Was hat die IV zu verbergen?
Fachleute kritisieren seit langem: Psychiatrische IV-Gutachter sind befangen, weil sie von der IV abhängig sind. Nun könnte das Parlament für etwas Transparenz sorgen.
Veröffentlicht am 6. Dezember 2019 - 12:21 Uhr
Bei gewissen Gutachtern könne er bereits im Voraus sagen, was in ihren Berichten stehen wird, sagt der Zuger Patientenanwalt Rainer Deecke. Nämlich: «Dass der Patient nichts hat und keine relevante Arbeitsunfähigkeit vorliegt.»
Es gebe schwarze Schafe unter den Gutachtern der Invalidenversicherung. Das wisse jeder, der in diesem Bereich tätig sei. «Wenn sie selber betroffen wären, würde sich kein Versicherungsrichter und auch niemand von der IV freiwillig einer Begutachtung bei gewissen einschlägig bekannten Gutachtern unterziehen.»
Einige wenige Gutachter erhalten den Grossteil der IV-Aufträge, machte der «Sonntags-Blick» unlängst publik. 10 Prozent der Gutachter erstellen demnach 73 Prozent aller Expertisen. Bis zu drei Millionen Franken haben einzelne Psychiater in wenigen Jahren mit Gutachten verdient – und sind damit wirtschaftlich in hohem Mass von der IV abhängig.
Die IV wiederum hat ein grosses Interesse, wenig Renten zu sprechen, weil sie unter Spardruck steht. Da liegt die These nicht fern: Die Versicherung bevorzugt bei der Vergabe Gutachter, die tendenziell gegen die Versicherten und zugunsten der IV urteilen.
Beweisen lässt sich diese Vermutung allerdings bis heute nicht, denn es gibt keine Statistiken über die Vergabe der Aufträge und die jeweils attestierte Arbeitsunfähigkeit. Das Gutachterwesen ist für Aussenstehende eine Blackbox. Gespräche werden nicht protokolliert, niemand weiss, nach welchen Kriterien Aufträge vergeben werden. Versicherte sind den Experten ausgeliefert, und Anwälte haben kaum Möglichkeiten, Gutachten anzufechten .
Das soll sich zumindest teilweise ändern. Die Gesundheitskommissionen von National- und Ständerat verlangen, dass künftig wenigstens Statistiken geführt und die Gespräche aufgezeichnet werden sollen. Am 10. Dezember entscheidet das Parlament über diesen Vorstoss.
«Ich finde solche Statistiken unabdingbar», sagt Thomas Ihde, IV-Gutachter und psychiatrischer Chefarzt der Berner Oberländer Spitäler. «Transparenz hilft mir als Gutachter bei der Arbeit. Wenn ich merke, ich beurteile viel milder oder strenger als der Schnitt meiner Arbeitskollegen, muss ich über die Bücher.» Bislang sperre sich die IV gegen diese Transparenz. «Da frage ich mich schon: Was hat sie zu verbergen?»
3 Millionen Franken haben einzelne Psychiater in wenigen Jahren mit Gutachten verdient.
Manchmal entscheidet eine halbe Stunde über ein Leben. So kurz dauern manche Begutachtungen von Versicherten, die wegen Depressionen eine Invalidenrente beantragen
. «Es gibt erhebliche Qualitätsunterschiede bei den Gutachten», kritisiert der Patientenanwalt Rainer Deecke. Der Fehler liege im System: Belohnt werde heute nicht der seriös arbeitende Experte, der sich Zeit nimmt und allenfalls mehrere Termine ansetzt. Sondern es würden jene Gutachter belohnt, die ihre Berichte mittels Copy-Paste-Verfahren erstellen und sich wenig Zeit für die Befragung nehmen.
«Die Zahlen in den Medien zeigen klar: Es gibt Psychiater, die als Gutachter bis zu fünfmal mehr verdienen, als wenn sie therapeutisch tätig wären», sagt Chefarzt Thomas Ihde. Wenn sie nur als Gutachter tätig seien, bestehe die Gefahr, dass sie den Bezug zur Realität von psychisch Erkrankten verlieren. «Das sind dann Gutachter, die die Latte für eine Arbeitsunfähigkeit enorm hoch ansetzen.»
Hinzu kommt: Wenn eine Expertise einmal erstellt ist, lässt sie sich kaum mehr anfechten. «Die Gerichte halten an der Fiktion fest, dass diese Gutachter neutral sind, obwohl viele von ihnen von der IV wirtschaftlich vollständig abhängig sind», sagt Anwalt Rainer Deecke. Die Justiz, das Bundesamt für Sozialversicherungen und das Parlament hätten jahrelang Augen und Ohren davor verschlossen und nichts unternommen, um das Problem anzugehen.
