht einsetzt.
Übungen für die Fussgymnastik und zum Vermeiden von Sportverletzungen, bei Problemen mit der Achillessehne und häufigem Umknicken finden sich unter: www.my-medibook.de
Markus Walther, 51, ist Chefarzt und ärztlicher Direktor an der Schön Klinik München Harlaching und Professor an der Universität Würzburg. Er lehrt dort Orthopädie und Traumatologie von Fuss- und Sprunggelenk. Walther arbeitet seit vielen Jahren auch in der Sportschuhentwicklung und ist passionierter Läufer.