«Der Fokus auf das Negative stört mich»
Isabel Maurer findet, dass es schon genug schlechte Nachrichten gibt. Die Aargauerin will lieber wissen, was die Leute glücklich macht – mit einem Glücksbarometer.
Aufgezeichnet von Sarah Berndt:
Anfang Dezember erscheint das jährliche Sorgenbarometer, und es klingt immer ähnlich: Die Schweizerinnen und Schweizer haben Angst um ihre Altersvorsorge, ihre Arbeitsplätze, um ihre Gesundheit, vor Ausländern und Flüchtlingen– in wechselnder Reihenfolge.
Das stört mich, schon lange. Dieser Fokus auf das Negative. Mich nervt, dass es so viele Nörgler gibt. Damit meine ich nicht die, die wirklich einen Grund haben, denen es schlecht geht. Sondern die, die auf der Sonnenseite stehen.
Darum erstelle ich jetzt ein Glücksbarometer. Quasi als Gegenentwurf. Um zu zeigen, was die Leute zufrieden macht. Was sie zuversichtlich stimmt. Und wie sie Glück definieren .
Erschreckend oft heisst es «Das habe ich mir noch nie überlegt» oder «ou, schwierige Frage».
Dabei haben wir doch allen Grund, glücklich zu sein, gerade hier in der Schweiz. Deshalb wollte ich auch keine Umfrage starten, die statistischen Kriterien genügt, sondern mit persönlichen Begegnungen etwas anstossen. Mit vier Kollegen habe ich 301 Personen interviewt, auf der Strasse, in der Schule, im Gemeinderat unseres Dorfes, im Naturama. Wenn alle Befragten das drei, vier anderen weitererzählen, sind das schon 1000 Leute, die über ihr Glück nachdenken.
Jedenfalls: Am glücklichsten macht die Leute «die Familie», gefolgt vom «Zusammensein mit Freunden», «Gesundheit», «Natur, Wald , Garten» und «Kinder, Enkelkinder».
Geld, Konsum, Besitz hat kaum jemand genannt – solange genug da ist, um ins Kino zu gehen oder mit Freunden einen Kaffee zu trinken. Sich zu engagieren hilft, im Verein, in der Nachbarschaft, für eine gute Sache. Glück hat auch mit Solidarität zu tun. Man ist glücklicher, wenn man weiss, dass es anderen gut geht.
Am Anfang hat mich extrem überrascht, wie viele sagten, dass die Klimademos , das Engagement der Jungen, ihnen Zuversicht geben. Aber die Wahlen haben diese Tendenz ja bestätigt. Die eigenen Kinder geben ebenfalls Zuversicht. Ausserdem das gute System in der Schweiz – Altersvorsorge inklusive.
Die Leute definieren Glück sehr verschieden. Für die einen ist es die Freiheit, zu tun, was man will. Für andere ist es Glück, wenn die anderen glücklich sind. Beeindruckt hat mich die Antwort einer jungen Seconda: «Dass es mich gibt.» «Durchschlafen », sagte eine junge Mutter. Und ein Teenager: «Glück ist, wenn man denkt, es ist unmöglich, und es dann trotzdem schafft.»
Die meisten beschreiben Glück als Zufriedensein, Sattsein, Sich-gut-Fühlen. Das Glück sind dann herausragende Momente wie Hochzeiten und Geburten.
«Es hilft, jeden Abend drei Dinge zu notieren, die einen gefreut haben.»
Isabel Maurer, Coach
Ich selbst habe gerade ein Jubeljahr voller solcher Höhepunkte. Den 50. Geburtstag habe ich festlich gefeiert, wurde gewürdigt für 20 Jahre als Coach für Arbeitssuchende, war auf Reisen, habe eine schöne Beziehung
, bin gesund.
Von zu Hause habe ich viel Zufriedenheit mitbekommen. Und Humor. Ich geniesse gern, höre gern zu, bin eine Sammlerin und am zufriedensten, wenn ich Projekte realisiere. Ich habe auch schon Bücher illustriert. Und ein Glücksbüro gegründet.
Ich bin es gewohnt, zuzuhören. Und es geht oft um einen kleinen Moment , in dem man einhaken kann, damit es wieder aufwärts geht. Dorthin will ich die Aufmerksamkeit lenken. Es hilft schon, wenn wir uns jeden Abend drei Dinge notieren, die uns gefreut haben und die uns gelungen sind. Oft braucht es echt nicht viel, damit es einem wieder besser geht.