Die Kunst des Müssiggangs
Als Gegengewicht zum hektischen Alltagsleben braucht der Mensch Erholungspausen. Etwa ein warmes Bad – zuhause oder in einer Therme.
aktualisiert am 28. Januar 2021 - 10:50 Uhr
Sie hetzen von Termin zu Termin und haben ihren Tagesablauf bis zur letzten Minute verplant. Der Satz «Ich bin gestresst » kommt ihnen schnell über die Lippen – vielleicht weil «Stress haben» auch mit einem gewissen Status verbunden ist: Menschen, die gestresst sind, scheinen erfolgreich, gefragt und unersetzlich zu sein. Auch die moderne Lebensweise erhöht den Stresspegel. Die Produktivität steigt, es bereitet Mühe, Erwerbs- und Familienarbeit unter einen Hut zu bringen. Und moderne Kommunikationsmittel machen uns rastlos.
Viele leiden unter dem Druck, ständig erreichbar sein zu müssen. Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Stress eine der grössten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts. Wer täglich bis an den Rand seiner körperlichen und psychischen Kapazitäten gefordert ist, läuft Gefahr, krank zu werden . Sorgt man nicht rechtzeitig für den nötigen Ausgleich, sind irgendwann die «Batterien leer».
Wiederholte Kopf- oder Rückenschmerzen sind erste Alarmzeichen. Zahlreiche Studien belegen ausserdem, dass sich Stress negativ auf die Abwehrkräfte auswirkt. Menschen, die unter Stress leiden, erkälten sich rascher und fühlen sich oft unwohl.
Auch auf das Herz hat Überforderung schädliche Auswirkungen: Stress steht an dritter Stelle unter den neun Risikofaktoren, die für 90 Prozent aller weltweiten Herzinfarkte verantwortlich sind. Zu diesem Schluss kam eine in 52 Ländern durchgeführte Untersuchung im Jahr 2004, die sogenannte Interheart-Studie.
Um die Balance zwischen Spannung und Entspannung zu halten, sollte man sich im Alltag regelmässig Zeit für Momente der Ruhe und des Genusses schenken.
In der Regel tut man jedoch das Gegenteil und sagt den Sporttermin oder eine Verabredung ab, weil man gestresst ist. Dabei sollte man bei erhöhtem Stresspegel auch mehr Erholungszeiten einplanen. Ein einfacher Trick hilft gegen solches Verhalten: Tragen Sie die wöchentlichen Kreativ-, Musse- oder Sportstunden in Ihre Agenda ein und nutzen Sie diese Termine bewusst für Aktivitäten, die Spass machen: Kinobesuch, Spaziergänge, Sport, Freunde treffen oder einfach nur im Café sitzen.
Auch das Nichtstun sei gesund, sagt die deutsche Psychotherapeutin und Konzertorganistin Irmtraud Tarr: Gerade weil das Bummeln scheinbar so nutzlos sei, sei es wertvoll. «Wir sollen die Kunst des Innehaltens wieder lernen», sagt die Psychotherapeutin. Man müsse nicht immer im Rattenrennen mitlaufen, immer alles sofort erledigen. «Man kommt auch über Umwege, Abwege, Irrwege ans Ziel. Es würde jedem guttun, sich ab und zu gehen- oder fallenzulassen», so Tarr.
Dass Wohlbefinden, Genuss und ein gesundes Leben zusammengehören, zeigt auch das Konzept der sogenannten Genusstherapie. Sie wurde von der Universität Marburg ursprünglich als Therapieprogramm für Depressive sowie Schmerz- und Suchtpatienten entwickelt. Der Therapieansatz ist simpel: Die Patienten werden zur Sensibilisierung ihrer Sinne angeleitet. Sie finden heraus, was sie wirklich mögen, und lernen, jeden Tag einen kleinen Genuss einzubauen.
