Ein Raub und seine Folgen
Ein Betrunkener raubt einer Frau die Tasche. Er wird erwischt, und die Mühlen der Justiz laufen an. Was bedeutet das genau?
aktualisiert am 19. Dezember 2023 - 09:30 Uhr
Walter Wolf ist alkoholisiert und wieder mal pleite. Kurzerhand schleicht er sich von hinten an eine Frau heran und greift nach ihrer Handtasche. Doch die 82-jährige Helène Henne lässt nicht los. Wolf reisst so stark, dass die Tasche kaputtgeht und die Seniorin zu Boden gerissen wird. Dabei verletzt sie sich an der Hüfte. Der Täter flüchtet mit der Tasche. Darin befindet sich eine wertvolle Uhr, die Helène Henne für ihre Freundin Greta Gans von der Reparatur abgeholt hat. Hans Has und seine elfjährige Tochter Hanna haben aus der Ferne alles beobachtet. Vier Stunden später wird Walter Wolf von der Polizei aufgespürt. Nun läuft die Untersuchung an . Wer hat dabei welche Rolle?
Der Beschuldigte
Walter Wolf steht unter dringendem Verdacht, Helène Henne ausgeraubt zu haben. Er wird als Beschuldigter befragt.
- Er hat das Recht auf einen Anwalt der ersten Stunde, darf also schon zur ersten Befragung einen mitbringen. Wenn Wolf belegen kann, dass er zu wenig Geld hat, aber einen Anwalt braucht – etwa weil der Fall zu komplex für ihn ist –, schiesst der Staat das Geld vor.
- Als Beschuldigter muss sich Wolf nicht selbst belasten. Die Staatsanwältin muss ihn darüber informieren, dass er nicht aussagen muss. Tut sie das nicht, darf das Gesagte nicht als Beweis verwertet werden. Wenn Wolf schweigt, darf ihm daraus kein Nachteil entstehen.
- Es gilt die Unschuldsvermutung. Das heisst, dass Wolf als unschuldig gilt, bis er rechtskräftig verurteilt wird.
- Spätestens nach der ersten Einvernahme darf Wolf die Akten einsehen.
Das Opfer
Helène Henne gilt als Opfer, da sie in ihrer körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt worden ist.
- Zudem kann Henne sich als Privatklägerin aufstellen. So kann sie etwa verlangen, dass im Strafverfahren auch gleich über ihre zivilrechtlichen Ansprüche entschieden wird. Das heisst: Sie kann Schadenersatz geltend machen, etwa für die Tasche und ungedeckte Arztkosten.
- Auch Helène Henne muss der Staatsanwältin Rede und Antwort stehen. Sie wird dabei als Zeugin oder, wenn sie sich als Privatklägerin aufstellt, als Auskunftsperson befragt.
- Als Opfer hat Henne besondere Rechte. Sie darf etwa eine Vertrauensperson zu den Einvernahmen mitnehmen oder kann beantragen, dass sie dem Beschuldigten nicht begegnen muss.
Der Zeuge
Hans Has ist Zeuge, weil er die Tat als Aussenstehender wahrgenommen hat.
- Da Hans Has urteilsfähig und älter als 15 Jahre ist, gilt er als zeugnisfähig.
- Als Zeuge wird er von der Staatsanwältin vorgeladen und befragt. Er muss erscheinen und die Wahrheit sagen. Wenn er wissentlich und willentlich falsch aussagt, macht er sich strafbar. Auf diese Pflicht muss die Staatsanwältin hinweisen, sonst ist die Einvernahme ungültig.
- Als Zeuge hat Hans Has kein Recht, die Aussage zu verweigern . Das dürfen nur bestimmte, gesetzlich genannte Personen, etwa Ehegatten eines Beschuldigten. Bei schweren Straftaten gibt es gar kein Zeugnisverweigerungsrecht.
- Has hat Anspruch auf eine angemessene Entschädigung für Erwerbsausfall und Spesen.
Die Auskunftsperson
Hanna Has ist erst elf. Damit ist sie gemäss Gesetz nicht zeugnisfähig. Weil sie aber dennoch etwas zur Aufklärung beitragen könnte, wird sie als Auskunftsperson befragt. Als solche wird man in der Regel einvernommen, wenn man nicht als Zeuge in Frage kommt. Das können auch Personen sein, die etwas mit der Tat zu tun haben könnten oder als Privatkläger aktiv werden.
