Das geerbte Haus ging zum halben Preis weg
Ein Ehepaar braucht Geld, um den behinderten Sohn zu betreuen. Es erbt ein Haus – und muss es weit unter Wert verkaufen. Schuld ist ein Planungsstau bei der Gemeinde Klosters-Serneus.
Ein kauziger Kerl sei er gewesen, der Heinz. Hört man im Dorf. Selbst seine Angehörigen finden das. Aber alle sagen: einer mit dem Herz am rechten Fleck.
Einen letzten Beleg dafür lieferte er kurz vor seinem Tod. Heinz Roffler vererbte seinem Bruder ein altes Wohnhaus in Serneus in der Nähe von Klosters GR. Die Liegenschaft mit Umschwung sollte für Martin Roffler, 65, und seine Frau Rita, 63, eine Absicherung fürs Alter sein. Martin Roffler, früher Pöstler, leidet an einer chronischen Lungenkrankheit. Michael, der jüngere der beiden Söhne, ist mehrfach behindert. Hohe Gesundheitskosten drücken die Familie, längst nicht alles ist von der Versicherung gedeckt.
Speziell an der Erbschaft war, dass sie an ein ideelles Vermächtnis geknüpft war: «Meinem Schwager lag viel daran, dass wir uns weiterhin selber um unseren Sohn kümmern können, obwohl wir finanziell kaum Reserven haben», sagt Rita Roffler.
Das geerbte Gebäude zu behalten, war deshalb keine Option – auch weil eine Erbschaftssteuer über mehrere zehntausend Franken fällig war. Deshalb brauchten die Rofflers zunächst einmal Bares. Also: Verkauf .
Das 120 Jahre alte Holzhaus ist baufällig und im gegenwärtigen Zustand unbewohnbar. Aber die schöne Aussicht und die Nähe zu den Skigebieten von Klosters und Davos machen das Haus zu einem Liebhaberobjekt, das einiges Marktpotenzial hat, wenn es renoviert ist. Der amtliche Schätzwert der Liegenschaft mit Garten und Wiesland liegt bei vorsichtigen 398'000 Franken. Im letzten Frühjahr ging das Roffler-Haus jedoch an eine Familie aus dem Unterland – für bloss 225'000 Franken. Heinz’ Hinterlassenschaft, die die Familie entlasten sollte, hatte sich beinahe halbiert.
Das weckt bei Rita Roffler auch jetzt noch Emotionen. «Wir haben unser behindertes Kind immer zu Hause behalten und dem Staat dadurch Geld gespart», sagt sie. «Das wollen wir auch weiterhin tun. Aber der gleiche Staat wirft uns Knüppel zwischen die Beine.» In einem Brief an die Behörden, im Zorn verfasst, schrieb sie: «Welche Rechtfertigung von staatlicher Seite gibt es für den legalisierten Diebstahl von Privateigentum?»
Den «Staat» vertritt im vorliegenden Fall einerseits die Denkmalpflege Graubünden. Sie stufte das kleine Wohnhaus in Serneus als «vorläufig geschützte Baute» ein – wenn auch vage und mit Vorbehalten. Das Gebäude habe «einen gewissen kulturhistorischen Wert», erläuterte die kantonale Fachstelle im Oktober 2018. Wegen der «maroden Bausubstanz» müsse man jedoch prüfen, ob ein Erhalt überhaupt möglich sei.
Der zweite Player im Spiel ist die Gemeinde Klosters-Serneus. Sie begann 2010 mit der Totalrevision der Ortsplanung. Wann das verschachtelte Planungswerk in Kraft tritt, ist bis heute offen.
Die Krux: Solange diese Revision nicht abgeschlossen ist, so lange gilt der provisorische Status, wonach das Gebäude umfassend geschützt ist. Erst wenn die Gemeinde wieder eindeutige, gesetzlich verankerte Vorschriften im Baubereich hat, kann sie die Schutzwürdigkeit des Hauses rechtsgültig einstufen. Erst dann kann man konkrete Massnahmen für die Zukunft des altersschwachen Hauses einleiten – Erhalt, Abbruch oder Umgestaltung.
