Krach mit dem Nachbarn?
Nächtlicher Lärm, störende Gerüche, falsch parkierte Velos: Bei einem Konflikt mit dem Nachbarn ist die Hoffnung auf rechtliche Klärung häufig vergebens. Hilfreicher als das Gesetz ist in solchen Fällen gesunder Menschenverstand.
aktualisiert am 5. Juni 2018 - 18:11 Uhr
Eigentümer zu sein heisst unter anderem, sein Revier zu verteidigen. Im Tierreich ist das Revier das Gebiet, das ein Tier oder eine Gruppe von Tieren gegen Artgenossen durch Revierverhalten verteidigt, damit diese daran gehindert werden, in dieses Gebiet einzudringen oder es gar in Beschlag zu nehmen. Bei Knatsch unter Nachbarn verhält es sich häufig ähnlich.
Meist entfacht sich der Konflikt am Revierverhalten. So geht es etwa darum, das eigene Territorium abzustecken, indem klare Grenzverhältnisse geschaffen werden. Oder der Besitzer will sein Grundstück vor Immissionen wie Schatten, Laub oder Unkraut aus Nachbars Garten schützen.
Für einige Revierkonflikte unter Menschen gibt es klare gesetzliche Regeln. Im Vordergrund stehen dabei die Abstandsvorschriften für Pflanzen und Einfriedungen. Alle weiteren Streitigkeiten, die nicht klar geregelt sind, müssen über den allgemeinen Nachbarrechtsartikel 684 im Zivilgesetzbuch beurteilt werden, wonach übermässige Immissionen zu unterlassen sind.
Absatz 2 dieses Artikels hält ergänzend fest: «Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm , Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.»
Nun ist das trotzdem noch zu allgemein, um alle möglichen Konflikte unter Nachbarn im Alltag abschliessend zu lösen. Kommt hinzu, dass bei diesen Immissionen das subjektive Empfinden der betroffenen Nachbarn eine entscheidende Rolle spielt. So stört beispielsweise die Eltern das Gebrüll ihrer spielenden Kinder gar nicht oder viel weniger als deren pensionierte Nachbarn, die in Ruhe lesen oder fernsehen wollen.
Um solche Konflikte zu lösen, entwickelte die Gerichtspraxis den «Durchschnittsmenschen»: Bei der Beurteilung der Frage, ob eine konkrete Immission tatsächlich übermässig ist oder nicht, fragt sich das Gericht, ob auch eine Mehrheit der in derselben Situation steckenden Menschen sich daran stören würde. Das subjektive Empfinden spielt hingegen keine Rolle. Schliesslich berücksichtigen die Richter in der Regel auch den Ortsgebrauch. Beispiel: In einem Bauerndorf ist gegen Kuhglocken von vornherein weniger zu machen als auf Stadtgebiet.
Nach den rechtlichen Ausführungen lässt sich allgemein sagen, dass die meisten Nachbarschaftskonflikte nur schwer via Rechtsweg zu lösen sind. Und diejenigen Streitigkeiten, für die es anwendbare Bestimmungen gibt, sind mit der rechtlichen Klärung noch lange nicht ausgestanden.
Das liegt daran, dass die meisten Konflikte unter Nachbarn einen zwischenmenschlichen Hintergrund haben – sei es, dass ein Nachbar ein persönliches Problem hat oder dass ganz einfach zu wenig miteinander über die unterschiedlichen Anliegen und Bedürfnisse gesprochen wird.
Auch ganz simple Missverständnisse – etwa ein falsch verstandener Tipp zur Gartenpflege – können Auslöser für einen Streit sein, der danach über den Grillrauch, den Grenzabstand oder das Klavierspiel ausgefochten wird. Oft ist es sogar so, dass dem Streit ein vermeintlich perfektes Nachbarschaftsverhältnis vorausgegangen ist. Gerade wenn die Nachbarn aber unterschiedliche Vorstellungen von guter Nachbarschaft – insbesondere bezüglich Anonymität und Hilfsbereitschaft – haben, ist Knatsch programmiert.
Denn: Wenn hier einmal ein komplexeres Problem als der nächste Apéro zu lösen ist, kann es schnell persönlich werden. Meistens heisst es dann: «Jetzt hatten wir immer so ein gutes Verhältnis untereinander, und nun pocht ihr auf Paragraphen.» Resultat: Mit sachlichen Argumenten ist ein solcher Konflikt nur noch schwer zu lösen.
Nicht immer ist bei Nachbarstreitigkeiten eine gütliche Einigung möglich. Je nach Art der Störung können Sie gerichtlich gegen Ihren Nachbarn vorgehen. Erhalten Sie als Beobachter-Mitglied detaillierte Informationen, welche Optionen in einem solchen Fall offenstehen.
Aus der langjährigen Erfahrung des Beobachter-Beratungszentrums ergeben sich sechs Grundpfeiler für eine gute Nachbarschaftspflege:
- Natürlichkeit: Geben Sie sich gegenüber den Nachbarn von Anfang an so, wie Sie wirklich sind. Verstellen Sie sich nicht: Wenn Sie bei einem späteren Knatsch Ihre Fassade ablegen, birgt das zusätzliches Konfliktpotential.
- Offenheit: Seien Sie interessiert und offen für Anliegen Ihrer Nachbarn. Sie sind später auch froh, wenn Sie mit Ihren Anliegen auf offene Ohren stossen.