In der kommenden Wintersession wird das Parlament nun entscheiden, ob die Versicherten etwas mehr Transparenz erhalten. Eine Minderheit von FDP- und SVP-Nationalräten hat sich zwar gegen die Tonbandaufzeichnungen gestellt. Trotzdem ist alt FDP-Ständerat Joachim Eder zuversichtlich, dass die geplanten Änderungen durch das Parlament kommen werden. «Die Forderungen sind angemessen und verhältnismässig», sagt Eder, der bis Anfang Dezember Präsident der ständerätlichen Gesundheitskommission war.
Es sind allerdings nur Minimalforderungen, die im Parlament zur Debatte stehen. Fachleute fordern Massnahmen gegen willkürliche und einseitige Beurteilungen, die viel weiter gehen. «Ein erster Schritt wäre, die Aufträge nach dem Zufallsprinzip zu vergeben und eine Obergrenze pro Gutachter einzuführen», sagt Patientenanwalt Rainer Deecke.
Chefarzt Thomas Ihde, der auch als Präsident der Stiftung Pro Mente Sana wirkt, sieht die kantonalen psychiatrischen Dienste in der Pflicht. «Wir brauchen einen grösseren Pool an Experten.» Die IV halte an umstrittenen Gutachtern fest, weil es allgemein zu wenige gebe. «Öffentliche Dienste sollte man verpflichten, Gutachter zu stellen und auszubilden.» Auch Zweitgutachten würden die Verfahren fairer machen. «Wenn die Diskrepanz zwischen dem Urteil des behandelnden Arztes und dem des Gutachters zu gross ist, müsste es ein Zweitgutachten geben.»
Hat jemand Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung, wird abgeklärt, zu welchem Grad der Anspruch besteht. Das IV-Verfahren ist sehr komplex und kann sich über eine längere Zeit ziehen, was viele verunsichern und frustrieren kann. Erfahren Sie als Beobachter-Mitglied, wie die IV vorgeht, wenn Sie sich für eine Rente anmelden und was Sie tun können, wenn Sie einen Entscheid anfechten wollen.
IV - Was steht mir zu?
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5 Kommentare
Es ist unglaublich was für Missstände es in diesem Land gibt! Und das Parlament und die zuständigen Behörden tun nichts, weil sie direkt/indirekt von diesen Zuständen profitieren! Man müsste endlich Gutachter anzeigen und rechtlich verfolgen! Nur so kommt Bewegung in die Sache!
Dieser Meinung kann ich nur zustimmen. Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen.
Wenn Gutachter mit Klagen inkl. Schuldsprüchen zu rechnen haben wird erst dann, und erst dann mit mehrheitlich Seriösen Begutachtungen zu rechnen sein. Gleiches sollte auch bei den IV Sachbearbeitern gelten, denn dort beginnt oft das unrecht.
Hallo
Ja so geht es auch mir. Leide seit über 22 Jahren an Angst und Panikattacken. Hab auch durch die Krankheit immer gearbeitet. Seit 5 Jahren kann ich nicht mal das wenigste mehr machen. Letzten Oktober Neuropsychologin Gutachten ( Sie könne keine IQ berechnen, da ich zu wenig Leistungsbereitschaft gezeigt hätte)
Die können schreiben was Sie wollen ohne belangt zu werden.
das haben sie kurz und bündig auf den punkt gebracht. und ich denke das ewige hin und her, das jahre dauert, verschafft der ganzen maschinerie arbeit. sprich geld… richter und richterinnen spielen mit und wie hkohler vermerkt, es fängt schon bei der iv aufnahme an. mein dossier ist voll mit wahrheitswidrigkeiten, und schon zu beginn schrieb man in mein dossier: er war dort nicht in behandlung. und richter schlaumeier schrieb anmerkungen ins urteil, die mit mir und meiner person rein gar nichts zu tun haben. bewusst oder unbewusst mit dem ziel den im alter invalid gewordene schlecht zu reden. und zu guter letzt monierte die bundesrichterin, das richter schlaumeier sich auch noch beim iv grad um ca. 50% verrechnet habe.
"passt doch faustgenau auf's auge"! und trotzdem wurde mein iv rente 100% nach ca. zwei jahren nach gutsprache wieder eingestellt und die bundesrichterin, die noch den von richter schlaumeier falsch errechnete iv grad monierte, donnerte mir gerichts und anwaltskosten von ca. 17`000.- auf. so hat man mich geplündert und der gang nach strassburg wurde unmöglich. mit 57 rente gesprochen, mit 59 storniert mit anschliessender plünder nach modernem methoden eines angeblichen rechtsstaates. in tat und wahrheit "mittelatlterliches raubrittertum" mit den folgen "ab auf das sozialamt" von dem ich jetzt durchgefüttert werde bis zum ahv alter. und dies mit 59... ich habe meine diagnosen offengelegt unter dem iv bericht im beobachter"ein leben lang gearbeitet, vom gericht abgestraft". wir sind nicht mehr weit von amerika (trumpf), wir kommen, entfernt.