Das Ende der freien Arztwahl?
Das Parlament hat Ja gesagt zur Lockerung des Vertragszwangs für Krankenkassen. Was bedeutet das für die Patientinnen und Patienten? Der Beobachter beantwortet die wichtigsten Fragen.
Veröffentlicht am 14. März 2025 - 17:34 Uhr
Heute müssen die Krankenkassen mit allen zugelassenen Ärztinnen und Ärzten einen Vertrag abschliessen.
Was ist überhaupt der Vertragszwang?
Krankenkassen müssen heute mit jedem medizinischen Leistungserbringer, der über eine Zulassung verfügt, einen Vertrag abschliessen. Dieser berechtigt Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen, Spitäler und andere Leistungserbringer, die erbrachten Behandlungen den Krankenkassen zu verrechnen. Diese müssen dann die Rechnungen bezahlen. Das Geld dafür stammt von den Krankenkassenprämien, die alle Personen mit Wohnsitz in der Schweiz bezahlen müssen.
Was soll an diesem System schlecht sein?
Ärztinnen und Ärzte haben Therapiefreiheit. Sie dürfen – das Einverständnis der Patientin oder des Patienten vorausgesetzt – die Therapiemethoden anwenden, die sie als am besten geeignet erachten. Manche Ärztinnen und Ärzte verrechnen pro Patient deutlich mehr als der Durchschnitt – es besteht der Verdacht, dass sie unnötige Kosten verursachen. Die Krankenkassen sagen, sie könnten heute wegen des Vertragszwangs kaum etwas gegen unwirtschaftlich arbeitende Leistungserbringer unternehmen, der Vertragszwang wirke deshalb kostensteigernd.
Gibt es weitere Kritik?
Ärztinnen und Ärzte sind heute weitgehend frei in ihrer Wahl, wo sie ihren Beruf ausüben wollen. Um eine Arztpraxis zu eröffnen, müssen sie in erster Linie die im jeweiligen Kanton vorgeschriebenen beruflichen Qualifikationen erfüllen. Es gibt deshalb vor allem in den Ballungszentren Zürich, Basel und Genf viel mehr Fachärzte als in anderen Regionen. Das hat Folgen für die Prämien, denn jede neue Praxis verursacht zusätzliche Kosten.
Zwar könnten die Kantone die Erlaubnis für die Eröffnung einer Arztpraxis verweigern, wenn es an einem Standort bereits viele Praxen dieser Fachrichtung gibt. Aber für die Kritiker des Vertragszwangs tun sie das viel zu selten. Die Kritiker argumentieren, ohne Vertragszwang müssten die Kassen nur noch mit einem Teil der Ärztinnen und Ärzte Verträge abschliessen – und könnten damit Kosten sparen.
Was würde das für mich als Patientin oder Patienten bedeuten?
Patientinnen und Patienten könnten nicht mehr automatisch davon ausgehen, dass ihre Krankenkasse die Rechnung ihrer Ärztin oder ihres Spitals bezahlt, sondern müssten sich im Voraus danach erkundigen. Wie viele Leistungserbringer die Kassen bei einer Abschaffung des Vertragszwangs ausschliessen würden, lässt sich derzeit nicht sagen. Eine Kasse mit wenigen Ärzten unter Vertrag hätte einen Konkurrenznachteil, den sie mit günstigen Prämien wieder wettmachen müsste. Dies lässt die Vermutung zu, dass die Kassen beim Ausschluss von Leistungserbringern zurückhaltend agieren würden.
Was sagen die Befürworter des Vertragszwangs dazu?
Sie befürchten, dass die Krankenkassen zu viel Macht erhalten. Die Waadtländer SP-Nationalrätin Brigitte Crottaz – selbst Ärztin – sprach den Krankenkassen die Fachkenntnisse ab, die Behandlungsqualität der Ärzteschaft zu beurteilen. Statt medizinischer kämen ökonomische Kriterien zur Anwendung, mit entsprechenden Folgen für die Behandlungsqualität.
Wie geht es jetzt weiter?
Der Nationalrat hat sich als Zweitrat mit 113 zu 72 Stimmen für die Lockerung des Vertragszwangs ausgesprochen. Der Bundesrat muss nun eine Gesetzesvorlage ausarbeiten. Liegt diese vor, kommt sie ins Parlament und wird debattiert. Spricht sich das Parlament dafür aus, werden Ärzte- und Spitalverbände mit grosser Wahrscheinlichkeit das Referendum ergreifen – und es gibt eine Volksabstimmung.
- Motion Peter Hegglin, Ständerat Mitte/ZG: Lockerung des Vertragszwangs im KVG
- Bundesgericht: Urteil 6B_730/2017 zur Therapiefreiheit
1 Kommentar
Ich finde, das ist sehr einseitig gedacht! Es gibt sicher geeignetere Lösungen, z.B. eben, dass die Kantone die Erlaubnis für eine Praxis öfters verweigern, wenn es an jenem Ort bereits zu viele Praxen gibt und das Angebot bereits gut ist für die Patient/innen. In einem kürzlich beim Beobachter erschienenen Artikel wurde darüber debattiert, dass es sehr wichtig sei, dass das Verhältnis zwischen Arzt und Patient auch stimmt! Das empfinde ich auch so! Das ist für mich immens wichtig, denn sonst gehe ich lieber überhaupt gar nicht zum Arzt! Ich weigere mich z.B. zu meinem ehemaligen Hausarzt zu gehen (inzwischen bin ich sowieso umgezogen), dieser hat mich mehrfach so herablassend behandelt, mir nicht zugehört und mir stattdessen einfach gefühlt hunderte von Medikamenten mitgegeben, und diese alle auf einmal (!!) = nur Geldmacherei, welche sehr teuer waren und ich anschliessend fast allesamt entsorgen musste in der Apotheke, weil ich sie nicht vertragen hatte oder es waren viel zu grosse Packungen! Da könnte man z.B. auch ansetzen, dass der Arzt beispielsweise nur die wichtigsten Medikamente abgeben darf, und nicht „hunderte“ auf einmal! Und ich würde ihm sowieso nie mehr vertrauen! Ich würde unter diesen Umständen auch gar nicht tun, was der mir sagt, ich würde ihm nie mehr glauben, warum also überhaupt gehen? Dann würde ich echt lieber bis zum Alleräussersten warten, bevor ich überhaupt zu einem Arzt gehen würde! Das könnte vielleicht dann eben zu spät sein, aber das wäre mir in meinem Fall auch ehrlich gesagt, egal! Dann sterbe ich halt, irgendwann muss ich sowieso sterben! Ich habe meinen Anteil an die Gesellschaft mehr als geleistet, dann kann ich gerade so gut gehen, es gibt sowieso schon zu viele Menschen auf der Welt! Doch nicht jede/r hat diese Einstellung, viele Menschen haben auch im AHV-Alter noch ein gutes Leben und ein Anrecht auf eine gute und einfühlsame Betreuung! Diese gut bezahlten Parlamentarier/innen in Bern und überall in den Kantons-Bezirks- und Gemeindeparlamenten sollten gefälligst mal ihre grauen Hirnzellen anstrengen, um die Kosten zu senken, dafür sind sie schliesslich unter anderem auch bezahlt!! Es gäbe sicher sehr viele gute Lösungen, wenn man denn nur wollte! Aber ein gutes Vertrauensverhältnis im ärztlichen Bereich mutwillig zu zerstören kommt für mich nicht in Frage! Wie gesagt, ICH ginge dann nicht mehr zum Arzt und liesse es drauf ankommen…..