Wohnen ohne Emissionen
Bis 2050 soll die Treibhausgasbilanz der Schweiz auf null reduziert werden. Das hat auch direkten Einfluss auf die Gebäude. Ein erster Schritt ist das CO2-Gesetz, das 2022 in Kraft treten soll.
Veröffentlicht am 16. April 2020 - 12:14 Uhr
Zwei Teile Sauerstoff und ein Teil Kohlenstoff – das tönt harmlos. Doch das Gas CO2 hat es in sich: Wenn zu viel davon in der Atmosphäre ist, steigen die Temperaturen und verändert sich unser Klima. Deshalb versuchen viele Staaten, den Ausstoss von CO2 und weiteren Treibhausgasen zu reduzieren. Angestrebtes Ziel ist «Netto null». Will heissen: Es sollen künftig nicht mehr Treibhausgase ausgestossen werden, als durch natürliche und technische Speicher wieder aufgenommen werden können. Natürliche Speicher sind beispielsweise Wälder , technische etwa die Einlagerung von CO2 in Sedimentschichten im Untergrund.
Im August 2019 gab Umweltministerin Simonetta Sommaruga bekannt, dass die Schweiz das «Netto null»-Ziel bis 2050 erreichen will. Dazu müssen die Emissionen auch bei den Gebäuden stark gesenkt werden. Deren Heizungen verursachen aktuell 33 Prozent des CO2-Ausstosses, 39 Prozent gehen auf das Konto des Verkehrs, und der Rest stammt aus Industrie und Landwirtschaft .
Doch die beim Heizen erzeugten Treibhausgase machen bei neueren Gebäuden über die gesamte Lebensdauer hinweg nur einen Drittel ihres gesamten CO2-Ausstosses aus. Die anderen beiden Drittel fallen laut Bundesamt für Umwelt bereits bei der Erstellung an – ins Gewicht fällt dabei vor allem die Produktion von Baumaterialien.
«Damit der Gebäudepark das Ziel von ‹Netto null› erreichen kann, braucht es geeignete Massnahmen», sagt Elmar Grosse Ruse, Verantwortlicher für den Bereich Klima und Energie bei WWF Schweiz. Dazu müssten einerseits neue Technologien entwickelt, anderseits möglichst CO2-neutrale Baustoffe eingesetzt werden. Die Produktion von Zement als einem der wichtigsten Baumaterialien etwa ist heute allein für acht Prozent des weltweiten Treibhausgas-Ausstosses verantwortlich.
Nicht zuletzt deshalb ist die Zementindustrie daran, ihre Umweltbilanz zu verbessern. Trotzdem ist auch für das Bundesamt für Energie (BFE) klar, dass eine massive Reduktion des CO2-Ausstosses bei Baumaterialien wesentliche Anstrengungen erfordert: «Vor allem in den Bereichen Forschung und Entwicklung braucht es einen entsprechenden Effort», sagt Claudio Menn, Fachspezialist für Gebäude beim BFE.
«Vor allem in den Bereichen Forschung und Entwicklung braucht es einen Effort.»
Claudio Menn, Fachspezialist für Gebäude
Gesetzliche Regelungen für CO2-arme Baumaterialien sind bis jetzt keine angedacht. Die Politik vertraut derzeit darauf, dass Bauherren und Planer selbst handeln. Etwa durch die Verwendung von Recyclingbaustoffen, klimafreundlichen Materialien wie Holz oder von gebrauchten Bauteilen. Zur Erreichung von «Netto null» könnten laut Menn zudem folgende Ansätze helfen:
- Altbauten aufstocken statt neu bauen.
- Kompaktere Gebäudeformen, die weniger Material brauchen.
- Reduktion der Wohnfläche pro Person.
- Häuser, die mehr erneuerbare Energie produzieren, als sie selbst benötigen, und dadurch Emissionen aus ihrer Erstellung teilweise kompensieren.
Das sind Lösungen, die allerdings aktuell von Bauherren und Planern nur selten gewählt werden. Um das «Netto null»-Ziel zu erreichen, wird es wohl über kurz oder lang schärfere Regeln brauchen – mit teilweise starken Eingriffen in den individuellen Gestaltungsspielraum.
Anders sieht die Situation bei der Reduktion des CO2-Ausstosses der Heizungen aus: «Hier lässt sich ‹Netto null› bis 2050 – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – gut erreichen», sagt Thomas Jud, stellvertretender Leiter der Sektion Gebäude im BFE. Dazu setzt der Bund auf die Kombination aus freiwilligen Massnahmen, gesetzlichen Vorgaben, finanziellen Anreizen und Lenkungsabgaben. Zu den freiwilligen Massnahmen zählen Programme wie «Energie Schweiz» und «Erneuerbar heizen» (siehe «Links»). Diese zeigen Hausbesitzern , wie sie Energie sparen und ihre Heizung durch ein klimafreundlicheres Modell ersetzen können.
