Joggen schützt besser als Spazieren
Anstrengende Bewegung macht das Immunsystem schlagfertiger. Welche sportlichen Aktivitäten werden empfohlen, und worauf ist zu achten?
Veröffentlicht am 9. Februar 2022 - 18:11 Uhr
Spazieren gehen reicht aus, Hauptsache, Bewegung – das war viele Jahre das Mantra von Ärzten und Gesundheitswissenschaftlern, wenn es darum ging, Empfehlungen zur körperlichen Aktivität zu geben.
Kaum von der Öffentlichkeit bemerkt hat in den vergangenen Jahren aber ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt jetzt auf der Basis einer grossen Analyse der Studien zum Thema Bewegung und Gesundheit: Es sollte anstrengend sein.
«Für Menschen ohne grössere gesundheitliche Probleme hat es durchweg positive Effekte, wenn sie sich stärker anstrengen, als bloss spazieren zu gehen», sagt Michael Leitzmann, Professor für Epidemiologie und Präventivmedizin an der Uni Regensburg und Mitautor der WHO-Leitlinie zur Bewegung. «Joggen, Schwimmen oder anstrengendes Wandern zum Beispiel verändern Blutwerte derart, dass das Immunsystem schlagfertiger wird.»
Moderate Intensität – was heisst das?
Die neue Leitlinie empfiehlt allen Erwachsenen, jede Woche mindestens 150 bis 300 Minuten aktiv zu sein. Gemeint sind damit Aktivitäten von moderater bis hoher Intensität. Doch was bedeutet das für den Alltag?
«Als moderate Intensität gilt, wenn man die Anstrengung ein wenig spürt, etwa den Pulsschlag», erklärt Leitzmann. «Sobald man dagegen ins Schwitzen kommt, sich nicht mehr ungestört unterhalten kann, weil man ausser Atem ist, befindet man sich bereits auf dem intensiven Niveau.»
Wer sich mehr anstrengt, braucht weniger Zeit, um die gleichen positiven Effekte zu erzielen. «Wenn man sich länger als 150 Minuten in intensiver Aktivität bewegt, dann bringt das kaum noch zusätzliche gesundheitliche Vorteile», sagt Leitzmann.
Hinweise, dass auch Krafttraining dem Immunsystem guttut
Neu ist, dass die WHO zusätzlich auch Krafttraining von mindestens moderater Intensität empfiehlt, das alle wichtigen Muskelgruppen umfasst. Davon profitieren besonders auch ältere Menschen , weil es dem normalen körperlichen Abbau entgegenwirkt und die Immunzellen mit den Jahren immer weniger gut funktionieren. «Es gibt Hinweise, dass Krafttraining dem Immunsystem guttut», sagt Philipp Zimmer, Professor am Institut für Sport und Sportwissenschaft an der Technischen Universität Dortmund. «Allerdings ist diese Thematik kaum erforscht – und heute gibt es viele Sportarten, die Kraft- und Ausdauertraining verbinden.»
Es gehört zum normalen Alterungsprozess, dass Immunzellen mit den Jahren immer weniger gut funktionieren. Insbesondere sogenannte T-Zellen, die von Viren befallene Körperzellen abtöten. «Hat eine Person viele dieser erschöpften T-Zellen, die nur sehr eingeschränkt funktionieren, sind schwere Infektionsverläufe häufiger», sagt Karsten Krüger, Professor für Sportphysiologie an der Uni Giessen und Chefredaktor des Fachjournals «Exercise Immunology Review».
Durch regelmässigen Sport lässt sich das ändern, wie eine kürzlich publizierte Metaanalyse von Forscherinnen und Forschern der Freien Universität Brüssel nahelegt. «Er verringert vor allem den Anteil der gealterten T-Zell-Typen», erklärt Karsten Krüger. «Die Zahl der naiven T-Zellen erhöht sich.» Naive T-Zellen lassen sich durch neue Antigene aktivieren und können so Erreger bekämpfen, die für den Körper bis zu dem Zeitpunkt unbekannt waren.
Studien mit sehr vielen Teilnehmenden aus der Zeit der Corona-Pandemie unterstützen die These. Menschen, die sich mindestens 150 Minuten pro Woche körperlich betätigt hatten, hatten ein weniger als halb so hohes Risiko, ins Spital eingewiesen zu werden, als jene, die inaktiv waren. Das ergab eine Studie aus Kalifornien, die fast 50'000 Teilnehmer umfasste. «Man sollte daraus aber nicht ableiten, dass Sport wirkungsvoll vor Corona schützt», sagt Leitzmann. «Die Impfung kann man dadurch keinesfalls ersetzen.»
Sport kann die Alterung des Immunsystems zumindest teilweise zurückdrehen. Im vergangenen Jahr zeigten Forscher der renommierten Mayo Clinic in Rochester, USA, erstmals beim Menschen, dass Sport die Menge an verschiedenen Proteinen reduziert, die charakteristisch für eine Alterung des Immunsystems sind. Ein zwölfwöchiges Trainingsprogramm hatte dafür ausgereicht. «Ein aktiver Lebensstil hält das Immunsystem bis ins Alter jünger», sagt Krüger. «Auch bei jüngeren Menschen reduziert Sport chronische Entzündungsprozesse », sagt Leitzmann.
Tipp: Kontinuierlicher Trainingsaufbau mit individuellem Programm
Ratsam ist für Sportmuffel allerdings, nicht mit zu hoher Intensität zu beginnen und eine Form zu finden, die Spass macht
. Ein individuell zugeschnittenes Sportprogramm kann den Vorsatz, sich kontinuierlich zu bewegen, erleichtern.
Allerdings: «Wenn man einen Infekt hat, sollte man auf keinen Fall Sport treiben», sagt Philipp Zimmer. Eine deutlich erhöhte Herzaktivität könne je nach Erreger eine potenziell lebensbedrohliche Herzmuskelentzündung nach sich ziehen.
Und Karsten Krüger rät: «Ich würde nicht morgens vor dem Frühstück Sport machen, denn sowohl die Muskulatur als auch die Immunzellen brauchen Energie.» Diese Konkurrenzsituation könne dazu führen, dass ein Erreger im Körper die Überhand gewinne, sich vermehre und dann einen Atemwegsinfekt verursache.
Sportliche Aktivitäten mit moderater Intensität
- Spaziergang, etwa mit Hund
- Velofahren
- Gymnastik, Hatha-Yoga
- Basketball (Körbe werfen)
- Klassisches Skifahren auf der Piste
- Schwimmen (entspannt)
- Schneeschaufeln (leichter Schnee)
- Holzsägen mit der Motorsäge
Sportliche Aktivitäten mit hoher Intensität
- Schnelles Nordic Walking, Bergsteigen
- Velofahren ab 16 km/h, biken
- Gymnastik mit Liegestützen, Kniebeugen und Ähnlichem , Power-Yoga
- Ballsportarten im Team
- Tiefschneefahren, Tourenski, Langlauf
- Schwimmen (auf Zeit)
- Schneeschaufeln (schwerer Schnee)
- Holzsägen mit Handsäge
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