- Diskretion: Üben Sie auch Zurückhaltung und überfordern Sie Ihre Nachbarn nicht mit übertriebener Nächstenliebe. Ein gut gemeinter, aber ungefragter Ratschlag kann falsche Signale setzen oder gar als Beschwerde interpretiert werden.
- Direktheit: Sprechen Sie Probleme oder Dinge, die Sie stören, frühzeitig an. Es nützt nichts, wenn Sie so lange «die Zähne zusammenbeissen», bis Sie explodieren. Vor allem werden Ihre Nachbarn diese plötzliche heftige Reaktion dann nicht nachvollziehen können.
- Rücksicht: Denken Sie bei der Nutzung Ihres Grundstücks an Ihre Umgebung – vor allem dann, wenn es zu störenden Immissionen wie Lärm oder Rauch kommen kann. Die Faustregel lautet: Vermeiden Sie alles, was Sie selber auch beim Nachbarn stören würde.
- Toleranz: Lassen Sie fünf auch einmal gerade sein – vor allem wenn es bei Ihrem Nachbarn zu vorübergehenden Immissionen kommt. Sie sind ihm dankbar, wenn er bei Ihrem nächsten ausgiebigen Fest auch ein Auge oder sogar beide zudrückt.
Doch selbst wenn Sie alle diese Ratschläge beherzigen: Ein allgemeingültiges Patentrezept für gute Nachbarschaft gibt es leider trotzdem nicht.
Meist sind die Abstände in den kantonalen Einführungsgesetzen zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) geregelt. Sie schreiben je nach Pflanzenart – also etwa für Wald-, Garten- und Obstbäume sowie Hecken – den Abstand zur nachbarlichen Grenze vor. Das Heimtückische dieser Bestimmungen ist, dass sie in vielen Kantonen nach fünf Jahren verjähren – berechnet seit der Pflanzung. Viele stellen nun aber den verletzten Abstand erst fest, wenn die Bäume eine gewisse Höhe und ein Volumen erreicht haben – und das ist oft erst nach Ablauf der fünf Jahre der Fall.
Wer die Fünfjahresfrist verpasst, kann sich nur noch auf den allgemeinen Nachbarrechtsartikel im Zivilgesetzbuch abstützen. Artikel 684 verpflichtet Eigentümer, Mieter und andere Besitzer von Grundstücken, «sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten».
Wann liegt eine übermässige Immission vor?
Allgemein lässt sich dies nicht beantworten. Bei Pflanzen könnte etwa Lichtentzug oder Schattenwurf massgeblich sein. Die Gerichte haben die Latte für das Vorliegen einer übermässigen Immission allerdings sehr hoch angesetzt. Fehlendes Sonnenlicht müsste regelrecht zu unzumutbaren Folgeerscheinungen führen wie etwa zu massiver Feuchtigkeit oder Kälte. Selbst herabfallende Äste und Blätter, die Dachrinnen und Abflussrohre verstopfen, sind in der Regel keine übermässigen Immissionen.
Fazit: Wer eine Pflanze des Nachbarn zu lange unwidersprochen toleriert, kann diese nur noch schwer versetzen oder gar beseitigen lassen.
- Analyse: Versuchen Sie, möglichst genau herzuleiten, wie es zum Konflikt gekommen ist. Beachten Sie dabei jedes Puzzlestück, mag es auch scheinbar noch so unbedeutend sein. Denken Sie daran: Manchmal genügt ein falsches Wort.
- Einfühlungsvermögen: Suchen Sie nicht gleich die Konfrontation; versuchen Sie herauszufinden, weshalb Ihr Nachbar sich Ihnen gegenüber so verhält. Versetzen Sie sich in seine Lage. Möglicherweise sind Sie beziehungsweise Ihre Kinder oder Ihre Pflanzen nur Blitzableiter für seine privaten Sorgen oder Probleme.
- Selbstkritik: Gestehen Sie sich eigene Fehler ein. Mit dieser Erkenntnis ist der Konflikt beinahe gelöst. Denn wenn Sie sich dafür beim Nachbarn entschuldigen, wird er eher peinlich berührt sein, dass er aus einer Mücke einen Elefanten respektive aus einem Strauch einen riesigen Wirbel gemacht hat.
- Proaktivität: Machen Sie den ersten Schritt zur Versöhnung – auch wenn nicht Sie mit dem Streit begonnen haben. Unter Umständen fehlt dem Nachbarn nur der Mut, bei Ihnen aufzukreuzen. Wenn Sie also mit einer Flasche Wein an seiner Tür klingeln, um die Angelegenheit gütlich zu bereinigen, wird er Ihnen vielleicht sehr dankbar sein.
- Schlichtungsversuch: Ziehen Sie eine unbeteiligte Drittperson als Schiedsrichterin bei. So ist die Fairness gewahrt, und Sie erfahren erst noch, wie der Knatsch von neutraler Seite beurteilt wird. Sie können natürlich auch gleich an die offizielle Schlichtungsbehörde beziehungsweise ans Friedensrichteramt gelangen.
- Profi-Mediation: Sind Sie trotz allen Versuchen nicht in der Lage, den Konflikt zu lösen, möchten aber unbedingt den Weg über das Gericht vermeiden, schlagen Sie Ihrem Nachbarn den Beizug eines professionellen Schlichters vor. Voraussetzung ist allerdings, dass grundsätzlich alle Parteien bereit sind, zusammen eine Lösung zu finden. Weitere Informationen über Mediation sowie eine Datenbank mit Mediatorinnen und Mediatoren nach Kantonen und Fachbereichen finden Sie beim Schweizerischen Dachverband für Mediation: www.infomediation.ch