- Hanna Has ist nicht verpflichtet auszusagen. Das gilt grundsätzlich für alle Auskunftspersonen – bis auf jene, die als Privatkläger auftreten.
- Wenn Hanna aber etwas sagt, muss sie sich an die Wahrheit halten.
Die Polizei
Die Polizei führt die ersten Ermittlungen durch. Danach leitet sie ihre Erkenntnisse an die Staatsanwältin weiter.
Die Staatsanwältin
Esther Euler ist die zuständige Staatsanwältin und leitet die Ermittlung. Sie eröffnet eine Untersuchung, da sie – gestützt auf die Informationen der Polizei – davon ausgeht, dass Walter Wolf Helène Henne überfallen hat.
- Eulers Auftrag ist, die mutmassliche Tat aufzuklären und zu verfolgen.
- Dazu befragt sie alle, die ihr dabei helfen könnten. Ausserdem lässt sie Wolfs Haus durchsuchen.
- Wenn die Staatsanwältin nach der Untersuchung Wolf immer noch verdächtigt, Henne ausgeraubt zu haben, erhebt sie Anklage beim zuständigen Gericht. Es sei denn, Wolf sei geständig und die Staatsanwältin halte eine kleinere Strafe für ausreichend. Dann kann sie einen Strafbefehl erlassen.
Beobachter-Mitglieder sehen in der Mustervorlage «Erklärung der Privatklägerschaft», wie sie das Formular ausfüllen können, wenn sie als Zivilkläger im Strafverfahren allfällige Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche geltend machen wollen.
Das Gericht
Das Gericht entscheidet über Schuld- oder Freispruch, sofern die Staatsanwältin Anklage erhebt.
Der Strafverteidiger
Fritz Frosch wurde von Walter Wolf als Rechtsanwalt beauftragt.
- Die Aufgabe von Fritz Frosch ist es nun, seinen Mandanten Walter Wolf möglichst gut zu beraten und zu verteidigen. Er muss dabei sorgfältig und professionell vorgehen.
- Am besten klärt er vor der Übernahme des Mandats darüber auf, dass sein Stundensatz 300 Franken beträgt.
- Frosch ist ans Anwaltsgeheimnis gebunden . Wenn er Informationen preisgibt, die ihm Wolf anvertraut, macht er sich strafbar.
Die Privatklägerin
Greta Gans' wertvolle Uhr ist nach dem mutmasslichen Raub nicht mehr auffindbar. Darum hat sie Anspruch auf Schadenersatz als Privatklägerin. Gans hat verlangt, dass das Strafgericht auch gleich darüber entscheidet, ob Walter Wolf ihr Ersatz für die verschwundene Uhr zahlen muss.
- Als Privatklägerin wird Gans zur Partei im laufenden Strafverfahren. Als solche hat sie zum Beispiel das Recht, die Akten einzusehen.
- Wenn die Staatsanwältin sie befragen will, wird Greta Gans zur Auskunftsperson. Sie ist als Privatklägerin zur Aussage verpflichtet.
Der Sachverständige
Bernd Bock ist Rechtsmediziner. Staatsanwältin Euler hat ihn damit beauftragt, die Blutalkoholkonzentration des Beschuldigten zum Zeitpunkt der Tat einzuschätzen. So kann sie beurteilen, ob und wie stark Wolfs Schuldfähigkeit vermindert war.
- Bernd Bock ist verpflichtet, sorgfältig und nach bestem Wissen und Gewissen ein Gutachten zu erstellen. Wenn er das bewusst nicht tut, macht er sich strafbar.
- Als Sachverständiger untersteht Bock der Geheimhaltungspflicht.
Deuten Anzeichen darauf hin, dass ein Straftatbestand erfüllt ist, leitet die Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung ein. Mitglieder des Beobachters erfahren, wie ein solches Verfahren abläuft und welche Rechte Beschuldigte haben, wenn ihnen etwa eine Untersuchungshaft, eine Beschlagnahmung oder eine Hausdurchsuchung droht.