Diese Revision ist ein Ärgernis
Die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat hat vorerst verhindert, dass die Rechte der Konsumenten wirklich gestärkt werden. Ein Kommentar von Beobachter-Redaktor Matthias Pflume.
Veröffentlicht am 23. Mai 2019 - 18:57 Uhr
David gegen Goliath – so ist oft die Ausgangslage, wenn Einzelne mit Versicherungen streiten. Nach welchen Regeln gekämpft wird, definiert zum grossen Teil das Versicherungsvertragsgesetz von 1908. Jetzt ging es im Nationalrat darum, es zeitgemässer zu gestalten, inklusive mehr Rechten für Konsumenten. Das sei gelungen, suggerierten viele Medien mit Titeln wie «Nationalrat schützt Konsumenten». Doch das Gegenteil trifft zu: Gesiegt hat die Versicherungslobby.
Zunächst war es ihr gelungen, das Feld der Auseinandersetzung zu verschieben. Ursprünglich hatte der Bundesrat eine Revision voller Verbesserungen für Versicherte vorgelegt. Nach der Vernehmlassung aber präsentierte Bundesrat Ueli Maurer einen Text, der vor allem die Rechte der Versicherungen ausbaute.
Es hagelte Kritik. Rechtsprofessoren forderten: «Lieber keine Revision als diese», und der Ombudsmann der Privatversicherungen nannte den neuen Artikel 35 den «schlimmsten Gesetzesartikel», den er je gesehen habe . Fortan schien es politisch vor allem darum zu gehen, so etwas zu verhindern.
«Zum Glück gibt es hin und wieder Wahlen», meinte die Grüne Regula Rytz sarkastisch – ohne Wahltermin und Referendumsdrohung wäre es kaum zur Kehrtwende der FDP und des Versicherungsverbands SVV gekommen.
Im Nationalrat strich die bürgerliche Mehrheit kurzerhand die berüchtigte Version des Artikels 35, die es erlaubt hätte, Vertragsklauseln nachträglich einseitig zu ändern. Der Entwurf hatte einst das Gegenteil vorgesehen : ein explizites Verbot solcher Änderungen. Nun bleibt alles beim Alten, und der SVV hielt fest: «Damit bleibt die Anpassung von Versicherungsverträgen weiterhin möglich.» Denn schon jetzt gibt es solche Klauseln. Ob sie zulässig sind, lässt das Gesetz weiterhin offen.
Auch ein anderes Vorhaben scheiterte: Der Bundesrat wollte Versicherungen erlauben, dass sie bei Krankheit oder Unfall weniger oder gar nichts zahlen dürfen, wenn sie den Vertrag nach «Eintritt des befürchteten Ereignisses» beenden. 50 Räte (49 SVP, 1 FDP) stimmten dafür. 133 andern ging das zu weit: Sie verboten solche Klauseln.
Trotz einigen Verbesserungen – etwa ein Widerrufsrecht, längere Verjährungsfrist, Kündigungsschutz für Krankenversicherte – wurde die Chance für ein zeitgemässes Gesetz verpasst. Denn etliche Punkte, die einst im Entwurf standen und die Linke und Mitte-Politiker nun erneut beantragten, fanden keine Mehrheit.
Drei Beispiele:
- Weiterhin müssen Versicherungen bei rückkauffähigen Lebensversicherungen nichts zu den Kosten sagen.
- Weiterhin dürfen Versicherungen Leistungen kürzen , wenn der Versicherte bei Vertragsabschluss falsche Angaben gemacht hat – und zwar unabhängig davon, wie relevant diese Angaben für den Schaden sind.
- Weiterhin können Haftpflichtversicherer Leistungen einschränken, wenn der Schadensverursacher zum Beispiel grobfahrlässig gehandelt hat – dann erhält der Geschädigte unter Umständen nichts.
Hinzu kommt eine Verschlechterung: Wenn zum Beispiel ein Unfallopfer entgegen den Vorgaben der Versicherung zögert, zum Arzt zu gehen, weil es anfangs wenig Beschwerden hat, drohen später Leistungskürzungen, falls die Folgen doch gravierend sind. Neu muss man beweisen, dass das Zögern für die Folgen unerheblich war. Bisher war die Beweislast nicht geregelt, jetzt liegt sie beim Versicherten – und nicht bei der Versicherung, wie das Konsumentenschützer fordern.
Die Revision ist ein Ärgernis. Es ist nun am Ständerat, sie konsumentenfreundlicher zu gestalten.
Versicherungen können einem das Leben in einem Schadenfall wesentlich erleichtern. Doch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind nicht immer leicht zu verstehen. Beobachter-Mitglieder erhalten wertvolle Tipps im Umgang mit Privatversicherungen sowie mit provisionshungrigen Vermittlern.