Von den Ansätzen dieser Therapie können nicht nur Menschen mit psychischen Störungen profitieren. Gesund lebt, wer fähig ist, Genuss in das Alltagsleben einzubauen: Man darf auch einmal etwas Gutes für sich tun, bevor alle Pflichten vollständig erfüllt sind. Kleine Verhaltensänderungen können viel bewirken – und die meisten Entspannungstechniken sind weder aufwendig noch teuer (siehe Infobox unten «Entspannungstipps für den Alltag»)
Auch ein wohlig warmes Bad, zuhause (siehe Infobox unten «So tauchen Sie im Heim-Spa ab») oder in der Terme, kann ein solcher kleiner Genussmoment im Alltag sein. Wer die Welt des Thermalbadens kennenlernen möchte, dem kann als Einstieg das irisch-römische Dampfbad empfohlen werden. Um den Besuch dieses Bads geniessen zu können, sollte man zwei bis drei Stunden einplanen. Wer sich lautstark vergnügen möchte, der ist im irisch-römischen Bad allerdings am falschen Ort.
Viele Thermen und Thermalbäder verfügen nicht nur über Wasserbecken, sondern auch über Saunalandschaften und Dampfbäder. Personen, die sich bei hohen Temperaturen nicht wohl fühlen, können auf sanftere Varianten ausweichen:
- Kaldarium: Im römischen Dampfbad herrschen Temperaturen zwischen 40 und 45 Grad, die Luftfeuchtigkeit ist mittel bis hoch. Oft werden dem Dampf ätherische Öle zugesetzt, die beispielsweise eine schleimlösende, erfrischende oder entzündungshemmende Wirkung haben sollen.
- Tepidarium: Mit einer Luftfeuchtigkeit von 40 bis 60 Prozent und Temperaturen zwischen 37 und 39 Grad ist das Tepidarium noch etwas sanfter.
Eine sehr beliebte Form des Thermalbadens ist das Bad im Whirlpool oder im Jacuzzi. Die Wassertemperatur bewegt sich in den Sprudelbecken meist um die 35 Grad. Eine andere beliebte und sehr entspannende Wellnessanwendung ist die Kombination von Thermalbaden mit einer Klang- und Farbtherapie. Der Badegast lässt sich, auf dem Rücken liegend, auf dem Thermalwasser treiben und hört dabei sanfte, angenehme Klänge unter Wasser. Gleichzeitig werden beruhigende Farbkombinationen auf die Wände und die Decke projiziert.
Beim Thermalbaden geht es nicht um Sport und Fitness, sondern in erster Linie um Entspannung. Daher sollte der Badegast den Aufenthalt geniessen, abschalten, entspannen und sich buchstäblich treiben lassen. Auf das Thermalbaden sollte eine Ruhephase folgen.
Vergessen Sie dabei nicht: Trinken Sie genug , auch wenn Sie sich längere Zeit im Wasser und in seiner Nähe aufhalten.
Personen mit Herz-Kreislauf-Problemen sollten auf ein Ganzkörperbad im Thermalwasser allerdings verzichten, denn das Thermalbaden könnte den Kreislauf zu sehr belasten . Gleiches gilt für Personen, die an akuten Rheumaschüben, an Asthma und an bestimmten Stoffwechselerkrankungen leiden. Wer sich unsicher fühlt bezüglich seiner Gesundheit, sollte den Besuch im Bad unbedingt mit einer Fachperson besprechen.
Es muss nicht immer ein Besuch in einem Wellnesstempel sein – auch in den eigenen vier Wänden kann man sich bestens entspannen. Alles, was Sie dazu brauchen, ist eine Badewanne, Ruhe – und viel Zeit. Tauchen Sie für ein paar Stunden richtig ab und lassen Sie die Seele baumeln. Ein Vollbad und danach ein paar Mussestunden in einem stimmungsvollen Ambiente sprechen alle Sinne an.
- Licht: Schalten Sie das oft grelle (Neon-)Licht des Badezimmers aus und erhellen Sie den Raum mit Teelichtern.
- Musik: Lassen Sie Entspannungsmusik leise im Hintergrund laufen – oder geniessen Sie die totale Stille.
