Ich brauche Hilfe – jetzt!
Eine Krise kann schnell eintreten. Psychiater Thomas Ihde sagt, was Betroffene tun können, wenn professionelle Unterstützung auf sich warten lässt.
Veröffentlicht am 8. August 2023 - 17:28 Uhr
Frage eines Lesers: «Ich bin 14 und soll fünf Monate auf einen Therapieplatz warten. Was kann ich bis dann tun?»
Ich kann deine Not gut nachvollziehen. Du bist nun 14, sie hat sich langsam angebahnt. Schon als Kind hast du unter einem tiefen Selbstwert gelitten und warst eher ängstlich. Jedes Mal, wenn sich jemand nach einem längeren Besuch verabschiedete, etwa die Grossmutter, hattest du einen Tag lang Bauchschmerzen. Deine Eltern verstanden dich nicht, die Schwester lachte dich aus.
Du steckst in einer Krise. Ein Auslöser ist die anstehende Berufswahl, ein anderer, dass deine beste Freundin wegzieht. Doch du findest, beides erklärt das Ausmass deiner Probleme nicht. Du hast oft Bauchschmerzen, Durchfall, oder dir ist übel. Und du warst schon dreimal auf dem Notfall wegen Panikattacken
.
Erst die dritte Ärztin verstand, dass Angst das Problem ist und nicht das Stechen in der Herzgegend. Sie zog eine Notfallpsychiaterin bei, die dir etwas Pflanzliches gegen die Angst verschrieb und dir einen Termin bei einer Psychotherapeutin vermittelte. Doch zu ihr kannst du erst in fünf Monaten gehen. Diese Wartefrist überfordert dich. Du merkst auch, dass deine Mutter sich Sorgen macht. Als sie neulich mit ihrer Schwester telefonierte, hörtest du, wie sie sagte, sie habe Angst, du könntest dir was antun.
Wie sieht es mit Alternativen zur Psychotherapie aus?
Nun, was kann ich dir raten? Frag bei der Psychotherapeutin, bei der du auf der Warteliste bist, wöchentlich per Mail nach, ob kurzfristig ein Termin frei geworden ist. Bei den langen Wartezeiten gibt es relativ viele kurzfristige Absagen. Du kannst dich bei ihr auch erkundigen, ob es neben der klassischen Psychotherapie auch Angebote gibt, die früher zur Verfügung stehen: eine psychiatrische Spitex, eine sozialpädagogische Begleitung oder ein Krisenteam, das bei dir vorbeikommt. Bei diesen Angeboten würde deine Mutter mit unterstützt. Falls du eine Zusatzversicherung hast, wären auch eine Atem-, eine Kunsttherapie oder Ähnliches möglich.
«Menschen mit eigener Krankheits- und Gesundungserfahrung können sehr hilfreich sein.»
Thomas Ihde, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH
Ausserdem brauchst du ein Team, das dich in der Übergangszeit und wohl auch danach stützt. Wären Termine alle zwei Wochen bei deiner Kinder- oder Hausärztin möglich? Ebenfalls unterstützen könnten dich die psychiatrische Spitex, die Schulsozialarbeiterin, eine Lehrkraft oder die Handballtrainerin. Einfach Menschen, denen du vertraust und die du als stützend erlebst. Wichtig ist, dass du einmal pro Woche einen Termin mit jemandem aus diesem Netzwerk hast.
Betroffene können anderen helfen
Du brauchst aber auch ein privates Netzwerk. Wer käme in Frage? Vielleicht die Nachbarin, die selbst schon Panikattacken hatte. Menschen mit eigener Krankheits- und Gesundungserfahrung können sehr hilfreich sein. Vielleicht fühlst du dich auch von deiner Gotte gut verstanden. Möglicherweise kann sie dir sogar eine Atemtherapie bezahlen.
Soziale Medien können sehr unterstützend sein, aber leider auch das Gegenteil bewirken. Du findest hier viele Tipps zum Umgang mit Panikattacken, erzählt von Betroffenen in deinem Alter. Das Problem: Der Algorithmus bietet dir schnell nur noch Posts zu psychischer Krankheit an, vielleicht auch von Menschen, denen nichts hilft. Achte also gut darauf, ob die Posts deine Stimmung verbessern oder verschlechtern.
Auch ein Journal kann sehr hilfreich sein. Wähle die fünf wichtigsten Themen und schreib alle paar Tage auf, wie es dir damit geht. Mit einer Beurteilungsskala von 1 bis 10 siehst du, ob sich deine Stimmung verbessert oder verschlechtert. Wenn sie sich stark verschlechtert und es um Suizidalität geht, melde dich bei den Notfallnummern der Jugendpsychiatrie, des lokalen Notfalls oder auch bei der 147. Alle bieten im Notfall sofortige Unterstützung an.
Wichtige Kontaktstellen für Hilfe
- Elternnotruf: Telefon 0848 35 45 55 (24 Stunden erreichbar)
- Anonymes Beratungstelefon für Kinder und Jugendliche: Telefon 147 (24 Stunden erreichbar)
- Die Dargebotene Hand (für Erwachsene): Telefon 143 (24 Stunden erreichbar)
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