So bereiten Sie sich auf die Befragung vor
Wer eine Rente will, wird eventuell zu einem medizinischen Gutachter geschickt. Was Betroffene beachten sollten.
Veröffentlicht am 28. Februar 2020 - 10:34 Uhr
Der Weg zu einer IV-Rente kann steinig sein. Manchmal dauert das Verfahren zermürbend lang – und für Betroffene ist es oft unverständlich oder löst gar Ängste aus. Vor allem wenn die IV Termine beim Gutachter anordnet. «Muss ich da wirklich hin?», fragen viele Betroffene beim Beobachter-Beratungszentrum nach. Und argumentieren: «Eigentlich reicht doch der Bericht des Hausarztes, um meine Invalidität zu beurteilen.»
Allerdings: Als versicherte Person hat man eine Mitwirkungspflicht. Man muss zwingend hingehen, sonst kann die IV aufgrund der Akten entscheiden. Behandelnde Ärzte oder der Hausarzt kennen ihre Patienten zwar vielleicht sehr gut, möchten ihnen aber auch oft so gut wie möglich helfen. Hier haben Gutachter einen anderen Blickwinkel.
Ob ein Gutachten nötig ist, hängt von der jeweiligen gesundheitlichen Einschränkung ab. Die IV-Stelle übergibt ein Dossier zunächst dem zuständigen regionalen ärztlichen Dienst (RAD) zur Abklärung . Laut Felix Seifer, RAD-Arzt in Bern, geht der Fall erst an einen Gutachter, wenn der RAD an fachliche oder Kapazitätsgrenzen stösst. Der RAD kann selbst eine Beurteilung vornehmen, falls die Akten komplett und eindeutig sind.
In komplizierteren Fällen zieht die IV Gutachter bei, etwa je einen für Psychiatrie und für Rheumatologie. Möglich sind aber auch polydisziplinäre Gutachten mit mehr als zwei berücksichtigten Fachrichtungen. Nur die vom Bund zugelassenen Medas-Stellen dürfen sie durchführen. Ein Zufallsgenerator bestimmt, welche Stelle den Auftrag erhält. Patienten dürfen zwar nicht direkt dabei mitreden , zu welchem Arzt sie wollen. Sie müssen aber auch nicht jeden x-beliebigen akzeptieren.
Zunächst wählt der RAD einen Gutachter aus und teilt das mit. Patienten können ihn dann aus persönlichen Gründen oder wegen fehlender Qualifikation ablehnen. In diesem Fall ordnet die IV ein Einigungsverfahren an. Wenn es scheitert, entscheidet die IV.
Hat jemand Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung, wird abgeklärt, zu welchem Grad der Anspruch besteht. Das IV-Verfahren ist sehr komplex und kann sich über eine längere Zeit ziehen, was viele verunsichern und frustrieren kann. Erfahren Sie als Beobachter-Mitglied, wie die IV vorgeht, wenn Sie sich für eine Rente anmelden und was Sie tun können, wenn Sie einen Entscheid anfechten wollen.
Ja. Machen Sie sich Gedanken, bereiten Sie sich mental auf den Termin vor. Folgendes können Sie sich überlegen:
- Wie haben Sie sich verändert, seit Sie die Einschränkung haben?
- Ist Ihr Tagesablauf anders? Wenn ja, inwiefern?
- Bei Schmerzen: Am besten führen Sie ein Schmerztagebuch. Wann geht es Ihnen besser? Wann schlechter? Beschreiben Sie dabei die Schmerzen konkret, etwa: «Nach drei Stunden Arbeit schmerzt das Knie, nur eine Pause im Liegen bringt Linderung.»
- Haben sich Ihr Schlafverhalten oder Ihr Tag-Nacht-Rhythmus verändert?
- Gibt es Hobbys, denen Sie nicht mehr nachgehen können?
- Wie viel Zeit brauchen Sie im Alltag für Ihre Krankheit? Was für Beeinträchtigungen sind das?
- Was hat sich im Haushalt verändert, welche Hilfe brauchen Sie?
- Was hat sich im Beruf verändert ? Was ist noch möglich? Wo sehen Sie sich in Zukunft? Wie erlebt Ihr Arbeitgeber die Veränderung?
- Fragen Sie Freunde und Bekannte, allenfalls Ihren Hausarzt: Wie haben Sie sich aus deren Sicht verändert? Hat sich Ihr Umfeld seit der Behinderung verändert? Warum?
- Welche Behandlungen, Therapien, Medikamente haben Sie in Anspruch genommen? Was hat geholfen, was nicht?
