Hilft dieses Konzept gegen das Klima-Dilemma?
Ein Konzept aus Grossbritannien – das sogenannte Klimagespräch – verspricht Menschen Unterstützung, die mit dem Thema Klimawandel überfordert sind. Ein Selbsttest.
Veröffentlicht am 4. Februar 2020 - 15:25 Uhr
Wir starten im Laden. «Denk an die Nahrungsmittel, die du letzte Woche gekauft hast. Warum hast du sie gekauft? Worin hast du sie transportiert? Was ist damit seither passiert? Gab es Reste? Wo sind diese jetzt? Im Abfall? Im Kompost? Geh jetzt weiter ins Wohnzimmer. Schau dir die Möbel an. Wann hast du sie gekauft? Welches ist dein Lieblingsmöbel? Was hast du lange nicht mehr benutzt?»
Michel Eggers Stimme hat etwas Monotones, wenn er langsam Raum für Raum durch die Wohnung führt. Ich sitze mit geschlossenen Augen in einem Sitzungszimmer des Hilfswerks Brot für alle in Bern, stelle mir mein Zuhause vor und sehe plötzlich Dinge, die ich im Alltag kaum beachte. Die Garage mit den sieben Velos. Die drei Zelte im Estrich, die höchstens ein paar Tage im Jahr im Einsatz sind. Oder die fünf Reihen Weinflaschen im Keller.
Der virtuelle Rundgang durch die Wohnung ist Teil eines sogenannten Klimagesprächs. Das Konzept stammt aus Grossbritannien, hat sich in der Romandie bewährt, jetzt bringen es Brot für alle und Fastenopfer in die Deutschschweiz. Die beiden kirchlichen Organisationen engagieren sich schon länger gegen den Klimawandel – unter anderem als Teil der Klima-Allianz Schweiz.
Michel Egger von Brot für alle und Dorothée Thévenaz Gygax von Fastenopfer leiten die ersten Kurse. Sechs Gesprächsrunden à zwei Stunden, bei denen Interessierte in kleinen Gruppen über ihr Verhalten in Zeiten des Klimawandels nachdenken, diskutieren und sich ermutigen. Im Vordergrund stehen Themen wie Konsum, Ernährung, Mobilität, Wohnen. Das Bundesamt für Umwelt unterstützt das Projekt finanziell.
Die «Carbon Conversations», wie die Gesprächsreihe ursprünglich heisst, wurden in den nuller Jahren von der Psychotherapeutin Rosemary Randall und vom Ingenieur Andy Brown entwickelt. Der Grundgedanke: Ein Einzelner wird angesichts des Klimawandels eher in der Nachbarschaft oder in der Gemeinde Möglichkeiten, wie man das Leben besser, klimafreundlicher gestalten kann.
Selbst wenn die Klimabewegung Zehntausende auf die Strasse treibt, die Wahlen eine «Klimawahl» wurden und sich plötzlich manch einer überlegt, ob man nicht doch besser mit der Bahn reist: Die Verunsicherung ist gross. Was bringt es, mit dem Velo einkaufen zu gehen, wenn die halbe Nachbarschaft mit dem SUV Gipfeli holt? Wie komme ich aus dem Dilemma, dass ich gern Fleisch esse, Fleisch aber hohe CO2-Emissionen verursacht? Ist es umweltfreundlicher, die Zeitung gedruckt oder auf dem Tablet zu lesen? Darf ich jetzt nie mehr fliegen?
Es sind Fragen, die sich sehr viele stellen. Darauf gründen die Klimagespräche. «Menschen arbeiten gut in Gruppen zusammen», sagte Tony Herrmann kürzlich bei einem Besuch in der Schweiz. Er ist zusammen mit Pamela Candea zuständig für die Ausbildung der ersten 16 «Facilitators» in der Deutschschweiz. Facilitators – auf Deutsch etwa: Ermöglicher – leiten seit Anfang Jahr Gesprächsgruppen in der Deutschschweiz.
«Klimagespräche verfolgen keine politische Agenda. Sie sollen Leuten helfen, aus ihrer Überforderung beim Thema Klimawandel herauszufinden und selber aktiv zu werden. Die Gespräche geben ihnen eine Stimme und zeigen, wie man psychologische Barrieren überwinden kann», so Candea. Denn die meisten fühlten sich angesichts des riesigen Problems völlig ohnmächtig. «Und es gibt nur wenige Orte, wo man frei seine Ängste und Gefühle äussern kann.»
Die Gespräche bieten einen geschützten Rahmen: eine Atmosphäre, in der sich alle wohlfühlen und niemand schräg angeschaut wird, wenn er oder sie sich zu einer Klimasünde bekennt.
In der Gruppe der künftigen Facilitators, mit denen ich das Klimagespräch absolviere,wird schnell klar: So einfach lässt sich die Welt auch mit gutem Willen nicht retten, nicht einmal im Kleinen. Ein Teilnehmer hat eine Elektroheizung, die er gern ersetzen möchte; einen Ersatz kann er sich aber nicht leisten. Eine Teilnehmerin besucht zweimal im Jahr Freunde in Kuba – «das ist meine Familie, dort gehöre ich hin» –, obschon sie weiss, dass Fliegen ein Klimakiller ist. Ich persönlich esse nun mal gern ab und zu ein Kotelett, obschon ich über den ökologischen Fussabdruck bestens Bescheid weiss.
Was kann ich als Konsument konkret ausrichten?
Klimagespräche haben aber nicht bloss eine psychologische, sondern auch eine technische Komponente. Zu Beginn füllen die Teilnehmenden einen Fragebogen aus, mit dem sie ihren CO2-Fussabdruck ermitteln. Für die Zeit zwischen den Gesprächsrunden gibt es ein Begleitheft mit Hausaufgaben: So gilt es etwa, den CO2-Bedarf der eigenen Mobilität für die letzten zwölf Monate zu berechnen oder ein Essenstagebuch zu führen. Darin hält man minutiös fest, wie klimafreundlich und klimaschädlich die eingekauften Lebensmittel, deren Produktionsbedingungen, Verarbeitung, Verpackung und Transportwege sind – Einsichten via Excel-Tabellen, sozusagen.
Auch wenn sie keine politische Agenda haben, ein Ziel verfolgen die Klimagespräche doch: Die Teilnehmenden sollen erkennen, wie sie ihren CO2-Fussabdruck verringern können. Studien aus Grossbritannien zeigen, dass das funktioniert: Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten, dass sie nach den Gesprächen ihre Gewohnheiten so umgestellt hätten, dass sie wesentlich klimafreundlicher unterwegs waren.
Die Hilfswerke Fastenopfer und Brot für alle bieten Klimagespräche in verschiedenen Schweizer Städten an.
Termine und Anmeldemöglichkeiten findet man unter sehen-und-handeln.ch/klimagespraeche