Eine Blockade ohne absehbares Ende: In dieser Konstellation eine Liegenschaft zu veräussern, ist keine gute Idee. Das Ehepaar Roffler hatte aber wegen seiner finanziellen Verpflichtungen keine andere Wahl. Tatsächlich sprangen während der Verkaufsgespräche zahlungskräftige Interessenten wieder ab, der Preis zerfiel bis fast auf die Hälfte des Schätzwerts .
«So werden solche Liegenschaften zu reinen Spekulationsobjekten», sagt Hans Peter Kocher, der die Familie Roffler bei der Aufarbeitung des Falls unterstützt. Der Anwalt, selber ein Klosterser, kritisiert vor allem die «endlos lange» Dauer der Ortsplanungsrevision. «Eine Rechtsunsicherheit über eine solche Zeit ist rechtsstaatlich unerwünscht und fragwürdig.»
Als Klosters-Serneus vor zehn Jahren mit der Ortsplanungsrevision begann, wurden Planungszonen festgesetzt und inzwischen mehrfach verlängert. Dieses Instrument kommt zum Zug, wenn eine kommunale Nutzungsplanung abgeändert wird. Bauten werden dann nur noch bewilligt, wenn sie die vorgesehene Neuordnung nicht beeinträchtigen. Als Folge gibt es einen beträchtlichen Ermessensspielraum, wie die Regelungen fürs Bauen angewendet werden. Das stellt gemäss Raumplanungsrecht «einen Eingriff in die Eigentumsgarantie» dar.
Das ist der Grund, warum Planungszonen nach bundesrechtlicher Vorgabe für längstens fünf Jahre festgesetzt werden dürfen. Allerdings steht es den Kantonen frei, Verlängerungen zuzulassen. Graubünden nutzt diese Option weidlich aus.
So sind die Rofflers ohne eigenes Verschulden in einen Konflikt geraten, in dem ihre Interessen mit dem Rahmen kollidieren, den die Instanzen des Staates setzen: etwas, das es hundertfach gibt und das oft ein ungutes Gefühl nährt, «denen da oben» machtlos ausgeliefert zu sein.
Auch die Fragen des Beobachters werden nicht von einem politischen Entscheidungsträger der Prättigauer Gemeinde beantwortet, sondern in deren Auftrag von einem Planungsbüro in Chur. Die unüblich lange Dauer der Ortsplanungsrevision erklärt es damit, dass durch übergeordnete Gesetzgebungen wiederholt Änderungen nötig wurden, etwa durch das Inkrafttreten des Zweitwohnungs- oder des Raumplanungsgesetzes . Auch die 2016 erfolgte Fusion mit der Gemeinde Saas habe die Ausgangslage verändert und zu Verzögerungen geführt.
Herausgestrichen wird aber: Trotz laufender Revision «wäre eine Instandstellung des Gebäudes jederzeit möglich gewesen». Um die baulichen Möglichkeiten abzuklären, hätte es aber vorgängig ein Gutachten durch die Denkmalpflege gebraucht.
Hans Peter Kocher, der Anwalt der Rofflers, hält dagegen. Eine Einschätzung der Denkmalpflege gebe es bereits. Doch sie sei derart rudimentär ausgefallen, dass sie keine substanzielle Grundlage für baurechtliche Entscheidungen sein könne. «Die Möglichkeit, mittels denkmalpflegerischer Beurteilung zu einer Baubewilligung zu kommen, ist somit höchstens theoretisch.» In der Praxis bedeute die Einstufung «vorläufig schützenswert» eine Bausperre. «Faktisch werden dadurch die Eigentümerrechte ausgehebelt», so Anwalt Kocher.
Klosters-Serneus dreht den Spiess um und beruft sich auf höhere öffentliche Interessen. «Die Gemeinde gewichtet den Erhalt oder den Schutz der historischen Bausubstanz stärker als die privaten Interessen einer möglichst hohen Rendite.» Der Seitenhieb gegen die Familie Roffler ist unverkennbar. Heinz Rofflers wohlmeinendes Vermächtnis ist zum rhetorischen Spielball geworden.