Frage eines Lesers: «Ich bürde mir bei der Arbeit zu viel auf und bin ziemlich am Rand. Was kann ich tun?»

Besten Dank für Ihr Schreiben. Wie Ihnen geht es aktuell vielen: Sie beginnen die Arbeit um sieben, weil es dann noch ruhiger ist im Büro. Dennoch endet der Arbeitstag oft erst nach 18 Uhr. Und eigentlich noch später, da Sie im Zug oder auch zu Hause noch ein paar Mails erledigen. Die Mittagspause verdient ihren Namen auch nicht wirklich. Mit dem Sandwich vor dem Bildschirm sitzend, versuchen Sie nach all den Meetings, die Pendenzen abzuarbeiten.

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Sie nehmen regelmässig Anläufe zur Veränderung. Ein häufiger Ansatz: mehr delegieren. Der gilt jeweils, bis Sie es dann doch wieder selber erledigen, weil das vordergründig schneller geht oder die Qualität Ihren Ansprüchen genügt. Sie träumen oft von einer Auszeit oder gar vom Ausstieg. Ein Kollege hat einfach gekündigt und pilgert nun auf dem Jakobsweg. Ihn beneiden Sie.

Den Fokus auf Langfristige legen

Was kann ich Ihnen raten? Lassen Sie sich von Ihrem pilgernden Kollegen inspirieren – im übertragenen Sinn. Denn ganz so einfach ist Pilgern Pilgern auf dem Jakobsweg Er ist dann mal weg nicht. Man merkt rasch, dass die Tagesmärsche kürzer sein sollten. Dass sieben Kilo Gepäck die Obergrenze sind, dass es Blasen absolut zu verhindern gilt. Und dass der abendliche Austausch in der Herberge Gold wert ist. Sonst bricht man die Übung schnell ab.

Es gilt also, den Fokus vom Kurzfristigen aufs Langfristige zu legen. Pilger merken in der Regel, dass sie mit einem periodischen Ruhetag und kürzeren Märschen paradoxerweise weiter kommen.

Bei Ihnen ist es ähnlich: Sie steigern Ihre Jahresproduktivität auch nicht, indem Sie über Mittag noch schnell ein paar Mails abarbeiten. Denn: Wer viel Energie verbraucht, muss öfter tanken, nicht seltener.

Machen Sie als Selbstversuch zwei Wochen lang längere und bewusstere Pausen. Gehen Sie über Mittag zweimal die Woche schwimmen, essen Sie an zwei Tagen pro Woche mit Mitarbeitenden zu Mittag, mit denen Sie sonst selten direkt zu tun haben. Gehen Sie mittwochs schon um halb vier nach Hause. So werden Sie viel produktiver. Sie erleben sich als motivierter, konzentrierter, ausgeglichener, inspirierter, zufriedener. Und Sie zeigen eine erhöhte mentale Flexibilität, sehen also eher Lösungen für mögliche Probleme.

Ein Wir-Gefühl entwickeln

Unter Pilgern verstehen wir etwas Individuelles im Sinn von: «Ich auf dem langen Weg nach Santiago, wandernd in der Stille». Doch viele Pilger berichten von nachhaltigen Kontakten, sei es im gemeinsamen stillen Wandern oder im Austausch abends in der Herberge. Sie erzählen von einem ausgeprägten Wir-Gefühl. Bei der Arbeit ist der Fokus oft viel zu sehr auf dem «Ich». «Ich» versuche, mehr zu erreichen, indem «ich» abends länger arbeite oder morgens früher beginne.

Eine erhöhte Produktivität ist aber ein «Wir»-Thema. Organisieren Sie also regelmässig runde Tische, bei denen die Beteiligten Prozesse und Abläufe beleuchten. Wenn ein Ablauf vereinfacht werden kann, hat das meist einen viel grösseren Einfluss, als wenn Einzelne einfach noch mehr arbeiten.

Auch das Neinsagen betrachten wir oft aus der Ich-Perspektive. «Ich» sage nicht Nein, damit «ich» vor anderen gut dastehe. Spielen Sie den Ball einfach mal zurück. Ein Nein ist eine wichtige Rückmeldung an das Team oder an ein Gegenüber, damit Ihr Gegenüber, das Team und Sie – eben das «Wir» – zusammen eine bessere Lösung finden können. Zudem ist ein Nein zu etwas auch immer ein Ja zu etwas Wichtigerem, einer anderen prioritären Aufgabe oder eben zu den eigenen Ressourcen.

Oft werden beim Pilgern die eigenen Glaubenssätze klarer – und verändern sich täglich ein wenig, es entsteht eine Art Essenz. Überlegen Sie also, was Ihre aktuellen und künftigen Glaubenssätze sind. So wird aus Ihrem immer wieder scheiternden Vorhaben «Ich delegiere mehr» dann vielleicht: «Mein Ziel ist es, dass wir als Team Aufgaben optimal erfüllen können.»

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