Wer muss seine Stunden zählen?
Jeder sechste Angestellte erfasst seine Arbeitszeit nicht – obwohl er müsste. Was sagt das Gesetz?
aktualisiert am 22. August 2018 - 17:11 Uhr
Obwohl die Erfassung der Arbeitszeit gesetzlich vorgeschrieben ist, erfasst jeder sechste Arbeitnehmer seine Stunden laut einer Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) nicht. Dadurch verstossen Hunderttausende gegen das Arbeitsgesetz. Das kann mehrere Gründe haben: «Zu viel Aufwand, zu umständlich, wenig Kontrolle, wenig Sanktionen – einige Arbeitgeber wissen wahrscheinlich auch gar nichts von ihrer Pflicht», vermutet Beobachter-Expertin Lucia Schmutz.
Die Zeit, während der sich Arbeitnehmer zur Verfügung des Arbeitgebers halten müssen. Dazu gehören beispielsweise nicht nur die Öffnungszeiten eines Geschäfts, sondern auch die Zeit, in der Angestellte ihre Uniform im Geschäft anziehen müssen oder mit Aufräumen beschäftigt sind. Der Arbeitsweg gehört nur dann dazu, wenn Arbeitnehmer an einen auswärtigen Ort fahren müssen und der Weg dahin länger als ihr üblicher ist.
Pausen gehören dann zur Arbeitszeit, wenn Angestellte den Arbeitsplatz währenddessen nicht verlassen dürfen und einsatzbereit bleiben müssen (z.B. Telefondienst). Wird Pikettdienst in der Firma geleistet, gehört er zur Arbeitszeit. Findet er ausserhalb des Unternehmens statt, wird nur die Zeit gezählt, die auch effektiv für berufliche Belange eingesetzt wird. Auch Bereitschaftsdienst muss entschädigt werden, allerdings zu einem tieferen Ansatz.
Gemäss Arbeitsgesetz gilt in industriellen Betrieben, Büros, für technische und andere Angestellte sowie Verkaufspersonal in Grossbetrieben des Detailhandels eine maximale Arbeitszeit von 45 Stunden pro Woche. Die übrigen Arbeitenden, zum Beispiel im Gewerbebetrieb oder Gesundheitswesen, dürfen maximal 50 Stunden pro Woche arbeiten.
Längere Arbeitszeiten sind nur in Notfällen oder bei Berufsgruppen mit Sonderbestimmung (Chauffeure, Pflegepersonal, u.a.) erlaubt.
Das Arbeitsgesetz regelt die Arbeits- und Ruhezeiten und schreibt eine Arbeitszeiterfassung vor. Dadurch wird die Gesundheit der Arbeitnehmenden geschützt. Gerade in der heutigen Zeit verschwimmen Arbeit und Freizeit immer mehr – eine klare Eingrenzung der Arbeitszeit ist besonders wichtig.
Auch in Streitfällen, beispielsweise bei Überstunden, hilft eine genaue Dokumentation.
Grundsätzlich trifft die Pflicht zur Erfassung den Arbeitgeber, der sie aber auch auf den Arbeitnehmer übertragen kann. Dokumentiert werden müssen die tägliche und wöchentliche Arbeitsdauer inklusive Ausgleichszeit, Überstunden sowie Pausen von mehr als einer halben Stunde. Anhand dieser Aufzeichnungen kann das kantonale Arbeitsinspektorat überprüfen, ob Arbeits- und Ruhezeitbestimmungen eingehalten werden.
Die Pflicht zur minutiösen Arbeitszeiterfassung betrifft nicht alle. Seit Anfang 2016 gelten folgende Regeln:
- Gewisse Berufsgruppen wie Topmanager müssen ihre Zeit nicht erfassen, da sie dem Arbeitsgesetz nur teilweise unterstehen.
- Wenn Arbeitnehmer sehr autonom arbeiten und mehr als 50 Prozent ihrer Arbeitszeit selbst einteilen, muss die Zeit nicht erfasst werden.
- Auf eine Erfassung verzichten dürfen Arbeitnehmende, wenn sie ein Bruttojahreseinkommen inklusive Boni von mindestens 120'000 Franken haben und weitgehend selbst über ihre Zeiteinteilung entscheiden. Die Möglichkeit muss im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) allerdings vorgesehen sein.
- Systemische Arbeitszeiterfassung (Standardregel)
Anfang und Ende der Arbeitszeit, Pausen und Ausgleichszeiten müssen dokumentiert werden. Der Betrieb darf selbst festlegen, mithilfe welcher Instrumente die Arbeitszeit erfasst wird.
- Vereinfachte Arbeitszeiterfassung
Es wird nicht jeder Arbeitsblock mit Pausen notiert, sondern nur die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden am Ende eines Tages. Bei Nacht- und Sonntagseinsätzen müssen zusätzlich der Anfang und das Ende der Arbeitszeit erfasst werden. Diese Möglichkeit kommt zum Zuge, wenn Arbeitnehmer einen grossen Teil ihrer Arbeitszeiten (mindestens 25 Prozent) selbst einteilen können. Ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) ist nicht nötig – eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer genügt.
- Erfassung von Hand
- Elektronische Erfassung mit einer Software
- Erfassung durch einen elektronischen Impuls
z.B. auf dem Smartphone, das die Arbeitszeiten ortsunabhängig aufzeichnet
- Ermittlung durch Hilfsangaben
z.B. durch einen IT-Login/Badge, der das Betreten und Verlassen eines Gebäudes elektronisch registriert
- Festlegen von Fixzeiten
Abweichungen davon, z.B. Minus- oder Plusstunden, müssen dokumentiert werden.
- Fixer Schichtplan
Auch ein Schichtplan kann als Arbeitszeitnachweis gelten. Abweichungen müssen zusätzlich aufgeschrieben werden.
Bemerkt das kantonale Arbeitsinspektorat eine mangelhafte oder gar fehlende Zeiterfassung, setzt sie zuerst eine Nachfrist. Bei Missachtung folgt eine Busse. Ist der Verstoss gegen das Arbeitsgesetz besonders schwerwiegend, zum Beispiel wenn die Gesundheit der Angestellten gefährdet ist, droht sogar eine Schliessung des Betriebs.
Beobachter-Expertin Lucia Schmutz empfiehlt Arbeitnehmenden, das Gespräch mit ihrem Vorgesetzen zu suchen und auf die gesetzlichen Bestimmungen hinzuweisen. Wenn das nichts nützt, können sich Betroffene anonym ans Arbeitsinspektorat wenden. Dieses wacht über die korrekte Einhaltung des Arbeitsgesetzes.
«Erfassen Sie zur Sicherheit Ihre Arbeitszeiten so oder so», empfiehlt Schmutz.
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten kann es sein, dass der Arbeitgeber Sie zu Mehrarbeit verpflichtet. Oder umgekehrt: Er weist Ihnen weniger Arbeit zu, und Sie kommen auf Minusstunden. Als Beobachter-Mitglied erfahren Sie, was rechtlich in Bezug auf die Arbeitszeit gilt und in welchen Fällen man sich wehren kann.