Verhandeln beim Wohnungskauf ist Gold wert
Kaufverträge für Immobilien sind oft wolkig und damit riskant – gerade beim Kauf «ab Plan». Worauf man achten sollte.
Veröffentlicht am 22. Mai 2018 - 11:22 Uhr,
aktualisiert am 24. Mai 2018 - 11:08 Uhr
Die besten Wohnungen des Neubaus waren rasch weg – die Maisonettewohnungen und auch alle anderen mit Aussicht. Rolf Born* hat eine Zusage, eine Anzahlung hat er bereits geleistet, den Kaufvertrag aber noch nicht unterschrieben.
Doch Born zögert – zu Recht. Er sollte die Qualitätsbestimmungen im Vertrag sehr kritisch hinterfragen. Einige Bestimmungen im Kleingedruckten machen ihn misstrauisch. So sichert der Verkäufer lediglich «Minergie 2009» zu, womit der Bau nicht den neusten Vorgaben des 2017 revidierten Energielabels entspricht.
Auch der Bereich Schallschutz macht ihn stutzig. Versprochen wird: «Mindestanforderungen der SIA-Norm 181 Ausgabe 2006». Im Internet findet Born die Information, dass bei Doppel- und Reiheneinfamilienhäusern sowie bei neu gebautem Stockwerkeigentum heute eigentlich die strengeren «erhöhten Anforderungen» nach der Norm des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) gelten.
Das heisst, dass alltägliche Geräusche wie Trittschall oder das Plätschern der Dusche für die Nachbarn kaum hörbar sein dürfen.
«Die Parteien können auch die Mindestanforderungen der Norm vereinbaren», sagt Walter Maffioletti vom SIA-Rechtsdienst. Allerdings rät er Interessenten, sich juristisch beraten zu lassen. Viele Kaufverträge enthalten Passagen, die für Laien schwer verständlich sind oder grossen Interpretationsspielraum lassen. Wenn es um die Qualität von Fenstern, Wärmedämmung, Fassade, Mauer- und Deckenstärken geht, wird oft nur versprochen, ein bestimmtes Level werde «angestrebt». Die Formulierung lässt dem Verkäufer im Streitfall eine Hintertür offen.
«Bestehen Sie auf klaren, rechtlich durchsetzbaren Formulierungen», rät der Zürcher Anwalt Boris Grell. Alle wichtigen Eigenschaften des Kaufobjekts müssten im beurkundeten Vertrag unmissverständlich aufgeführt sein.
«Viele trauen sich zu wenig, über den Vertrag zu verhandeln und sich auch mal auf die Hinterbeine zu stellen.»
Othmar Helbling, Bauherrenberater
Für den Erwerb einer Liegenschaft gibt es zwei Möglichkeiten.
- Variante A: Man schliesst zwei Verträge ab – einen Kaufvertrag für das Land sowie einen Werkvertrag, den die Käufer als Besteller für den Bau der Wohnungen und Gebäude unterzeichnen.
- Variante B: Man leistet eine Reservationszahlung und unterschreibt einen Kaufvertrag für eine Immobilie «ab Plan». Dabei erwirbt man eine zukünftige Sache – die Wohnung muss erst noch gebaut werden. Die Übertragung, inklusive Landanteil, erfolgt bei Fertigstellung.
Variante B ist besonders verbreitet – aber nicht risikofrei. Dabei schliesst der Verkäufer oft die kaufrechtliche Gewährleistung für Mängel
aus. Stattdessen tritt er seine werkvertraglichen Mängelrechte gegenüber den Unternehmern an die einzelnen Käufer ab. Entsprechend gibt er die Rechte an den
gemeinschaftlich genutzten Teilen wie Dach, Fassade oder Tiefgarage an die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer ab.
Das klingt und ist komplex: Die Käufer erhalten die Rechte, die der Verkäufer gegenüber dem Ersteller oder dem Generalunternehmer hat, ohne selber Vertragspartei zu sein. Das ist de facto eine Schlechterstellung, weil die Käufer grösste Mühe haben dürften, Mängelrechte durchzusetzen. Oft haben sie ja keine Ahnung, wer wann welche Leistung erbracht hat und was genau der Verkäufer mit Unternehmern und Handwerkern vereinbart hat.
Verträge mit Handwerkern sind in der Regel sogenannte Werkverträge, die auch mündlich verbindlich sind. Als Beobachter-Mitglied erfahren Sie, was gegen die Schieberei von Terminen getan werden kann, wie Mängel gerügt werden und welche Versicherungen Hauseigentümer haben sollten.
Ein weiterer Risikofaktor: Viele Verkäufer definieren im Baubeschrieb die Produkte und Qualitätsstandards für Bad, Küche und Bodenbeläge nur ungenau. Ebenso die Qualität von Rohbau, Wänden, Decken, Fassadenkonstruktion, Isolationen, Lüftungen und weiteren elektrischen Anlagen.
Die Käufer sind Laien und konzentrieren sich eher auf andere Aspekte. «Um rein oberflächliche Mängel an Böden oder Wänden machen sie viel Aufhebens», sagt der Rapperswiler Bauherrenberater Othmar Helbling. «Sie prüfen Küche, Bad, Böden und Wände exakt, aber die versteckten Teile interessieren sie nicht.»
Dabei wären neben der eigenen Stockwerkeinheit viele andere Teile (Dach, Tiefgarage, Aussenräume) eine gründliche Prüfung wert – gut möglich, dass da Pfusch gar nicht oder viel zu spät ans Licht kommt.
Gröbere Mängel muss ein Stockwerkeigentümer oder ein von der Gemeinschaft eingesetzter Verwalter unverzüglich schriftlich rügen und eine angemessene Frist zur Behebung setzen. Manchmal hilft die Ankündigung, dass man sonst eine Drittfirma nachbessern lässt – auf Kosten des säumigen Unternehmers.
Käufer sollten für ihre Interessen einstehen. «Viele trauen sich zu wenig, über den Vertrag zu verhandeln und sich auch mal auf die Hinterbeine zu stellen», so Experte Helbling. Manche würden sich in falscher Sicherheit wiegen, weil die Verträge bei einem Notar beurkundet werden.
Heute stehen Neubauten oft länger leer, viele Experten stellen fest, dass Verkäufer daher eher mit sich reden lassen. Rechtsanwalt Grell spricht von «zunehmender Kompromissbereitschaft» bei Verträgen und Baumängeln. «Wesentlich besser fahren Käufer, wenn der Verkäufer zumindest für die ersten zwei Jahre die direkte Ansprechperson bleibt und für Mängel jeder Art geradesteht.»
Wohnungskäufer Rolf Born hat diese Lektion bereits gelernt. Als er sich weigerte, den Standardvertrag zu unterzeichnen, kam ihm der Verkäufer entgegen. Jetzt hat er eine schriftliche Zusicherung, dass der Bau bei Schallschutz und Energiebilanz die höheren Anforderungen voll erfüllen wird.
*Name geändert
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