- Düfte: Aromen beeinflussen unser Empfinden unmittelbar, denn unser Geruchssinn ist direkt mit dem limbischen System verbunden – dem Hirnareal, das Gefühle und Empfindungen steuert.
- Öle: Entspannend wirken natürliche Öle als Badezusatz. Rosmarinöl hat eine anregende und durchblutungsfördernde Wirkung. Sandelholz-, Melissen- und Lavendelöle beruhigen und entspannen.
- Wärme: Warmes Wasser steigert das körperliche und seelische Wohlbefinden. Die optimale Wassertemperatur liegt zwischen 36 und 38 Grad. Höhere Temperaturen können der Haut und dem Kreislauf schaden. Bleiben Sie nicht länger als 20 Minuten in der Wanne, da sonst die Haut austrocknet . Personen mit Kreislaufproblemen sollten die Arme nicht eintauchen, sondern auf den Wannenrand legen.
- Pflege: Badezusätze mit Milch oder Honig lassen die Haut samtig zart werden. Die Massage mit einer weichen Bürste wirkt wie ein Peeling, regt den Kreislauf an und entfernt abgestorbene Hautschüppchen.
- Gesichtsmaske: Eine erfrischende Feuchtigkeitsmaske kann man selbst zubereiten: zwei Esslöffel Quark mit einem Teelöffel Zitronensaft vermischen, dünn auf das Gesicht auftragen, 15 Minuten wirken lassen und mit Wasser abspülen.
Nach dem Bad sollten Sie sich mindestens eine halbe Stunde Ruhe gönnen. Cremen Sie den ganzen Körper ein und machen Sie es sich mit einer Wolldecke auf dem Sofa gemütlich. Wenn Sie danach Erfrischung brauchen: Geben Sie ein paar Tropfen Pfefferminzöl auf die Fingerspitzen und massieren Sie mit leicht kreisenden Bewegungen Schläfen und Nacken.
Jetzt ist auch Zeit für einen Vitaminschub: Ein Teller Apfel- oder Orangenschnitze stillt nach einem schweisstreibenden Bad den Durst. Für Ausgleich und Energie sorgt auch ein warmer Kräuter- oder Ingwertee.
- Dehnen und Stretchen: Strecken Sie sich täglich mehrmals in alle Richtungen. Morgens nach dem Aufwachen ist der beste Zeitpunkt, um damit zu beginnen: Dehnen Sie Ihre Glieder bereits im Bett.
- Pausen machen: Machen Sie nach spätestens anderthalb Stunden konzentrierter Arbeit ein paar Minuten Pause. Stehen Sie auf, lockern Sie die Glieder. So bleiben Sie auf die Dauer produktiver. Wenn es Zeit und Raum zulassen, kann man sich auch bei einem sogenannten Power-Nap erholen. Diese Form des Mittagsschläfchens sollte nicht länger als 20 Minuten dauern. Dank dem gewonnenen Energiekick startet man leistungsfähig in den Nachmittag und vermeidet Durchhänger. Auch Wartezeiten kann man für eine Minipause nutzen: Schliessen Sie die Augen und denken Sie an etwas Angenehmes.
- Grenzen setzen: Lassen Sie sich immer wieder Arbeit aufbürden, die Sie zeitlich nicht bewältigen können? Ein überlegtes Nein wirkt manchmal Wunder. Setzen Sie Grenzen! Sie werden staunen, wie gut es funktioniert!
- Licht und frische Luft tanken: Sitzen Sie den ganzen Tag vor dem Computer und bewegen Sie sich mittags höchstens in Richtung Personalrestaurant, wo Sie sich gleich wieder hinsetzen? Dann sollten Sie Ihr Verhalten ändern. Gönnen Sie sich etwas Bewegung an der frischen Luft . Sonnenschein auf der Haut ermöglicht erst die körpereigene Vitamin-D-Produktion. Tageslicht wirkt sich positiv auf die Stimmung aus. Selbst an einem bedeckten Tag spendet die Natur 20-mal mehr Licht als eine durchschnittliche Bürobeleuchtung. Essen Sie auf einer Parkbank ein Sandwich oder einen Salat. Licht und Sonne geben Energie für den Nachmittag.