Auf Gesetzesebene sind die 2014 von der Energiedirektorenkonferenz verabschiedeten Musterenergievorschriften der Kantone das wichtigste Instrument. Sie bilden die Basis für die Verschärfung der Energie- und Baugesetze in den Kantonen mit dem Ziel, Energieverbrauch und -emissionen zu senken. Bis jetzt haben acht Kantone die Verschärfung beschlossen oder in Kraft gesetzt. In sieben Kantonen läuft die politische Debatte, in weiteren neun ist erst die vorparlamentarische Phase im Gang. Bern und Solothurn haben die Verschärfung abgelehnt. Damit bleiben die Gesetze auf dem bisherigen Stand.
Gut läuft es hingegen bei den finanziellen Anreizen im Energiebereich. Ein Element dazu sind Steuerabzüge für bauliche Massnahmen, die den Energieverbrauch reduzieren. Seit Beginn dieses Jahres können solche Abzüge bei der Bundessteuer auf drei Jahre verteilt werden, was den Effekt auf das steuerbare Einkommen erhöht. Je nach Standort des Gebäudes gilt diese Neuerung auch für die Kantons- und Gemeindesteuern.
Einen zweiten finanziellen Anreiz bietet das Gebäudeprogramm, mit dem Bund und Kantone Massnahmen für die Energieeffizienz und den vermehrten Einsatz von erneuerbarer Energie sowie von Abwärme im Gebäudebereich fördern. Maximal 450 Millionen Franken stehen pro Jahr zur Verfügung. Wichtigstes Lenkungsinstrument wiederum ist die CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe. Diese hat einen doppelten Effekt: Einerseits macht sie Gas sowie Erdöl teurer und unattraktiver, anderseits fliesst bis zu ein Drittel der Einnahmen ins Gebäudeprogramm.
Da verschärfte Baugesetze, finanzielle Anreize und Lenkungsabgaben aber nicht reichen, dürfte die Schraube beim Ersatz von Heizanlagen angezogen werden. Instrument dazu ist das derzeit vom Parlament debattierte CO2-Gesetz , das 2022 in Kraft treten soll. Dieses will im Gebäudebereich neue Ziele setzen: Bis 2027 soll der CO2-Ausstoss gegenüber 1990 um 50 Prozent reduziert werden.
Wenn dies nicht gelingt, würde die Abgabe pro Tonne CO2 auf fossilen Brennstoffen von heute 96 auf 210 Franken erhöht. Ausserdem ist geplant, den CO2-Ausstoss pro Quadratmeter beheizte Wohnfläche beim Ersatz der Wärmeerzeugungsanlage bei Altbauten ab 2023 auf 20 Kilogramm im Jahr zu begrenzen. Danach sinkt dieser Wert alle fünf Jahre um weitere fünf Kilogramm.
Mit den geplanten Massnahmen zielt das CO2-Gesetz auf die rund 900'000 fossilen Anlagen in Wohngebäuden. Diese müssen in den nächsten rund 20 Jahren altersbedingt sowieso ersetzt werden. Dabei stehen Hausbesitzern zwei Wege offen, um den neuen Grenzwert zu erreichen: Entweder sie dämmen das Gebäude und senken so durch einen tieferen Verbrauch den CO2-Ausstoss einer fossilen Heizung, oder sie wählen eine Anlage mit erneuerbarer Energie – etwa eine Pelletheizung oder eine Wärmepumpe.
«Mit einer umweltfreundlichen Heizung erreichen Hausbesitzer, die nicht in die Gebäudehülle investieren wollen, die gesetzlich vorgesehene CO2-Reduktion relativ einfach und mit vertretbaren Kosten», sagt Fachmann Thomas Jud vom BFE.
Zur Person
Bund, Kantone, Gemeinden und Energiedienstleister fördern die Erneuerung von Gebäuden und den Umstieg auf alternative Energien:
- Neubau/Ersatzneubau: Einige Kantone fördern Ersatzneubauten für alte Liegenschaften. Voraussetzung: Erfüllung der Energiestandards Minergie A, Minergie P oder Minergie Eco.
- Gebäudehülle: Wer Dach und Wände dämmt sowie alte Fenster austauscht, erhält schweizweit Unterstützung aus dem Gebäudeprogramm.
- Heizung: In diesem Bereich wird unter anderem der Tausch einer fossilen Heizung gegen eine Wärmepumpe oder eine holzbefeuerte Anlage unterstützt, ebenso der Anschluss ans Fernwärmenetz oder an einen lokalen Wärmeverbund.
- Warmwasseraufbereitung: Vielerorts gefördert werden thermische Solaranlagen und der Ersatz von Elektroboilern durch Modelle mit einer Wärmepumpe.
- Stromerzeugung: Einfamilienhausbesitzer erhalten beim Bau einer Fotovoltaikanlage schweizweit eine Einmalvergütung. Dazu kommen Beiträge lokaler Energiedienstleister.
- Haushaltsgeräte: Einzelne Gemeinden und Dienstleister unterstützen den Kauf von Haushaltsgeräten aus der Liste von www.topten.ch.
Links:
- Programm «Erneuerbar heizen», Bundesamt für Energie: www.erneuerbarheizen.ch
- Programm «Energie Schweiz», Bundesamt für Energie: www.energieschweiz.ch
- Gebäudeprogramm: www.dasgebaeudeprogramm.ch
- Online-Marktplatz für gebrauchte Bauteile: www.bauteilclick.ch
- Projekt «Nest» der Empa: www.empa.ch