- Machen Sie sich Notizen, nehmen Sie diese an die Termine beim Gutachter mit. Sie können Ihre Gedanken offen mit ihm besprechen, Ihre Notizen allenfalls auch abgeben.
Die IV-Stelle will vom Gutachter wissen, wie es um Ihre Gesundheit steht und welche Tätigkeiten noch möglich sind. Sie erhalten diesen Fragenkatalog zusammen mit der Mitteilung, welcher Gutachter gewählt wurde. Sie können zusätzliche Fragen stellen. Besprechen Sie sie vorgängig mit dem behandelnden Arzt.
Vorgaben, was der Fragenkatalog eines Gutachters umfassen soll, finden Sie unter www.sozialversicherungen.admin.ch.
Eine Begleitperson kann nur an der Untersuchung teilnehmen, soweit es dem Gutachter sinnvoll erscheint. Die IV stellt auf Anfrage einen Dolmetscher zur Verfügung.
Seien Sie Sie selbst. Antworten Sie offen und ehrlich. Sagen Sie es klar, wenn die Untersuchung Beschwerden verursacht oder Bewegungen unmöglich sind. Fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstehen. Wiederholen Sie Aussagen, wenn Sie sich nicht verstanden fühlen.
Denken Sie daran: Der Gutachter macht auch nur seinen Job , erfüllt seinen Auftrag. Damit er das kann, müssen Sie kooperieren. Er hat Sie zuvor noch nie gesehen und kennt Ihren Fall nur aus den Akten. Darum ist es wichtig, ihn über alle Umstände zu informieren, auch wenn er nicht ausdrücklich danach fragt. Schauen Sie sich am Ende nochmals Ihre Notizen an: Haben Sie alle wichtigen Punkte mitgeteilt?
Der Gutachter hält fest, welche Vorakten er gesehen hat. Er fasst zusammen, was bisher zur Krankheit festgestellt wurde und welche Schlüsse er aus dem Gespräch zieht. Allenfalls fügt er Resultate von Untersuchungen bei.
Die IV-Stelle erwartet, dass er Ihren Gesundheitszustand beurteilt und festhält, welche Arbeit Sie verrichten können – und in welchem Umfang. Er macht Prognosen zum Gesundheitszustand und prüft, ob Therapien Besserung bringen können.
Das Gutachten muss rechtlichen und medizinischen Ansprüchen genügen, aber auch für Nichtmediziner les- und nachvollziehbar sein. Nach spätestens 90 Tagen sollte es erstellt sein.
Sie haben ein Recht auf Akteneinsicht (siehe auch Musterbrief «So verlangen Sie Akteneinsicht bei der IV»). Das heisst: Sie oder Ihre Ärzte können sich über die IV-Stelle eine Kopie des Gutachtens organisieren. Auf jeden Fall sollten Sie das Gutachten mit den behandelnden Ärzten anschauen, damit sie Ihnen helfen, die Aussagen zu verstehen und zu interpretieren.
Lesen Sie das Gutachten durch. Falls etwas für Sie nicht stimmt: Melden Sie das so rasch wie möglich der IV-Stelle. Teilen Sie es auch mit, falls Sie sich während der Begutachtung unwohl fühlten oder Sie Unzulänglichkeiten beim Gutachter festgestellt haben.
Die Kosten für das Gutachten und allfällige Reisespesen übernimmt die IV. Auch die Auslagen für eine Begleitperson werden übernommen, wenn sie aus medizinischem Anlass dabei ist.
Abklärungsmassnahmen für medizinische Begutachtungen werden künftig einheitlich geregelt. Nicht nur bestimmt der Bundesrat die Kriterien für die Zulassung von Sachverständigen und regelt die Vergabe von Gutachten. Ab 1.1.2022 wird neu auch eine ausserparlamentarische Kommission eingesetzt. Diese überwacht folgende Punkte:
- Zulassung als Gutachterstelle
- Verfahren der Gutachtenerstellung
- Ergebnisse der medizinischen Gutachten
In dieser Kommission sind neben Behörden, Gutachtern, Ärzten und Wissenschaft auch Organisationen von Patientinnen und Menschen mit Behinderung vertreten. Die Gutachter müssen zudem neu das Gespräch mit der versicherten Person mithilfe einer Audioaufnahme dokumentieren und zu den Akten nehmen, es sei denn, die versicherte Person bestimmt dies anders.