- Bewegung: Körperliche Ertüchtigung spielt eine wichtige Rolle bei der Entspannung. Sport in der Halle oder draussen, Bewegung allein oder in einer Gruppe? Suchen Sie die Art der Bewegung, die Ihnen Spass macht. Nach einem zügigen Spaziergang, ein paar Joggingrunden oder einer Wanderung werden Körper und Seele mit Wohlbefinden, mentaler Entspannung und einer gesunden Müdigkeit belohnt.
- Ausschalten: Schalten Sie mal für ein paar Stunden Handy und Computer aus. Gönnen Sie sich den Genuss, nicht erreichbar zu sein.
- Fünf gerade sein lassen – und Prioritäten setzen: Die Hausarbeit ruft, und Sie haben ein schlechtes Gewissen? Versuchen Sie Ihren Perfektionismus auf die Seite zu legen und geben Sie sich mit weniger zufrieden. Menschen, die alles noch besser und schneller erledigen möchten, setzen sich oft unter Druck. Sie drohen zu scheitern, was wiederum für schlechte Gefühle sorgt. Setzen Sie stattdessen Prioritäten, nutzen Sie die Zeit ganz bewusst und sorgen Sie für Abwechslung im Alltag: Überlegen Sie in einer ruhigen Minute, was Ihnen richtig Freude bereitet.
- Typgerechte Energiequellen: Was einem am meisten Freude und Energie schenkt, muss man selbst herausfinden. Nur so kann man sich Zeit für das reservieren, was einem wirklich wichtig ist. Würden Sie gern mehr Bücher lesen oder Freunde treffen? Wollten Sie schon immer einen Yogakurs besuchen oder eine Meditationstechnik erlernen? Atem- , Entspannungs- und Bewegungstechniken lassen sich erlernen: Kurse gibt es etwa an Volkshochschulen. Während die einen den Ausgleich in einer aktiv gestalteten Freizeit suchen, müssen die anderen ab und zu so richtig faulenzen können, um die innere Balance zu finden. Unverplante Zeit tut der Seele gut, gibt Raum für neue Gedanken und Unvorhergesehenes. Erlauben Sie sich diese Mussestunden: Trödeln Sie einen Nachmittag lang herum, schmökern Sie in einem schönen Bildband. Oder legen Sie sich auf das Sofa und machen Sie einfach mal nichts.
- Geniessen: Das wahre Glück findet im Hier und Jetzt statt. Wer bewusst geniessen kann, sei es ein Musikstück, ein gutes Essen, ein Glas Wein oder eine Abendstimmung in der Natur, hat wichtige Energiequellen seines Alltags gefunden. Dabei gilt es, zwischen Konsumieren und Geniessen zu unterscheiden. Genuss geht nicht nebenbei und auf die Schnelle. Nehmen Sie sich genügend Zeit dafür.
- Schlaf: In der Nacht können wir die Erfahrungen des Tages erst richtig verarbeiten. Wenn wir die Augen schliessen und es um uns herum ruhig wird, schaltet der Körper auf Erholung um. Weil Schlaf so wichtig für den Energiehaushalt ist, sollte die Atmosphäre im Schlafzimmer ruhig sein – Telefon und Fernseher erschweren die Entspannung.
1 Kommentar
Leider scheinen Badewannen auszusterben in Mietwohnungen. In Duschen kann man nicht baden, umgekehrt aber schon. In Badewannen kann man medizinische Badeessenzen einwirken lassen, träumen, Aufwärmen bei Erkältungen, Schüttelfrost, Muskelverspannungen, Stresshormonen. In Ruhe im Liegen statt in Anspannung im Stehen. PS: Kerzen finde ich für die Atemwege schädlich, und den grössten Stressor finde ich Lärm beim Wohnen.