Der Dachverband der Behindertenorganisation «Inclusion Handicap» hat ausserdem eine Meldestelle aufgeschaltet. Dort können Opfer von IV-Willkür im Zusammenhang mit IV-Begutachtungen ein Online-Formular ausfüllen, um Missstände zu eruieren.
(Update vom 8.12.2021)
Sie sind Beobachter-Mitglied und nicht einverstanden mit einem Vorbescheid der Invalidenversicherung? Mit dem Musterbrief «Einwand gegen Vorbescheid der IV» erhalten Sie ein Beispiel, wie Sie sich wehren können.
13 Kommentare
Der letzte Beitrag ist zwar Älter, aber mir scheint das sich an den Gutachten nichts ändert was man hört und liest. Der Gutachter führt als Hobby auf was ich sagte was nicht mehr ginge usw. Da stehen Sachen wo ich mich frage wie er das in ca. 20min Untersuchung, resp. 15min davon nur Gespräch überhaupt beurteilen kann usw. Von der kränkenden Darstellung einiger Sätze im Bericht mal abgesehen war diese RAD Untersuchung auch aus Sicht der Neurologen wie Rheumatologin ein Skandal was dann im Bericht stand. Man lasse Berichte von Ihnen einfach aus, man sehe die folgen einer weiteren OP nicht usw. Ich habe als Grunderkrankung Morbus Bechterew und die HWS ist im oberen Teil schon 3 Wirbel versteift, jetzt müsste man die darunterliegenden Wirbel versteifen was die Neurologen machen würden, aber man den weiteren Fortgang gar nicht abschätzen kann weil auch die BWS nicht mehr die Beste ist. Aber dem RAD ist das ja egal und auf die Befragung war ich mehr als nur gut vorbereitet, wird aber komplett anders dargestellt als man es sagte, Antworten sucht man im Bericht vergebens die ich gab usw.. Es kommt auf das Gegenüber an ob überhaupt richtig zugehört wird und nicht schon eine vorgefasste Meinung und Ausgang eine Befragung überflüssig macht. Vorbereiten ja, aber am Besten keine Hoffnung machen.
Liebe Community, ich rate jedem, der zu einer Stelle geschickt wird, sich Notizen zu machen. Vieles weiss man nicht mehr.
Liebe zu Begutachtenden ;),
ich habe gerade aus erster Hand, von der IV (Kanton Bern) erfahren, dass sie sämtliche Gutachten wegen des Coronavirus verschieben werden. Die offizielle Mitteilung erfolgt in den nächsten Tagen.
Freundliche Grüsse
Dani
Man kann sich nicht vorbereiten für ein Gutachten. Ich musste wurde nach Bern beordert und als dieses Gutachten nicht der IV entsprach musste ich auch nochmal 3 Tagenach St.Gallen. Ich wurde beim überqueren eines Fussgängerstreifens auf dem 2ten Drittel der Strasse umgefahren. Sämtliche Knochen waren gebrochen, habe 2 Tage ums überleben gekämpft,, doppelter Rückenbruch, Rippen mehrfach gebrochen (mussten mit Spiralen wider zusammengeflickt werden), Brustbein gebrochen usw.,, wurde 4 mal operiert ,, nach den ganzen Gutachten wurde mir eine IV abgelehnt, ich habe heute nach fast 10 Jahren immer noch grosse Probleme,, wenn ich solche Artikel lese werde ich immer sehr wütend,, denn noch nicht mal die Versicherung des Unfallverursachers hat bis heute etwas bezahlt. Ich habe nur gesehen, dass diese Gutachter sich über die ganzen Aerzte, Professoren usw. hinwegsetzen und etwas entscheiden, obwohl sie keine Ahnung von den Verletzungen haben.
Haben Sie Ihren Fall so wie Sie ihn hier beschreiben, der inclusion handicap schon gemeldet ? Sie können auch direkt eine Email oder eine briefliche Beschwerde ans EDI + BSV schicken. Per Einschreiben. Vorher die genaue Adresse abklären, wo es hingeschickt werden kann. Besser auch ans EDI per Mail, damit es auch dort von der dem BSV "übergeordneten Instanz" gelesen wird. Es wird sicher gelesen und beantwortet. Behalten Sie eine Kopie. Hören Sie nichts, gehen Sie zum Kassensturz. Denken Sie imner daran, dass ea Sinn macht, sich zu wehren. Sie können andern damit helfen, in dem Sie Ihren Fall bekannt machen. Vielleicht erhalten Sie auf diesem Weg die Ihnen zustehende Rente. Viel Kraft und Erfolg.